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Altenpflege zwischen Demografie und Budget - Geriatrische Langzeitpflege in Österreich

SCHWERPUNKT

Versucht man in Österreich sich privat gegen das Risiko zu versichern, im Alter ein teurer Pflegefall zu werden, so findet man nur sehr wenige Angebote, und diese enden mit dem 80. Lebensjahr. Das Risiko der Pflege ist offensichtlich für Privatversicherungen nicht lukrativ.

Die zu erwartenden Kosten in den kommenden Jahren müssen daher entweder direkt von den PatientInnen oder von der öffentlichen Hand getragen werden.

Demografische Herausforderung

Die Pflege, insbesondere die Altenpflege, sieht sich derzeit im Spannungsfeld zwischen demografischen Herausforderungen und budgetären Engpässen. Dies gilt für Österreich ebenso wie für die anderen EU-Länder.


»Bereits 1994 haben sich die Bundesländer gegenüber dem Bund verpflichtet, die sozialen Dienste im Pflegebereich flächendeckend auf- und auszubauen.«

Heute gibt es in Österreich etwa 350.000 Personen, die Pflegegeld beziehen, davon sind 290.000 über 60 Jahre alt. (Es gibt Schätzungen, die sagen, dass die Zahl der Pflegefälle noch deutlich höher liegt, da es auch pflegebedürftige Menschen gäbe, die kein Pflegegeld erhalten.) Betrachtet man die Altersstruktur, so sieht man eine deutliche Erhöhung des Pflegerisikos rund um den achtzigsten Geburtstag: Während in der Altersgruppe »60 bis 80 Jahre« 9% aller Personen Pflegefälle sind, können in der Altersgruppe »Über 80 Jahre« 50% als Pflegefälle bezeichnet werden. Die Prognosen der Statistik Austria zeigen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte insbesondere für die Gruppen Alte und Hochbetagte hohe Steigerungsraten.

Es ist sehr schwierig abzuschätzen, ob in dieser größer werdenden Gruppe von alten Menschen auch vermehrt Pflegefälle sein werden oder ob in Zukunft die Alten länger gesund sein werden. Nimmt man an, dass der Anteil der Pflegefälle gleich bleibt, so ist in den kommenden Jahren mit folgenden Steigerungsraten zu rechnen: Bis 2010 wird es um 15% mehr Pflegefälle geben als heute, bis 2030 um ca. 65% mehr und bis 2050 um ca. 125% mehr.

Wie ist Österreich für diese Herausforderungen gerüstet? Der Befund ist leider nicht allzu gut. Bereits heute lesen wir immer wieder vom »Pflegenotstand«. Da drängt sich umso mehr die Frage auf, wer in Zukunft die größer werdende Gruppe der geriatrischen Langzeitpflegefälle pflegen soll. 15% der Pflegefälle sind heute in Heimen. Das ist im internationalen Vergleich eher eine unterdurchschnittliche Zahl. Es gibt einfach Fälle, die nur in stationärer Betreuung ausreichend umsorgt werden können: Alzheimer, Demenz, fortgeschrittene Formen von Behinderung, etc.

Pflegestrukturen in Österreich

Bekanntermaßen steht es nicht in allen Altenheimen zum Besten. Bereits 1994 haben sich die österreichischen Bundesländer gegenüber dem Bund verpflichtet, die sozialen Dienste im Pflegebereich flächendeckend auf- und auszubauen. Diese »Bedarfs- und Entwicklungspläne« sollen bis 2010 erfüllt werden, es bedarf hier allerdings noch großer Anstrengungen, um dieses Ziel zu erreichen. Wie so oft liegt dies auch daran, dass zu viele Köche am »Pflegebrei« mitmischen (Bund, Sozialversicherung, Länder, Gemeinden, Soziale Dienste, Landesfonds, Behindertenhilfe, …). Dadurch wird das System unübersichtlich, es gibt keine klaren Zuständigkeiten und es entstehen Ineffizienzen in der Kostenstruktur. Auch die Qualitätsstandards der Heime sind äußerst ungleich - hier könnte möglicherweise das soeben in Beschlusslage befindliche Bundesheimvertragsgesetz etwas ändern.


