topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

»Wir wollen bauen eine bessere Welt ...« | Nostalgie oder Strategie?

GESELLSCHAFTSPOLITIK

Podiumsdiskussion im Rahmen des Alfred Dallinger-Forums über die Realisierungsmöglichkeiten einer sozial gerechteren Welt.

Die Sehnsucht nach einer besseren Welt bewegt seit jeher die Menschheit. Die Geschichte dieses Strebens kennt Theorien und praktische Versuche, Erfolge und Niederlagen. Die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung hat sich den Kampf um soziale Gerechtigkeit seit ihren Anfängen zur Aufgabe gemacht und auf diesem Weg auch schöne Erfolge erzielt. Heute aber, in einer Zeit, in der der Gedanke der Solidarität im gesellschaftlichen Bewusstsein einen immer geringeren, der schrankenlose Individualismus dafür einen umso höheren Stellenwert einnimmt und der freie Wettbewerb das Maß aller Dinge zu sein scheint, stellt sich die Frage, ob der alte Anspruch der Arbeiterbewegung, Baumeister einer besseren Welt zu sein, noch aufrecht erhalten werden kann.

Visionen!

Visionen einer besseren Welt inmitten beeindruckender Skulpturen und Plastiken: das Alfred Dallinger-Forum fand diesmal im Anton Hanak und Siegfried Charoux-Museum in Langenzersdorf statt. Nicht ohne Grund: Verlieh doch der Bildhauer Anton Hanak (1875-1934) den Idealen des Roten Wien künstlerischen Ausdruck, und Siegfried Charoux (1896-1967), Bildhauer und Graphiker, kämpfte als Karikaturist der Arbeiter-Zeitung in der Ersten Republik mit spitzer Feder gegen soziale Ungerechtigkeit.

Seit 15 Jahren findet das Alfred Dallinger-Forum nunmehr statt, an jeweils unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Themen, die Arbeitnehmerinteressen berühren. Nach dem Tod des engagierten Gewerkschafters und Sozialpolitikers Alfred Dallinger wurde diese Veranstaltungsreihe vom Institut für Arbeiterbildung als Diskussionsplattform zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen für alle gewerkschaftlich Tätigen und politisch Interessierten ins Leben gerufen.

Gegenentwürfe

Diesmal war das Forum einem Thema gewidmet, das seit jeher die Menschen bewegt: das Streben nach einer besseren, einer sozial gerechteren Welt. Viele gesellschaftliche Gegenentwürfe wurden im Laufe der Geschichte geschaffen, von Thomas Morus’ Utopia (1517) bis Karl Marx. Einen besonders interessanten Ansatz fand Josef Popper-Lynkeus in seinem 1912 erschienenen Werk »Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Fragen«, in dem er einen exakt ausgearbeiteten Plan für eine materielle Grundsicherung vorlegte.

Für die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung steht der Kampf um soziale Gerechtigkeit seit ihren Anfängen im Mittelpunkt der Bemühungen. Noch heute beeindrucken die Leistungen des Roten Wien, in dem eine Stadtverwaltung daran ging, in ihrem Verantwortungsbereich eine bessere Welt zu bauen - und in nur 15 Jahren Veränderungen durchzuführen und Strukturen zu schaffen, die selbst Austrofaschismus und Nationalsozialismus nicht mehr zerstören konnten.

In den Sechziger-, Siebziger- und frühen Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts schien es, als könnte die gesellschaftliche Entwicklung nur mehr geradlinig zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. Der Sozialstaat wurde auf sinnvolle Weise ausgebaut, soziale Bildungsschranken abgebaut und das Rechtssystem einem aufgeklärten Zeitalter angepasst. In dieser Zeit des Aufbruchs schrieb der langjährige Vorsitzende der Privatangestelltengewerkschaft, Friedrich Hillegeist, sein Gedicht »Wir wollen bauen eine bessere Welt«, das der Veranstaltung das Motto gab.

