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Da bleibt einem das Schnitzel im Hals stecken | Billigfleisch durch Ausbeutung

GESELLSCHAFTSPOLITIK

Noch ist kein Jahr seit der EU-Osterweiterung vergangen und 26.000 deutsche Arbeitnehmer in der Fleischwarenindustrie haben ihren Job verloren. An ihre Stelle sind »Dienstleister« vorwiegend aus Polen, Tschechien oder Litauen getreten.

So mancher deutsche Facharbeiter musste seinen Kollegen aus dem Osten noch anlernen und durfte dann seinen Hut nehmen. So wurde unter anderem bei einem der größten deutschen Geflügelunternehmer, Wiesenhof, die komplette Filetierung an ein polnisches Subunternehmen vergeben, beim Fleischriesen »D&S« oder beim Feinkostkönig Stöver werden heimische Arbeitskräfte ebenfalls zur Mangelware. Bei Westfleisch stehen von 1200 Arbeitnehmern nur mehr 200 auf der eigenen Lohnliste. Im Schlachthof Oldenburg sind bereits 90% der Arbeitsplätze von preiswerteren Osteuropäern besetzt. Die Tendenz ist allgemein weiter steigend.

Dass das Problem des Lohndrucks vor allem in der Fleischwirtschaft massiv auftaucht, hat die gleichen Gründe wie in Österreich. Überkapazitäten auf der einen Seite und vor allem ein ruinöser Preiskampf der Supermarktketten auf Kosten der Erzeuger haben die Branche stark unter Druck gesetzt. Und den gibt man gerne an das Personal weiter. Auch in Österreich wurden bereits - in bisher allerdings eher geringem Ausmaß - Arbeitskolonnen aus Portugal, Ungarn oder Slowenien gesichtet. Eingestellt über Werkverträge oder als »Freie Unternehmer«.

Gesetzeslücke

Deutschland und Österreich waren jene beiden Länder, die beim Beitritt der neuen EU-Staaten wegen der direkten Grenze zu diesen Ländern am vehementesten dafür kämpften, dass der freie Arbeitnehmerverkehr zwischen alten und neuen Mitgliedsstaaten bis zu sieben Jahre lang eingeschränkt wurde. Offenbar übersehen wurde jedoch das Kleingedruckte in den Verträgen. Die derzeit in Diskussion stehende Dienstleistungsfreiheit gilt längst, wenn auch, zumindest theoretisch, mit Einschränkungen. Betriebe aus den neu hinzugekommenen Staaten dürfen innerhalb der alten EU-Grenzen ihre »Dienstleistungen«, wie etwa das Zerlegen von Schweinehälften, anbieten und zwar zu den Arbeitsbedingungen ihrer Länder. So gilt plötzlich mitten in Deutschland polnisches Arbeitsrecht und auch die Kontrolle über die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen obliegt den polnischen Behörden! Sozialversicherungsbeiträge werden - theoretisch - in Polen entrichtet. So gehen den deutschen Sozialversicherungen Milliarden Euro verloren und durch kriminelle Machenschaften sehen auch die Krankenkassen oder Pensionsversicherungsträger in den Herkunftsländern teilweise keinen Cent.

Dumm und/oder dreist

Würde alles mit rechten Dingen zugehen, wäre die Situation in der deutschen Fleischwarenindustrie zwar noch immer bedrohlich, aber nicht ganz so dramatisch, wie sie sich derzeit darstellt. Nach geltendem EU-Recht müssten nämlich jene Firmen, die billige Osteuropäer nach Deutschland vermitteln, in der Lage sein, die angebotene Leistung selbständig zu planen, eigenverantwortlich durchzuführen und zu überwachen. Dazu bedarf es entsprechenden Kapitals, Maschinen und Werkzeug. Mit anderen Worten: Der Anbieter von Dienstleistungen muss seine Verpflichtungen auch in einem eigenen Betrieb erbringen können und darf erst dann seine Arbeitnehmer an ein deutsches Unternehmen sozusagen verleihen. Dies ist auch jeweils von der Behörde in Osteuropa zu bestätigen. Ob in dem ganzen Verfahren Beamte bestochen oder Stempel schlicht und einfach gefälscht werden, entzieht sich der Kenntnis der deutschen Dienststellen und erst recht der Unternehmer. Letztere beschwören, dass alles völlig legal abläuft und die entsprechenden Papiere immer vorhanden wären. Gewerkschaftsfunktionäre sprechen ganz offen von mafiaähnlichen Strukturen.

Fernsehteams, die sich auf die Suche nach den angeblichen polnischen Schlachthöfen machten, woher angeblich die Hundertschaften von Facharbeitern und Verpackungsfrauen kommen, standen bei den angegebenen Adressen vor halbverfallenen Bauernhöfen oder Firmentafeln in Neubauvierteln, wo kein Mensch etwas von einem solchen Betrieb weiß. Bei einer Razzia des Zolls vor einigen Monaten stellten sich 29 von 30 untersuchten Dienstleistungsanbietern, wie beispielsweise die Firma »Multijob« aus Warschau, als typische Briefkastenfirmen heraus.