»Der Staat zahlt jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro an Pflegegeld.«

85% der Pflegefälle werden hingegen zu Hause betreut. Etwa 25% dieser Personen geben an, dass sie auch professionelle Hilfe erhalten. Da diese aber auch nur wenige Stunden am Tag abdeckt, bleibt der Großteil der Pflege heute in der Verantwortung der Familien. Gerne wird argumentiert, dass es dafür ja das Pflegegeld gäbe. Dieses steht aber in keinem Verhältnis zu den tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen - um sich damit professionelle Hilfe zu kaufen, ist es zu wenig, als materielle Absicherung der pflegenden Familienangehörigen kann es auch kaum gesehen werden. Dennoch zahlt der Staat jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro an Pflegegeld aus und diese Kosten würden parallel mit der Zahl der Pflegefälle steigen, wenn es zu keinen Reformen kommt.


»Die Forderung nach mehr Mobilität zwischen den Gesundheits- und Pflegeberufen ist nach wie vor ungenügend erfüllt.«

Es ist aber kaum vorstellbar, dass die so genannte informelle Pflege (also jene, die von Familienangehörigen erbracht wird) tatsächlich noch zunehmen kann. Die nach wie vor steigende Frauenerwerbstätigkeit und das Anheben des Pensionsalters führen dazu, dass Frauen immer mehr und länger auf dem Arbeitsmarkt bleiben - der Großteil der heute pflegenden Angehörigen rekrutiert sich aber genau aus dieser Gruppe der 50- bis 60-jährigen Frauen. Hier entsteht analog zur Kinderbetreuung eine Vereinbarkeitsproblematik. Ohne professionelle Hilfe ist es nicht möglich, Beruf und innerfamiliäre »Sozialleistungen« zu vereinen, womit die materielle Absicherung für diese Frauen zunehmend schwieriger wird. Aus diesem Grund wird in Österreich wie auch im Rest Europas der Ruf nach ambulanter Pflege immer lauter: Es muss dringend die Hauskrankenpflege ausgebaut werden, wie dies auch die bereits oben erwähnten Bedarfs- und Entwicklungspläne der Länder vorsehen.

Der Ausbau der ambulanten Pflege ist allerdings teuer. Ein Pflegefall, der mehr als vier Pflegestunden am Tag professionell betreut wird, kommt »billiger«, wenn dies in einem Altenheim geschieht. Wegzeiten, höherer Administrationsbedarf, schlecht für Pflege ausgestattete Wohnungen, unzureichende Möglichkeit der Rund-um-die-Uhr-Betreuung, dies sind einige der Faktoren, die kostentreibend für die ambulante Pflege wirken. Dennoch spricht natürlich der Wunsch nach eigenständigem und selbstbestimmtem Leben sehr für die ambulante Pflege.


»Es muss dringend die Hauskrankenpflege ausgebaut werden.«

Heute werden neben den bereits erwähnten 1,5 Milliarden Euro an Pflegegeld ca. 1,6 Milliarden Euro für Sachleistungen ausgegeben (ca. 1,1 Milliarden Euro für die Pflegeheime und ca. 500 Millionen Euro für die ambulante Pflege). Hier muss es zu einer Strukturveränderung kommen, wenn der erhöhte Pflegebedarf der Zukunft qualitätsvoll befriedigt werden soll. Daher sprechen sich auch die ArbeitnehmerInnen der Interessenvertretungen dafür aus, dass in der Pflege vermehrt Anstrengungen zum Ausbau des professionellen Bereichs unternommen werden müssen (sei es der notwendige Ausbau von Pflegeheimen oder sei es die flächendeckende, leistbare Zurverfügungstellung von ambulanter Pflege) - Sachleistungen ist vor Geldleistungen (also dem Pflegegeld) der Vorrang zu geben, so kann man diese Forderung kurz zusammenfassen.