Wer hat Oberwasser

Hillegeist ließ sein Gedicht, das den Optimismus dieser Epoche der Arbeiterbewegung zum Ausdruck bringt, mit den selbstbewussten Zeilen enden: »Wir werden bauen diese neue Welt! Und sie wird sein, auch wenn’s euch nicht gefällt!«

Nun, mittlerweile haben aber jene, denen das nicht gefällt, eindeutig Oberwasser bekommen. Lässt sich heute, im Zeitalter eines siegestrunkenen Neoliberalismus, in dem es kaum mehr gelingt, die wichtigsten sozialen Errungenschaften zu verteidigen, der Anspruch, Baumeister einer besseren Welt zu sein, noch aufrecht erhalten?

Diese Frage wurde im Rahmen des jüngsten Alfred Dallinger-Forums von einem prominent besetzten Podium untersucht. Unter der Leitung von Peter Huemer diskutierten darüber ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, Altkanzler Fred Sinowatz, der unter anderem durch seinen Roman »Gebürtig« bekannte Schriftsteller Robert Schindel und der Historiker Fritz Weber. Die Diskussion zielte nicht auf Konfrontation ab, sondern auf konstruktives Nachdenken über Ursachen und Lösungen. Jeder der Diskutanten stand für einen bestimmten Erfahrungshintergrund, der in die Diskussion eingebracht wurde: Fritz Verzetnitsch als praktischer Gewerkschafter, der sich Tag für Tag ganz konkret mit den Auswirkungen neoliberaler Politik auseinanderzusetzen hat; Fred Sinowatz, der als aktiver Politiker in einer Zeit, in der der Begriff »soziale Reformen« noch Verbesserungen bedeutete und nicht, wie heute, als Bezeichnung für Sozialabbau missbraucht wurde, tatkräftig am Ausbau des Sozialstaates mitwirkte; der sozialkritische Schriftsteller Robert Schindel für die Literaturschaffenden, die zu allen Zeiten die Missstände der Gesellschaft aufzeigten; und Fritz Weber, der als Historiker gewohnt ist, gesellschaftliche Entwicklungen im großen zeitlichen Zusammenhang zu betrachten.

Irgendwann?

Von Beginn an entwickelte sich eine lebhafte und interessante Debatte. Man war sich schnell einig, dass Bemühungen, eine gerechtere Gesellschaft zu gestalten, heute notwendiger, aber auch schwieriger denn je seien. Derzeit geht der Trend ja in die Gegenrichtung: Die bessere Welt wird für die Reichen gebaut, während die sozial Schwächeren immer mehr unter Druck geraten. »Irgendwann«, meinte Robert Schindel, »werden die Menschen sich das nicht mehr gefallen lassen.« Über den baldigen Zeitpunkt des »Irgendwann« war Verzetnitsch angesichts der Ergebnisse der letzten Nationalratswahl zwar eher skeptisch, einig war man sich aber darüber, dass permanente soziale Benachteiligung auch zu demokratiepolitisch bedenklichen Entwicklungen führen kann. Der triumphale Einzug von Neonazi-Parteien in zwei deutsche Landesparlamente im vergangenen Jahr spricht eine deutliche Sprache. Die Mehrzahl der Menschen, so Verzetnitsch, ist über die komplexen politischen Zusammenhänge unzureichend informiert. Viele suchen einfache Lösungen und Sündenböcke.

Die Möglichkeiten der Gewerkschaftsbewegung, mit ihren Informationen und Inhalten an die Menschen heranzukommen, seien, so meinte Fritz Weber, trotz der vermehrten Kommunikationsmittel und der scheinbaren Medienvielfalt schlechter als früher. Welche Informationen - oder Desinformationen - auf breiter Basis vermittelt werden, bestimmen allein die Massenmedien. Und die sind nun einmal fest in der Hand der Wirtschaft.