Die deutsche Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sammelt seit längerem Unterlagen in diesem Wirtschaftskrimi, geht mit Klagen gegen die Betriebe vor und unterstützt die Behörden, wo sie nur kann. Razzien in Fleisch verarbeitenden Betrieben oder Schlachthöfen mehren sich, aber nur in wenigen Fällen ist die Beweiskette stark genug, dass es für Verhaftungen oder gar gerichtliche Verurteilungen reicht. Immerhin wurden zwei besonders dreiste Geschäftsführer zu mehrjährigen Freiheitsstrafen und hohen Geldbußen verurteilt, weil das Gericht die illegale Beschäftigung von rund 1.000 Billigarbeitskräften aus Osteuropa verbunden mit gewerbsmäßigem Sozialversicherungsbetrug in 52 Fällen als erwiesen ansah. Die vorgeschobenen Werkverträge hielten einer genaueren Überprüfung nicht stand, weil die Betroffenen nicht nur genau abgesteckte Dienstleistungen erbringen mussten, sondern nach Überzeugung des Gerichts für alle anfallenden Arbeiten verwendet wurden. Ähnliche Anschuldigungen gibt es gegen eine Reihe weiterer Unternehmen.

Drei Euro Stundenlohn

In Deutschland verdienen sie als Hilfsarbeiter etwa so viel wie ein Universitätsprofessor in Polen. Da kann man zumindest für einige Zeit schon bis zu 17 Stunden am Tag Schweinehälften zerlegen oder Hühnerkleinteile verpacken. Die Stundenlöhne liegen bei rund fünf Euro, wenn es hoch hergeht, manchmal aber auch deutlich darunter. An der Spitze oder besser am Ende des Eisberges wurden bei der oben angeführten Firma Stöver 2,28 Euro Stundenlohn bei 80-stündiger Wochenarbeitszeit festgestellt.

Überstundenzuschläge sind allgemein ein Fremdwort. Dafür müssen sich die ausländischen Mitarbeiter oftmals auch Arbeitskleidung und Werkzeug selbst kaufen. Die Unterbringung der modernen Arbeitssklaven erfolgt in Baracken oder bestenfalls in mehrfach überbelegten Siedlungswohnungen. Manchmal müssen sich die ausländischen Kollegen gar ihr eigenes Bett mitbringen, wollen sie nicht auf dem Fußboden schlafen. Auch Heizmöglichkeiten und Schränke fehlen vielfach. In einem Chemnitzer Schlachthof wurden 50 Tschechen und Slowaken einfach im - nun nicht mehr benötigten - Betriebskindergarten untergebracht.

Was Wunder, wenn Danish Crown, der größte Fleischexporteur Europas, inzwischen Deutschland als Billiglohnland entdeckt und einige Betriebe in Dänemark bereits geschlossen hat, weil dort besonders strenge Tarifverträge den Einsatz ausländischer Billigarbeitskräfte weitgehend verhindern. Auch der zweitgrößte europäische Fleischveredler, Bestmeat aus den Niederlanden, drängt in das neue Unternehmerparadies Deutschland.

Gewerkschaftliche Koordination

Der Gewerkschaft NGG geht es keinesfalls darum, Stimmung gegen die ausgebeuteten osteuropäischen Arbeitnehmer zu machen, ganz im Gegenteil. Bei den Arbeitsgerichten liegen hunderte von Klagen wegen Lohndumping mit einem Streitwert in Höhe von mehreren Millionen Euro. Primäres Ziel muss es aber sein, für die Zukunft dafür zu sorgen, dass die geltenden sozial- und arbeitsrechtlichen Bedingungen des Einsatzortes auch für ausländische Firmen und deren Beschäftigte zu gelten haben. Eine weitere Liberalisierung der Dienstleistungsfreiheit, wie sie von der EU-Kommission angedacht wird, würde die bereits bestehenden Probleme noch vervielfachen.

Mitte März dieses Jahres hat die Gewerkschaft Agrar-Nahrung-Genuss (ANG) daher gemeinsam mit der NGG Deutschland sowie Gewerkschaften aus Ungarn, Polen, Dänemark und den Niederlanden ein Projekt zur Sicherung der Sozialstandards und Wettbewerbsfähigkeit im erweiterten Europa gestartet. Auch Arbeitgeberverbände werden darin eingebunden. Ein kurzfristig aufzubauendes Netzwerk mit einer entsprechenden Tarifkoordinierung soll Strukturen zur Verhinderung von Lohndumping schaffen. Vereinbarungen über soziale Mindeststandards mit den Arbeitgebern sollen im Rahmen derer sozialen Verantwortung unerwünschte Nebeneffekte der Dienstleitungsfreiheit möglichst rasch hintan halten.

Karl Demler

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