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Bio-Piraten: Bisher ist nur die Habgier globalisiert

MEINUNG

Nur ökologischer Landbau kann die Welt nachhaltig und ressourcenschonend ernähren, betont Vandana Shiva im Interview mit Tansel Terzioglu.

Seit wann gibt es die Globalisierung, wie wir sie heute kennen?
Vandana Shiva: Freihandel und Globalisierung sind mit dem Kolonialismus erfunden worden. So gesehen ist nichts neu an der Art, wie Freihandelsverträge geschrieben werden. Das Ziel ist, privilegierte Rechte für externe Investoren und Händler zu schaffen. Der einzige Unterschied ist: diesmal geht es viel weiter.

Damals konnten sie in Indien bestenfalls die Textilproduktion oder Grundstücke übernehmen. Aber jetzt werden Eigentumsrechte wie Patente für Lebensformen ausgestellt, die das Leben selber als das Eigentum einer Hand voll Unternehmen, speziell in der Biotech-Industrie, definieren.

Was muss getan werden, damit Globalisierung für die Entwicklungsländer funktionieren kann?
Vandana Shiva: Als Allererstes müssen die Exzesse der Welthandelsorganisation WTO und ihrer Regeln erkannt werden. Denn es gibt viele Bereiche wie Landwirtschaft und Nahrung, die einfach nicht in einen Handelsvertrag gehören.

Dienstleistung ist eine Bezeichnung für essenzielle, lebensnotwendige Bedürfnisse - Bildung, Gesundheit und Wasser, all das gehört nicht in einen Handelsvertrag. Diese Bereiche müssen wieder als demokratische, national bestimmte Politikfelder beansprucht werden, in denen gewöhnliche Leute eine Rolle haben.

Erst dann wird die Globalisierung für die Menschen des Südens zu funktionieren beginnen, denn dann werden wir Verantwortung und Mitgefühl globalisieren. Das einzige, was bislang globalisiert wurde, ist die Habgier.

Selbstmordwelle

Steht das im direkten Zusammenhang mit den vielen Bauern-Selbstmorden in Indien?
Vandana Shiva: Diese Selbstmordwelle ist die größte Tragödie der Regeln der Globalisierung, die ich »Regeln des Völkermords« nenne. Zum ersten Mal zwingt eine globalisierte, liberalisierte Landwirtschaft Bauern in die Abhängigkeit von gekauften Gütern. Auf der einen Seite sind das Samen und Chemikalien von Monsanto, die die Produktionskosten in die Höhe treiben und die Bauern in Schulden stürzen; auf der anderen Seite drücken diese Regeln die Preise für Reis, Tee, Bohnen, Kaffee. Wir reden hier über kleine Bauern, die am Ende einer Saison 100 oder 200 Dollar verdienen. Jährlich werden diese Landwirte um 26 Milliarden Dollar bestohlen, zugunsten von Unternehmensprofiten. Die globalen Firmen kaufen die Produkte für ihren Handel fast zum Nullpreis. Das steckt hinter den Bauernselbstmorden, die unvorstellbare Ausmaße angenommen haben. Der Grund für die 25.000 Bauernselbstmorde in den letzten fünf Jahren ist eindeutig die Verschuldung.

EU fördert Agrar-Business

Geht die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU in die richtige Richtung?
Vandana Shiva: Nein. Die GAP war ein verschwenderisches System, da stimme ich zu. Es begünstigt die industrielle Landwirtschaft und die großen Eigentümer und marginalisiert die Familien-Landwirte. Die größte Veränderung durch die Reform ist die entkoppelte Einkommens-Unterstützung, also dass das Einkommen unabhängig davon ist, was und wieviel ein Landwirt produziert. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Präferenz der europäischen Bauern oder der Bürger. Die GAP schreibt lediglich Europas Politik in Übereinstimmung mit dem globalen Agrar-Business um. Entkoppelung bedeutet auch, dass die Produktionskosten nicht im Preis der Handelsware reflektiert werden, diese zwei Sachen werden entkoppelt. Das ist ein fix und fertiges Rezept für diese Unternehmen, um billig einkaufen zu können. Normalerweise funktionieren Agrarsubventionen so, dass die Bauern etwas mehr bekommen als die Produktionskosten und davon leben können. Entkoppeltes Einkommen bedeutet, man bekommt 2000 Dollar, egal wieviel man produziert. Aber in der Zwischenzeit kann man zwei Millionen Dollar Schulden machen. Die GAP-Reform ist eine Pro-Agrarbusiness-Reform, um kleine Bauern noch mehr auszunehmen.