Kulturpolitik ist Sozialpolitik

Die Meinungsmanipulation der Medien, warf Fred Sinowatz ein, habe es, wenngleich nicht in dieser Intensität, früher auch schon gegeben. Nur habe man innerhalb der Arbeiterbewegung mehr Wert auf persönliche Kontakte untereinander gelegt. Vielleicht sollte man versuchen, die Menschen auch wieder auf der emotionalen Ebene anzusprechen.

Robert Schindel brachte das Gespräch auf den Bereich der Kulturerziehung und -förderung. In den Nachkriegsjahren, so meinte der Schriftsteller, ist es uns sehr schlecht gegangen, aber Kultur konnten wir uns - ebenso wie den Aufbau des Sozialstaates - leisten. Heute, so wird uns eingeredet, könnten wir uns plötzlich das alles nicht mehr leisten. Die Reduzierung des Kulturbudgets geht Hand in Hand mit jener des Sozialbudgets. Die kulturelle Verarmung wird ebenso wie der Anstieg der Armut bedenkenlos in Kauf genommen. Sinowatz, erfolgreicher Kulturminister der Ära Kreisky, fühlt sich angesprochen. Er stimmt Schindel lebhaft zu. »Man traut sich das heute fast nicht mehr sagen«, meinte der Altkanzler, »aber mein Wahlspruch war und ist immer noch: Kulturpolitik ist Sozialpolitik mit anderen Mitteln.« Kultur und Bildung seien unter anderem auch Voraussetzung für eine wache Teilnahme am politischen Leben.

Das führte wieder zum Thema der Desinformation zurück. Viele der Betroffenen durchschauen nicht, was sich hinter den Schlagworten verbirgt: Steuern senken, Sozialversicherungsbeiträge einfrieren - das sei populär, führte Verzetnitsch aus, der mit diesem Problem am meisten konfrontiert ist, und er zeigte an einem einfachen Beispiel - hohe Selbstbehalte, Studiengebühren, etc. - was dahinter steckt: im besten Fall ein Nullsummenspiel, meist jedoch bleibt unter dem Strich weniger in der Börse der Arbeitnehmer.

Auch das Publikum nahm angeregt an der Diskussion teil. Man merkte, das Thema »bessere Welt« ist keine nostalgische Reminiszenz, sondern ein großes Anliegen und bewegte heftig die Gemüter. Fritz Verzetnitsch griff diese positive Stimmung auf und richtete einen Appell an die Teilnehmer der Veranstaltung: »Wenn Sie jetzt von hier weggehen, sprechen Sie in Ihrem Kreis, mit Ihren Freunden und Bekannten über dieses Thema. Versuchen Sie, ein Schneeballsystem in Gang zu setzen. Denn eine bessere Welt kommt nicht von allein.

Der Kampf um soziale Gerechtigkeit darf nie aufgegeben werden, aber er braucht, soll er erfolgreich sein, viele Mitstreiter.«

Naama Magnus

Was wir wollen
Friedrich Hillegeist

Wir wollen bauen eine bessere Welt,
die anders ist als die, die euch gefällt!
Wo nicht mehr Brot und Frucht im Überfluss verderben
und bei gefüllten Speichern Menschen Hungers sterben;
wo länger nicht am Hebel der Maschinen
als Sklaven des Profits die Menschen dienen.
Erst wenn wir schaffen um der Menschheit willen,
dann werden wir der Menschen Hunger stillen.
Wir werden bauen diese neue Welt!
Und sie wird sein, auch wenn’s euch nicht gefällt!

Friedrich Hillegeist (1895-1973), der bereits in der Ersten Republik gewerkschaftlich tätig war und sofort nach dem Anschluss 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet und ins KZ gebracht wurde, war nach dem Zweiten Weltkrieg langjähriger Vorsitzender der Privatangestelltengewerkschaft und maßgeblich an der Schaffung des ASVG beteiligt. 1967 schrieb Hillegeist, der sich auch schriftstellerisch betätigte, oben stehendes Gedicht, das den Optimismus und das Selbstbewusstsein der Arbeiterbewegung dieser Epoche zum Ausdruck bringt, eine sozial gerechtere Welt zu schaffen.

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum