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50 Jahre ASVG, 50 Jahre soziale Sicherheit

HINTERGRUND

Vor 50 Jahren wurde das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) beschlossen, das einen Grundpfeiler der sozialen Sicherheit in der Zweiten Republik darstellt. Im Parlament fand aus diesem Anlass unser Bundespräsident Heinz Fischer für dieses grundlegende Gesetz würdigende Worte:

Als das ASVG im Jahr 1980 25 Jahre alt war, gab es gleichfalls einen Festakt zur Feier dieses wichtigen Gesetzes. Mein Amtsvorgänger Rudolf Kirchschläger sagte damals:

»Das ASVG und seine Weiterentwicklung sind eine wesentliche Grundlage des sozialen Friedens in Österreich. In Zukunft wird die Arbeit am ASVG sowohl das richtige Augenmaß als auch ein stetes Vorwärtsschreiten erfordern.«

Ich möchte Rudolf Kirchschläger zu dieser Feststellung gerne zustimmen.

Heute im Gedenkjahr 2005 feiert das ASVG also seinen 50. Geburtstag, und es ist mehr denn je eine wesentliche Grundlage unseres Sozialstaates, der sozialen Sicherheit und damit auch des sozialen Friedens. Mehr denn je deshalb, weil das ASVG nach seiner Beschlussfassung vor 50 Jahren etwa 70 Prozent der österreichischen Bevölkerung erfasste, während es heute über 99 Prozent sind.

Mehr denn je aber auch deshalb, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Zahl der Arbeitslosen Fragen der sozialen Sicherheit wieder verstärkt in den Vordergrund rücken.

Brot und Arbeit

Der deutsche Freiheitsdichter Ferdinand Freiligrath, der 1810 in der Nähe von Stuttgart geboren wurde und der auch sozial sehr engagiert war, schrieb in einem seiner eindrucksvollsten Gedichte:

Was wir erwarten von der Zukunft Fernen
Dass Brot und Arbeit uns gerüstet stehen
Dass unsere Kinder in der Schule lernen
Und unsere Greise nicht mehr betteln
gehen.

Diese Ziele, von deren Verwirklichung ein gutes Stück Menschenwürde abhängt, konnten im 19. Jahrhundert und auch am Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht in ausreichendem Ausmaß verwirklicht werden. Wahrscheinlich war das eine der Ursachen für den Aufstieg radikaler Bewegungen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums.

Am Beginn der Ersten Republik gab es wichtige Fortschritte in diesem Bereich, aber die politische und wirtschaftliche Lage in Österreich und in Europa ließ damals den Aufbau eines umfassenden Systems sozialer Sicherheit nicht zu.

1945 erfolgte jener Neubeginn, dessen 60-jähriges Jubiläum einen der zentralen Punkte für das Gedenkjahr 2005 darstellt.

Grundstein für ein Gebäude sozialer Sicherheit

Zuerst musste die politische Wiedergeburt eines eigenständigen demokratischen Österreich bewerkstelligt werden. Dann konnte und musste der materielle Wiederaufbau in Angriff genommen werden und parallel dazu und in weiterer Folge ging es um den Aufbau einer zukunftstauglichen Wirtschafts- und Sozialordnung unter Bedachtnahme auf Fehlentwicklungen aus der Zeit der ersten Republik.

Dabei kam dem ASVG zweifellos eine Schlüsselrolle zu. Es wurde zum Grundstein für ein Gebäude sozialer Sicherheit, das gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder auch gegen die mangelnde Erwerbsfähigkeit im Alter schützen sollte.

Die 89 Druckseiten des Stenographischen Protokolls der Nationalratssitzung vom 9. September 1955, die im Rahmen einer außerordentlichen Tagung einberufen wurde und von 10.00 Uhr vormittags bis 20.40 Uhr abends dauerte, rufen uns die Größe des Augenblickes und die Wichtigkeit der Beschlüsse vor genau 50 Jahren in Erinnerung.

Julius Raab war damals Bundeskanzler.

Karl Maisel war Sozialminister. Johann Böhm Gewerkschaftspräsident und Zweiter Präsident des Nationalrates. Friedrich Hillegeist, der Berichterstatter zum ASVG, war Vizepräsident des ÖGB und einer der Hauptverhandler auf sozialdemokratischer Seite.

Der streitbare christliche Gewerkschafter Erwin Altenburger war einer der Hauptverhandler und Hauptredner für die ÖVP, und der Abgeordnete Jörg Kandutsch, der spätere Rechnungshofpräsident, vertrat die Position des VdU zum ASVG.

Leistung für Millionen Menschen

Das ASVG leistete für unsere Demokratie und für Millionen von Menschen in unserem Land etwas ganz Entscheidendes:

  1. Es schuf Rechtssicherheit in einem für das persönliche Leben jedes Einzelnen und jeder Einzelnen ganz wesentlichen Bereich, nämlich der materiellen Absicherung.
  2. Das ASVG schuf mehr an Gleichheit, indem es den Ausschluss der Arbeiterschaft aus wirksamen Altersvorsorge beendete und ein umfassendes System der Gesundheitssicherung mit gleichem Zugang zustande brachte.
  3. Das ASVG war ein großes Werk der Kodifikation, das eine Vielzahl einzelner aus unterschiedlichen historischen Epochen und z.T. aus dem Deutschen Reich stammender Rechtsvorschriften in einem Text zusammenfasste.
  4. Das ASVG bildete eine solide Basis für den weiteren Ausbau des Sozialstaates.

Soziale Gerechtigkeit

Dieser Ausbau erfolgte durch die zunächst absolut nicht unbestrittene Ausdehnung von Grundgedanken des ASVG auf Gewerbetreibende (GSPVG) und auf die bäuerliche Bevölkerung (LZVG). Sie erfolgte aber auch durch den schrittweisen weiteren Aufbau und Ausbau des Sozialstaates.

14 Pensionen im Jahr, eine Witwenpension von 60 Prozent, einen Hilflosenenzuschuss, etc. sind Errungenschaften, die es zur Zeit der Beschlussfassung des ASVG noch nicht gab, sondern die erst in den nachfolgenden Jahren in das ASVG eingebaut wurden. Daher sollte man auch die mehr als 60 Novellen nicht als Beweis für mangelhafte legistische Qualität betrachten, sondern als den legistischen Niederschlag weiterer sozialpolitischer Fortschritte.

Das ASVG ist heuer 50 Jahre alt geworden. So wie der Staatsvertrag, die Neutralität, das Wehrgesetz, die UNOMitgliedschaft oder die wieder aufgebaute Staatsoper.

Das ASVG, dieser zentrale Teil des in Paragraphen gegossenen Sozialstaats, kann nicht statisch gesehen werden. Auch in Zukunft werden Anpassungen mancher Elemente unseres Systems sozialer Sicherheit an gesellschaftliche Entwicklungen notwendig sein. Aber eines steht für mich fest: Wir haben heute noch allen Grund für Respekt gegenüber der sozialen Gesinnung jener, die das ASVG erarbeitet und durchgesetzt haben und wir haben allen Grund, eine wichtige Lehre aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht zu vergessen, nämlich dass zwischen sozialer Stabilität und politischer Stabilität ein enger Zusammenhang besteht.

Zusammenfassend kann man festhalten: Das Prinzip sozialer Gerechtigkeit war ein Bauelement unserer II. Republik und soll auch in Zukunft ein Bauelement unseres Landes und der europäischen Gesellschaftsordnung bleiben.

Der 50. Geburtstag des ASVG ist ein Anlass, das Bekenntnis zum Sozialstaat zu bekräftigen und den Sozialstaat gemeinsam mit der Marktwirtschaft und der Demokratie als Bauelemente des europäischen Gesellschaftsmodells zu definieren.

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(C) AK und ÖGB

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