Arbeitnehmerinnen in der Pflege

Natürlich interessiert in diesem Zusammenhang auch, wie es den Arbeitnehmerinnen (und es sind fast nur Frauen) in diesem Bereich geht. In den Pflegeheimen gibt es etwa 14.000 Vollzeitarbeitsplätze, in der ambulanten Pflege sind es heute ca. 6000. Es handelt sich dabei um keine sehr attraktiven Jobs. Dies beginnt bereits bei der Ausbildung. Diese ist sehr uneinheitlich und weitgehend unverbunden. Wenn eine junge Frau mit 15 Jahren sich entscheidet, in eine Krankenschwesternschule zu gehen, so hat sie nach drei Jahren einen Abschluss, aber keine Matura. Sollte sie also nach diesen drei Jahren draufkommen, dass sie sich eigentlich in diesem Beruf nicht wirklich wohlfühlen wird, so muss sie mit einer anderen Ausbildung ganz von vorne beginnen. Für die rein auf die Pflege ausgerichteten Berufe gibt es in den verschiedenen Bundesländern die unterschiedlichsten Bezeichnungen und Berufsbilder. Dies hat sich zwar durch eine neue Vereinbarung der Länder etwas gebessert, die Forderung, die Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen nach einer durchlässigen Ausbildungssituation (man soll zwischen verschiedenen Ausbildungen relativ einfach wechseln können) und nach mehr Mobilität zwischen den Gesundheits- und Pflegeberufen (man soll relativ einfach in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens arbeiten können, z. B. ein paar Jahre als Geriatrie-Schwester und dann vielleicht auch einmal als Säuglingsschwester) ist aber nach wie vor ungenügend erfüllt.


»Schätzungen sprechen von 10.000 bis 40.000 Personen, die jährlich vor allem aus Tschechien und der Slowakei kommen und in Österreich schwarz Pflegeleistungen erbringen.«

Und natürlich ist auch die Bezahlung gerade im Altenpflegebereich sehr schlecht. Und so ist es kein Wunder, wenn bereits heute von einem Fehlbestand von ca. 1350 Krankenschwestern, 3500 PflegehelferInnen und weiteren 400 Personen in den Hilfsdiensten ausgegangen wird. Es könnte eine kurz- bis mittelfristige Erleichterung sein, hier den Zustrom von ausländischem Pflegepersonal zu erleichtern (was auch ein Beitrag in der Bekämpfung der Schwarzarbeit wäre), längerfristig wird aber vor allem die Entlohnung in diesem Bereich deutlich besser werden müssen.

Wie ist es anderswo?

In allen westeuropäischen Ländern wird die für die nahe Zukunft zu erwartende Zunahme der geriatrischen Pflegefälle als wichtiges sozialpolitisches Problem gesehen. Die meisten EU-Länder unterscheiden sich dabei von Österreich dadurch, dass bereits heute wesentlich stärker der Sachleistungsbereich betont wird. Lediglich Deutschland kennt auch ein Pflegegeld, allerdings wird auch hier versucht, die Nachfrage stärker in Richtung von professionellen Leistungen zu lenken.

In vielen Ländern gibt es zweckgebundene Geldleistungen, die also nur zum Ankauf von qualifizierter Pflege verwendet werden dürfen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass bis zu einem gewissen Grad hier ein Markt entstanden ist, der ein vielfältiges Angebot an möglichen Pflegeleistungen hat.


»Qualitätsstandards der Heime sind äußerst ungleich.«

Derartige Ansätze haben sicherlich ihre Berechtigung, es ist immer nur darauf zu achten, dass es zu keinen unerwünschten Verteilungswirkungen kommt (hochqualitative Pflege für die Reichen, mangelhafte Pflege für die Armen). Insofern spricht auch die internationale Erfahrung dafür, stärker die professionelle Pflege auszubauen und die Familien in ihrer fast alleinigen Verantwortung für Pflegefälle spürbar zu entlasten.

Obwohl die Beitrittsländer eine etwas jüngere Bevölkerung haben als der EU-Durchschnitt, sehen auch sie für die kommenden Jahre einen Ausbaubedarf im Pflegewesen. Dieser Umstand gemeinsam mit der prognostizierten mittelfristigen Angleichung der Lohnniveaus wird dazu führen, dass die heute bestehende Schwarzarbeit in Österreich stark zurückgehen wird. Schätzungen sprechen von 10.000 bis 40.000 Personen, die jährlich vor allem aus Tschechien und der Slowakei kommen und in Österreich schwarz Pflegeleistungen erbringen. Fällt diese Gruppe weg, so droht der Pflegebereich in Österreich zusammenzubrechen, wenn nicht rechtzeitig gegensteuernde Maßnahmen gesetzt werden.

Entwicklung der Kosten?

Bereits die prognostizierte Entwicklung der Bevölkerungszahlen hat klar gezeigt, dass der Ausgabendruck in der nahen Zukunft steigen wird. Möglicherweise wird dies etwas abgeschwächt, wenn tatsächlich die Alten länger gesund bleiben. Aber das ist keineswegs sicher und es gibt auch ganz entgegengesetzte Prognosen.
Die Analyse der bereits bestehenden Probleme hat aber gezeigt, dass ganz dringend Strukturänderungen notwendig sind. Bereits in den allernächsten Jahren muss es zu einer Verbesserung bei den Heimen kommen. Neben den dafür notwendigen baulichen Maßnahmen wird dies auch eine Verbesserung der Bezahlung der Pflegekräfte bedeuten müssen. Damit werden in diesem Bereich gerade in den kommenden Jahren starke Kostensteigerungen entstehen.

