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Ungarn | Undankbare Aufgabe für Gewerkschaft

INTERNATIONALES

Selten haben die Budapester so etwas gesehen: 80.000 Uniformierte - Polizisten, Berufssoldaten, Feuerwehrmänner, Gefängnisaufseher - protestierten gegen das Einfrieren ihrer Anfangsgehälter.

Sie gaben ihrer auch für ungarische Verhältnises soliden Forderung - eine Nettogehaltserhöhung von 12.000 Forint (48 Euro) - mit einem Sitzstreik vor dem Parlament Nachdruck.

Der Protest der Beamten in Uniform ist nur ein, wenn auch schillernder Farbfleck auf dem ungarischen Arbeitsmarkt. Das Hauptproblem der Arbeitnehmer ist neben dem schnellen Wandel der Wirtschaft der häufige Regierungswechsel. Seit dem Ende des Kommunismus wählen die Ungarn, aus welchen Gründen auch immer, jedes Mal eine neue Regierung. Sie geben ihre Stimme stets den jeweiligen Oppositionsparteien. Daher kann keine Regierung nachhaltige Reformschritte setzen. Diese Aufgabe, soweit sie die Interessen der Arbeitnehmer, aber darüber hinaus auch die Probleme der allgemeinen Sozialpolitik betrifft, bleibt den Gewerkschaften übrig.

Kritik vom IBFG

Die Gewerkschaften haben in Ungarn keine leichte Position. Mangels einer demokratischen Tradition - in den KP-Zeiten durften sie nur leere Worthülsen von sich geben - atomisierten sich die Gewerkschaften, fanden sich in mehreren kleineren und nur wenigen größeren »Föderationen« zusammen. Da sie selten mit einer Stimme sprechen, werden sie von der Arbeitgeberseite nicht immer ernst genommen.

Diesen Mangel an gewerkschaftlichem Einfluss kritisierte kürzlich der Bund Freier Gewerkschaften (IBFG). Er stellte fest, dass nicht wenige Arbeitgeber ihre Lohn- und Gehaltsabschlüsse außerhalb der Kollektivverträge anbieten. Auch die Tätigkeit gewählter Betriebsräte und Personalvertreter im öffentlichen Dienst wird von den Unternehmen oft behindert.

Selbst Direktoren der ungarischen Bundesbahnen (MÁV) bemühen sich, Personalvertreter nicht zuzulassen. Die gröbsten Verstöße gegen das Arbeitsgesetz stellten die IBFG-Experten bei den ungarischen Niederlassungen von ausländischen Firmen fest. In diesen Unternehmen werden bei Kündigungen die einschlägigen Bestimmungen selten befolgt und auch das Arbeitszeitgesetz kommt kaum zur Anwendung.

Auszug aus Ungarn

Obwohl viele ausländische Unternehmen leichtes Spiel mit den gewerkschaftlichen und Arbeitnehmerschutzbestimmungen haben, drohen nicht wenige multinationale Firmen mit einem Auszug aus Ungarn. Vor allem Großinvestoren der Textil-, aber auch der Stahl- und Elektroindustrie denken daran, ihre Betriebe »gen Osten«, wo es noch billigere Arbeitskräfte gibt, auszulagern.

Die ersten Großunternehmen haben Ungarn bereits verlassen. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit, im vergangenen Winter erreichte sie die gefürchtete Sieben-Prozent-Marke. Jeder fünfte Arbeitslose ist unter 25 Jahre alt.

Um dem drohenden Auszug der ausländischen Unternehmen aus Ungarn entgegenzuwirken, wollte im Frühjahr der damalige Arbeitsminister Péter Kiss die Tele- und Heimarbeitsplätze besonders fördern. Hinter dieser Idee steht die gefürchtete Zahl von 400.000 Arbeitslosen. Während das Statistische Zentralamt von rund 270.000 Arbeitslosen spricht, wächst die Zahl der Menschen ohne geregelte Arbeit rapid. Ausdruck der statistischen Schönfärberei ist die Tatsache, dass Ungarns Statistiker Arbeitnehmer, die nur eine bezahlte Stunde in der Woche arbeiten, nicht als Arbeitslose führen.

Bei einer Gesamtbevölkerung von zehn Millionen gibt es knapp unter vier Millionen Beschäftigte. Seit einigen Jahren unterliegt auch der ungarische Arbeitsmarkt größeren Schwankungen. Wer den wachsenden Anforderungen nicht entspricht, der bleibt unweigerlich auf der Strecke und wird arbeitslos - unabhängig vom Alter. Auch die jetzige sozial-liberale Regierung ist - vor allem um die EU-Eintrittskarte nicht zu verlieren - kaum in der Lage, grundlegende sozialökonomische Maßnahmen zu setzen. Diese Aufgabe bleibt den Gewerkschaften, die allerdings immer noch um ihr einheitliches Bild kämpfen. Aber Kampfpositionen sind auch für ungarische Gewerkschaften nichts Unbekanntes.

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(C) AK und ÖGB

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