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Kommentar | Mehr Arbeit - weniger Lohn?

MEINUNG

Manchmal wird man von der eigenen Vergangenheit ganz furchtbar schnell eingeholt. So geht es derzeit den deutschen Gewerkschaften.
Heiner Flassbeck - Deutscher Wirtschaftsforscher und Publizist

Wer erinnert sich noch? Es gab einmal Zeiten, in denen eben diese Gewerkschaften äußerst schlagkräftig waren und die Republik mit Arbeitszeitverkürzungen überzogen. Samstags gehört Papi mir, hieß die Parole in den Sechzigerjahren, mehr Arbeit für alle durch weniger Arbeit für den Einzelnen hatte man sich in den letzten 25 Jahren auf die Fahne geschrieben.

Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich

Seit Anfang der Achtzigerjahre haben die Gewerkschaftsführer dabei an einer Doktrin festgehalten, die ihnen jetzt um die Ohren gehauen wird.

Immer wurde den Arbeitern nämlich verklickert, die Arbeitszeitverkürzung ginge natürlich nicht zu Lasten des ausbezahlten Lohnes, man verhandle selbstverständlich nur über »Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich«. Und fast immer war das Ergebnis der Tarifverhandlungen eine Arbeitszeitverkürzung, bei der der Monatslohn insgesamt stieg, also tatsächlich die Einbuße bei den Stunden in irgendeiner Art und Weise begleitet war von einem Anstieg der Löhne pro Stunde. So wurde auf allen Seiten der Eindruck erweckt, das Gesamtergebnis der Lohnverhandlungen sei deutlich über den Produktivitätsfortschritt hinausgegangen, habe also Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer gebracht.

Im Lichte dessen ist doch die heute gängige Variante »Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich« nur konsequent. Und so sehen es in der Tat viele, auch den Gewerkschaften nicht feindlich gesinnte Beobachter: Was die Gewerkschaften an überzogenen Abschlüssen in der Vergangenheit herausgeholt haben, muss heute, in den »neuen Zeiten«, wieder zurückgenommen werden, weil wir uns es nicht mehr leisten können.

Zum Keulen der Gewerkschaften

Sind in dieser Logik also die Löhne in der Vergangenheit zu stark - weil weit jenseits der Produktivitätszunahme - gestiegen, müssen sie jetzt weit hinter der Produktivität zurückbleiben. Der Verteilungsvorsprung, den die Gewerkschaften in der Vergangenheit mit »Gewalt« durchgesetzt haben, hat die Arbeitslosigkeit verursacht und muss zurückgeführt
werden.

Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich

Das ist bitter für die Gewerkschaften, weil jeder nur halbwegs aufgeklärte Funktionär weiß, dass es die ominöse Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich niemals gegeben hat. Was einst als unscharfe Parole gut war, um die eigenen Mitglieder in Sachen Arbeitszeitverkürzung bei der Stange zu halten, wird nun von den anderen zum Keulen der Gewerkschaften benutzt. Spätestens seit Beginn der Achtzigerjahre war mit der Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer Schluss und es ging 25 Jahre in die andere Richtung.

Trotz Arbeitszeitverkürzung ist es den Arbeitnehmervertretern seitdem nicht mehr gelungen, auch nur die Produktivitätszunahme zu bekommen, also eine Gleichverteilung von Arbeit und Kapital durchzusetzen. Nach fast allen Tarifrunden blieb der Reallohnanstieg pro Stunde geleisteter Arbeit hinter dem Anstieg der Produktivität zurück.

Konnten die Gewerkschaften erfolgreich Arbeitszeitverkürzung durchsetzen, dann praktisch immer ohne jeden Lohnausgleich. Wenn die Stundenlöhne stiegen und die Arbeitszeit gleichzeitig verkürzt wurde, dann stand in der Regel so viel Produktivität zur Verfügung, dass daraus beides bezahlt werden konnte, ohne den Unternehmen einen mindestens gleich großen Anteil am Produktivitätsfortschritt zu nehmen. Um die Verkürzung der Arbeitszeit zu finanzieren, verzichteten die Arbeitnehmer also auf sonst mögliche Lohnerhöhungen.

Im Himmel fett werden

Da erscheint die heutige Debatte in einem ganz anderen Licht. Was nun passiert, ist Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, die der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich auf dem Fuße folgt. Folglich wird nur fortgesetzt, was lange schon im Gange ist: Die Arbeitnehmer verzichten weiter, weil keiner begriffen hat oder begreifen will, dass die Politik des Verzichts schon seit einem Vierteljahrhundert nicht greift. Wenn jetzt in einzelnen Betrieben und dann in der Fläche die Löhne pro Stunde in Deutschland massiv gesenkt werden, treten wir nur in eine neue Phase des immer gleichen Spiels, das da heißt, nur wer den Gürtel im Hier und Heute ordentlich eng schnallt, kann im Himmel fett werden.

Maßlose Bescheidenheit der Gewerkschaften

Doch noch immer schweigen die Gewerkschaften. Noch immer ist ihre maßlose Bescheidenheit in den vergangenen Jahrzehnten kein Thema. Zwar entrüsten sich alle über den neuen, schamlosen Zugriff der anderen, dass sie aber selbst die Politik der Enthaltsamkeit so viele Jahre mitgetragen und ihre Mitgliedern weitgehend im Dunkeln darüber gelassen haben, das ist kein Thema.

So ist die Debatte um Lohnsenkungen in Deutschland von einer seltsamen Schieflage geprägt. Während die Arbeitgeber natürlich in Abrede stellen, dass es jemals Lohnzurückhaltung gegeben hat, ist es auch der Gewerkschaftsspitze eher peinlich, darüber zu reden. Das Tabu in der Diskussion, von dem so viele jetzt schwadronieren, ist das eklatante Versagen der Verzichtspolitik, nicht aber die Bereitschaft, zu verzichten. Die war immer und sogar im Übermaß vorhanden.

Alles, was die Arbeitnehmer heute in Deutschland bekommen, haben sie verdient - im wahrsten Sinne des Wortes. Sogar mehr als das. Sie haben schon lange nicht mehr alles in Anspruch genommen, was sie verdient hätten. Wer heute sagt, in anderen Ländern würde länger gearbeitet oder die Löhne seien dort niedriger und deswegen müssten die Löhne in Deutschland sinken, ist ein Scharlatan oder ein reiner Interessenvertreter. Wenn es etwas zu beklagen gibt, dann die noch immer nicht vorhandene Bereitschaft der Interessenvertreter der Arbeitnehmer, ihren Mitgliedern und der Bevölkerung reinen Wein über die Verzichtspolitik der letzten 25 Jahre und ihre eigenen strategischen Fehler einzuschenken.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus: »Wirtschaft & Markt - Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin« 8/2004 (Zwischentitel von der Redaktion »A&W«)

Der Autor hat eine eigene Homepage:
www.flassbeck.de

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