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Standpunkt | Gedankenjahr der Vollidioten

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Viele angeblich soziale Unternehmen, investieren eher in "PR" als in ihre Mitarbeiter.

Was denken Sie, Herr Professor, wenn ein Siegfried Kampl ehemalige Deserteure ›Kameradenmörder‹ nennt?« fragte Frau Bischofberger von der "Kronenzeitung" meinen Kollegen und Freund Hugo Pepper. Der antwortete ihr: "Der Kampl ist, verzeihen Sie, ein Kretin. Dafür hab ich keinen Kampl gebraucht, denn auch ich als Widerstandskämpfer musste mir des Öfteren die Frage gefallen lassen: Sie wären also bereit gewesen, auf eigene Kameraden zu schießen? Die Frage ist, von welchen Kameraden wir sprechen. Vielleicht von jenen, die bereit waren, einen an die Wand zu stellen oder aufzuknüpfen?"

Die Rede war vor allem von jenen Fanatikern, die im April und Mai 1945 noch unbedingt weiterkämpfen (und für Adolf Hitler den Krieg noch gewinnen) wollten. So wurden zum Beispiel am 8. April am Floridsdorfer Spitz Offiziere wie Biedermann, Huth und Raschke auf brutalste Art gehängt, weil sie den Wienern die Kämpfe und die Zerstörung der Stadt ersparen wollten.

Pepper in der »Krone«: »Ich versteh’ jeden, dessen einziges Bedürfnis es war, diesen Krieg zu überleben und gesund heimzukommen. Das war ja die große Mehrheit. Und selbst unter den Mitgliedern der NSDAP gab es noch jede Menge Opportunisten. Die Fanatiker, die waren in der Minderheit ...«

Der verhinderte Bundesratspräsident Siegfried Kampl hat die »Krone« vom
1. Mai 2005 gelesen und Hugo Pepper und die Kronenzeitung geklagt. Kampl vor Gericht (laut Austria Presse Agentur): »Das ist das Ärgste, was man einem Menschen sagen kann! Da ist Vollidiot ja noch schöner! Ich bin kein Kretin! Ich bin nicht der blödeste Mensch von Österreich«, wurde Kampl vor Richterin Alexandra Mathes sehr emotional. Man könne ihm nicht nachsagen, »dass ich mich so daneben benommen hätte, dass ich nicht demokratietauglich bin«.

Der daher vom Bundesrat verklagte Pepper ist mittlerweile 85 Jahre alt. Während des Zweiten Weltkriegs zur Deutschen Wehrmacht eingerückt, hatte sich Pepper der Widerstandsbewegung angeschlossen. Die NS-Justiz hatte bereits 1938 gegen ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat ermittelt. Pepper rettete dann unter anderem jugendlichen Deserteuren, die gegen Kriegsende eingezogen worden waren, das Leben, wurde später für seine Verdienste als Freiheitskämpfer von der Republik Österreich dekoriert.

Als er aus den Medien von den Aussagen Kampls hörte, »war ich erschüttert und empört«, erklärte er nun als Beschuldigter. »Ich wollte mit Kretinismus einen Mangel an Urteilsfähigkeit charakterisieren. Sonst wäre so ein Anwurf nicht möglich. Der Widerstand ist ethisch motiviert gewesen, ihn mit Mordlust in Zusammenhang zu bringen, ist ungeheuerlich«, gab Pepper zu Protokoll.

Das Verfahren nahm eine überraschende Wende, als Kampl eindringlich betonte, es wäre ihm nie darum gegangen, Wehrmachtsdeserteure pauschal zu verunglimpfen. Er habe von Einzelfällen gesprochen, »die ich belegen kann«. Vor Pepper habe er »sicher Respekt«. Daraufhin initiierte die Richterin Vergleichsgespräche - und hatte damit Erfolg. Die beiden Streitparteien waren zu öffentlichen Ehrenerklärungen bereit: Kampl stellte zunächst klar, dass er mit seiner umstrittenen Rede in der Länderkammer die Widerstandsbewegung nicht pauschal diffamiert habe bzw. nicht diese Absicht hatte. Im Gegenzug war Pepper bereit, die Bezeichnung "Kretin" zurückzuziehen, worauf Kampl die Klage und letzten Endes auch den Antrag auf Zuspruch einer Entschädigung fallen ließ. Die Kontrahenten einigten sich nach fast einstündiger Verhandlung auch auf Teilung der angefallenen Verfahrens- und Gerichtskosten, so dass der Rechtsstreit außergerichtlich - sprich ohne Urteil - beigelegt werden konnte.

Im Gedenken an die Befreiung von der mörderischen Nazidiktatur vor 60 Jahren wurde von unserer derzeitigen Regierung auch ein »Gedankenjahr« ausgerufen und jetzt sitze ich hier, über die Tastatur meines Computers gebeugt, und denke und denke. Wo sitzen die Mörder und wo die Kretins? Sind wir vielleicht alle verdächtig? Gibt es eine mörderische Gedankenlosigkeit? Jene, die 1945 als Jahr der Niederlage sehen und des Zusammenbruchs, sind das jetzt Kretins oder Vollidioten oder einfach nur unverbesserliche Nazis?

Siegfried Sorz

Literaturhinweis (in Bibliotheken oder antiquarisch erhältlich): Friedrich Vogl: Widerstand im Waffenrock. Österreichische Freiheitskämpfer in der Deutschen Wehrmacht 1938-1945. Europaverlag Wien 1977

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