Mittelfristig wird sich aber vor allem das Gewicht zwischen informeller und formeller Pflege verändern: Die Pflegeleistung, die heute unbezahlt innerhalb der Familien erbracht wird, wird zunehmend von professionellen ambulanten DienstleisterInnen übernommen werden. Wie bereits erwähnt, wird diese Entwicklung teuer sein. Blieben ansonsten die Pflegestrukturen gleich, so bedeutete ein Anstieg des Anteils der ambulanten Pflege um einen Prozentpunkt im Jahr (also von heute 3% auf 10% im Jahr 2010 bzw. 25% im Jahr 2025), dass sich die Kosten des Pflegebereichs insgesamt bereits bis 2020 mehr als verdoppeln und bis 2030 fast vervierfachen würden. Diese Steigerungsraten (ohne Berücksichtigung der Inflation) könnten auch in keiner Weise durch das Wirtschaftswachstum ausgeglichen werden - heute macht der Pflegebereich 1,39% des BIP aus, die Erhöhung der ambulanten Betreuung würde den Anteil bis 2010 auf 1,76% des BIP erhöhen, bis 2020 wären es 2,32%, 2030 3,18%.

Nicht berücksichtigt ist in diesen Rechnungen, dass es nach wie vor Pflegefälle gibt, die gar keine Versorgung bekommen bzw. dass viele Pflegefälle sagen, sie bräuchten wesentlich mehr Versorgung als ihnen laut Pflegestufe »zusteht«. Wenn diese Defizite auch ausgeglichen würden im Zuge einer Verstärkung des ambulanten Sektors, würden sich die Pflegekosten bis 2030 fast vervierfachen bzw. 3,97% des BIP ausmachen.

R E S Ü M E E

Fasst man die (zugegeben sehr technische) Prognose zusammen, so kann man sagen, dass der rein demografische Effekt aller Wahrscheinlichkeit nach durch das Wirtschaftswachstum »abgedämpft« werden kann: Der Anteil der Pflegeausgaben am BIP würde von heute 1,39% auf 1,70% im Jahr 2030 steigen. Dies würde allerdings bedeuten, dass die Strukturprobleme und der Pflegenotstand, die es bereits heute gibt, weiter bestehen blieben bzw. sich aller Voraussicht nach verschärfen würden.

Um hier entgegenzusteuern, bedarf es des Ausbaus insbesondere der ambulanten Pflege. Diese ist zwar in vielen Fällen teurer als die stationäre Pflege, entspricht aber mehr den Bedürfnissen der Menschen. Daneben wird aber bereits in naher Zukunft eine Verbesserung des stationären Bereichs notwendig sein. Um in den professionellen Pflegediensten (ambulant wie stationär) Verbesserungen und Erweiterungen zu ermöglichen, müssen die Pflegeberufe aufgewertet werden. Es handelt sich dabei nämlich um Tätigkeiten mit einem sehr hohen Anforderungsprofil, das heute vollkommen unzureichend honoriert wird. Die gewerkschaftlichen Forderungen nach besserer Entlohnung, umfassenderer Ausbildung und durchlässigeren Berufsbildern sind jedenfalls zu unterstützen.

Um dies alles zu erreichen, wird die Pflege in den kommenden Jahren deutlich mehr kosten müssen als heute. Die hier dargestellte Prognose kann als eher vorsichtig bezeichnet werden, Schätzungen aus anderen EU-Ländern zeigen, dass unter Berücksichtigung aller notwendigen Lohnveränderungen das nominelle Wachstum (also unter Berücksichtigung der Inflation) noch eine deutlich höhere Dynamik aufweisen würde.

Das zusätzliche Geld sollte dabei großteils direkt in die sozialen Dienste fließen und nicht den »Umweg« über den Pflegefall nehmen. Selbstverständlich wird man auch über eine bessere Absicherung pflegender Angehöriger nachdenken müssen, das Hauptaugenmerk sollte aber sowohl organisatorisch als auch finanziell auf die formelle Pflege gelegt werden und dies besser heute als morgen.

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(C) AK und ÖGB

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