Hoffnung für den Planeten

Sie engagieren sich dafür, dass die Bauern wieder zur traditionellen biologischen Landwirtschaft zurückkehren. Können Biobauern genug produzieren, um die Welt zu ernähren?
Vandana Shiva: Das ist der einzige Weg, genug zu produzieren, um die Welt zu ernähren, angesichts der Tatsache, dass wir keinen Mangel an Menschen haben, aber sehr knapp an Ressourcen auf dem Planeten sind, vor allem an Wasser und an fruchtbarem Land. Nur die nachhaltige Landwirtschaft verwendet Ressourcen effizient. Studien zeigen, dass intensive industrielle Landwirtschaft 300 Einheiten verwendet, um 100 Nahrungseinheiten zu erzeugen. Demgegenüber verwendet ökologische Landwirtschaft fünf Einheiten, um 100 Nahrungseinheiten zu produzieren. Es werden also 295 Einheiten sehr knapper Ressourcen vergeudet. Wir haben eine Wasserkrise, weil die industrielle Landwirtschaft uns zehnmal mehr Wasser verbrauchen läßt, um die gleiche Menge Nahrung zu erzeugen. Wir haben berechnet, dass durch einen Wechsel zu Diversität und zu Getreidearten wie Hirse, die viel nahrhafter sind, die Nahrungsproduktion verfünffacht und die Verfügbarkeit der Nahrung verzwanzigfacht werden könnte.

WTO jongliert mit Volksgesundheit

Welche Auswirkungen hat das WTO-Abkommen über Zugang zu Medikamenten auf Indien?
Vandana Shiva: Indien ist das Land, das den höchsten Anteil an einheimischer Medizin aufweist, die von den Menschen als gelebte Tradition angewandt wird. Ayurveda ist zur Zeit der letzte Schrei auf der ganzen Welt. Unsere Firmen konnten AIDS-Medikamente für 200 Dollar herstellen, während die patentierte Version um 20.000 Dollar verkauft wird. Im Schnitt sind indische Medikamente tausend Mal billiger. Vergangenen Dezember wurden die letzten Änderungen an unseren Patentgesetzen vorgenommen, die es indischen Unternehmen unmöglich machen werden, billige Medikamente zu erzeugen. Genauso wie die indischen Bauern wegen hoher Schulden Selbstmord begehen, sehen wir jetzt schon Trends, dass die Menschen sich für ihre Gesundheit verschulden müssen. Erschwingliche Medizin wird also verschwinden, und wenn sie in Indien verschwindet, dann verschwindet sie auf der ganzen Welt, denn Indien versorgt z. B. Afrika oder Malaysia. Ohne indische Medikamente hätten AIDS-Opfer im Süden keine medizinische Versorgung gehabt. Diese Jongliererei in der WTO mit Volksgesundheit und Recht auf Medizin hat die ganze Angelegenheit so sehr verknotet, dass man genausogut darauf verzichten könnte.

Wo bleibt die soziale Verantwortung?

»Corporate Social Responsibility«, die soziale Verantwortung der Unternehmen, ist in aller Munde. Hat sich im Verhalten der Unternehmen in den letzten Jahren etwas geändert?
Vandana Shiva: Ja, die Sprache, die sie verwenden, und die Broschüren, die sie herausgeben, haben sich verändert. Schauen sie sich Coca-Colas Broschüre an, die ist wundervoll! Aber im wirklichen Leben operiert Coca-Cola krimineller als je zuvor. Denn Handelsliberalisierung bedeutet, dass das ohnehin zerbrechliche System, um Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, völlig demontiert worden ist. Coca-Cola verhält sich wie ein Krimineller in diesem indischen Dorf, wo die Stammesfrauen ihr Trinkwasser verloren haben, weil täglich 1,5 Millionen Liter Wasser gefördert werden. Coca-Cola hat sein Bestes getan, um unsere Frauen zu terrorisieren, unsere Gerichte zu korrumpieren, unsere Beamten zu bestechen. Aber wir haben nicht locker gelassen und einige Schlachten gegen Coke gewonnen. So wie ich Monsanto als Bio-Piraten gebrandmarkt habe, bezeichne ich Coca-Cola jetzt als Hydro-Piraten, weil sie unser Wasser stehlen.

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