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Sozialpartner fordern Neuorientierung der europäischen Wirtschaftspolitik

SCHWERPPUNKT WIRTSCHAFT

Der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen veröffentlichte vor kurzem das Gutachten »Die makroökonomische Politik und die Lissabon-Strategie der EU«. Er will damit keine umfassende Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie liefern, sondern vielmehr eine Lücke schließen.

Die zahlreichen, aus verschiedensten Quellen stammenden Beiträge zur Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie am Europäischen Ratsgipfel in Luxemburg (22.-23. März 2005) vernachlässigten in ihrer Analyse der bislang enttäuschenden Entwicklung zumeist die Rolle der makroökonomischen Rahmenbedingungen, unter welchen diese Strategie umgesetzt werden soll. Deshalb will der Beirat in dieser Publikation die Bedeutung des makroökonomischen Policymix darstellen und Verbesserungsvorschläge aufzeigen.

Die EU im globalen Umfeld

Einleitend beleuchtet die Studie die Position der EU im globalen Standortwettbewerb: Im Sinne der Erreichung einer dynamischen Wettbewerbsfähigkeit wird ein Kosten- und Preiswettbewerb mit weniger entwickelten Wirtschaftsräumen weder als sinnvoll noch als Erfolg versprechend erachtet.

Der vielfach strapazierte Vergleich mit den USA, der ein deutliches Nachhinken der Pro-Kopf-Einkommen in der EU zeigt, vernachlässigt zahlreiche Eigenheiten der unterschiedlichen Modelle, die sich einer numerischen Bewertung entziehen (z. B. Wertschätzung der Freizeit). Europa sollte sich daher nicht nur andere Länder als Benchmark nehmen, sondern bei der Erfolgsbewertung vornehmlich Faktoren aus der eigenen Vergangenheit (Produktivität, sozialer Zusammenhalt) als Maßstab heranziehen.

In einem zweiten Schritt wird die Bedeutung des Wirtschaftswachstums
für das Erreichen der meisten übrigen Ziele der Wirtschaftspolitik und damit auch der Lissabonziele herausgearbeitet.

EU: zu viel Stabilität, zu wenig Wachstum

Der Beirat kritisiert den mangelhaften Wachstumsfokus der EU-Politik im Vergleich zum Stabilitätsfokus; im Gegensatz zum Haushalts- und Preisstabilitätsziel ist in der EU keine Instanz für das Wachstumsziel verantwortlich. Die in den EU-»Grundzügen der Wirtschaftspolitik« postulierte Politik, welche das Wachstums- gegenüber dem Stabilitätsziel vernachlässigt und die Bedeutung angebotsseitiger Maßnahmen gegenüber nachfrageseitigen Maßnahmen überbetont, konnte der Schwäche der Binnennachfrage und den Herausforderungen des Arbeitsmarktes in Europa nicht entgegensteuern.

Daher schlägt der Beirat eine Neuorientierung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und eine Verbesserung der Koordinierung der einzelnen Bereiche vor, wobei alle Akteure (Regierungen, EZB, Sozialpartner) ihrer Verantwortung gegenüber den in Lissabon festgelegten Wachstums- und Beschäftigungszielen gerecht werden müssen.

Reform des Stabilitätspakts gefordert

Dabei ist insbesondere die aktuelle Ausformung des Stabilitäts- und Wachstums-paktes einer wachstumsorientierten Revision zu unterziehen. Dazu bedarf es unter anderem

  • einer verstärkten Betonung des Schuldenstandes zur Sicherstellung der fiskalischen Nachhaltigkeit gegenüber der Neuverschuldung;
  • einer besseren Abstimmung der nationalen Haushaltspolitiken auf gemeinsame Ziele wie Wachstum, Vollbeschäftigung, Fairness der Verteilung und Konjunkturstabilisierung;
  • besserer Möglichkeiten für die nationalstaatlichen Haushalte, unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden;
  • einer verstärkten Betrachtung struktureller und qualitativer Aspekte an Stelle einer undifferenzierten Betrachtung von Salden;
  • einer Vermeidung prozyklischer Entwicklungen in allen Konjunkturphasen;
  • einer Finanzierungsregel, die der Bedeutung der Investitionen als standortverbessernder, wachstumsfördernder und konjunkturstabilisierender Faktor gerecht wird, indem etwa über den Konjunkturzyklus eine Kreditaufnahme im Ausmaß der öffentlichen Investitionen erlaubt wird, ohne die langfristige Stabilität zu gefährden;
  • im Übrigen sollten auch die einzelnen Komponenten des EU-Haushalts selbst stärker an den Lissabon-Zielen orientiert sein und damit mehr Wachstum und Beschäftigung schaffen.

Die besten Budgetregeln in einem Währungsraum können eine der Wachstumsförderung und Konjunkturstabilisierung verpflichtete makroökonomische Politikkoordinierung aber nicht ersetzen. Damit sind auch die anderen Akteure der Wirtschaftspolitik - und allen voran die unabhängige EZB - aufgefordert, ihren Beitrag für die gemeinsamen wirtschaftspolitischen Ziele zu leisten.

Auch die EZB muss kooperieren

Die EZB soll auf ein Stabilitätsziel im weiteren Sinne verpflichtet werden, welches die Stabilität von Wachstum und Beschäftigung stärker mit einbezieht. Der Beirat spricht sich für eine transparentere Geldpolitik aus, für ein pragmatisches Inflationsziel, welches auch der Erweiterung der Währungsunion gerecht wird, sowie für eine bessere Abstimmung mit der Fiskal- und Lohnpolitik.

Die Lohnentwicklung sollte dabei dem Doppelcharakter der Löhne als Kosten- und als Nachfragefaktor gerecht werden. Wenn mittelfristig Nominallöhne im Ausmaß des Wachstums der Arbeitsproduktivität plus der Inflationsrate wachsen, bleiben die realen Lohnstückkosten konstant.

Bessere Koordinierung notwendig

Um die Vorteile eines gemeinsamen Marktes effizient ausschöpfen zu können, müssen die verschiedenen Elemente der Wirtschaftspolitik innerhalb der Europäischen Union besser koordiniert werden. Dies bezieht sich einerseits auf die bessere Abstimmung der einzelnen nationalen Politiken (z. B. der nationalen Haushaltspolitiken im Stabilitäts- und Wachstumspakt), andererseits auf die verschiedenen Politikbereiche der Makropolitik untereinander (Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik). Dazu bedarf es auch der Bereitschaft aller Beteiligten zu einem konstruktiven, offenen Dialog über grundsätzliche Zusammenhänge und Einschätzungen.

Die Rolle der Sozialpartner muss gestärkt werden (makroökonomischer Dialog im Rahmen des »Köln-Prozesses«, dreigliedriger Sozialgipfel in Vorbereitung von Ratstagungen, Reformpartnerschaften zur Umsetzung des Lissabon-Prozesses), wobei die Mitwirkung der repräsentativen Verbände in allen Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik auszubauen ist.

Auch eine Harmonisierung der Steuersysteme, eine bessere Koordinierung der Währungspolitik auf globaler Ebene sowie eine bessere Koordinierung der Forschungsaktivitäten sind im Binnenmarkt erforderlich.

Elemente einer österreichischen Wachstumsstrategie

Da die Fortschritte der internationalen Integration die nationalen Spielräume deutlich reduziert haben, besteht eine wesentliche Aufgabe der Politik nun darin, mit allen Kräften die europäische Wirtschaftspolitik im Sinne von Wachstum und Beschäftigung umzugestalten. Daneben bestehen aber weiterhin eine Reihe von Handlungsfeldern, die speziell auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung in der österreichischen Wirtschaft gerichtet sind. Der Beirat empfiehlt daher einen breiten nationalen Konsens und ortet dabei insbesondere folgende Möglichkeiten:

  • Die Einnahmen- und Ausgabenstruktur des öffentlichen Sektors sollte im Sinne einer Steigerung der Wachstumsintensität gestaltet werden.
  • Die Fiskalpolitik muss ihre Spielräume, insbesondere zur Konjunkturstabilisierung, umfassend ausnutzen.
  • Der Ausbau der Infrastruktur sollte gezielt auf Wachstum, auf die aus der EU-Erweiterung entstehenden Herausforderungen und auf Technologierelevanz Rücksicht nehmen.
  • Die Qualität und Quantität von Forschungsausgaben ist anzuheben. Neben der Grundlagenforschung muss besonderes Gewicht auf die angewandte Forschung gelegt werden. Aufgrund des hohen Einkommensniveaus und des Entwicklungsniveaus der österreichischen Wirtschaft müssen sich die Ziele in F&E und Innovation an den internationalen Spitzenwerten orientieren.
  • Qualitätsverbesserungen in der Ausbildung (von Lehre bis Post Graduate Studien) und in der Weiterbildung (vom Pflichtschulabschluss bis zur Internationalisierung) sowie die Intensivierung des lebenslangen Lernens sind für den Ausbau der Wissensgesellschaft und den Wissenstransfer essenziell.
  • Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Technologiediffusion und deren Intensivierung auf allen Ebenen (Schulen, Unternehmen, Öffentlicher Sektor) angestrebt werden.
  • Zentrale Headquarterfunktionen müssen erhalten, ausgebaut und gewonnen werden.
  • Die Bildung von Clustern ist ebenso zu forcieren wie die Erzielung von »Doppeldividenden«, indem etwa im Umwelt-, Gesundheits- und Kulturbereich auf besonders wachstumsintensive Segmente gesetzt wird.

Regulierung und Deregulierung können im Sinne des Wachstumszieles gestaltet werden.

Thomas Delapina
Geschäftsführer des Beirats für
Wirtschafts- und Sozialfragen

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