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Für eine gerechtere Welt

HINTERGRUND

In einer »Pressestunde« im Fernsehen ist Ende September Fritz Verzetnitsch zwei Journalisten Rede und Antwort gestanden. Zum Nachlesen bringen wir hier Auszüge aus dieser Diskussion, damit auch Sie Argumente und Gegenargumente kritisch überprüfen können.

Andreas Unterberger: Herr Präsident, kann die Arbeitsmarktsituation eine 3,1-prozentige Lohnrunde ertragen? Die Ertragslage, die Produktivität sind gut, aber es werden wieder einige aus dem Arbeitsmarkt durch eine hohe Lohnrunde ausgeschlossen ...
Fritz Verzetnitsch:
Die Rationalisierung schreitet fort, egal wie hoch die Lohnrunden sind. Wenn ein Unternehmen in der Entwicklung der Technologie einen Vorteil sieht, dann wird es den ziehen. Würde Ihre Theorie stimmen, müsste in den Ländern mit wesentlich niedrigeren Löhnen eine wesentlich höhere Beschäftigung erzielbar sein. Faktum ist, dass wir als Gewerkschaftsbewegung nie eine Politik gefahren haben, die nur den Arbeitsplatzbesitzenden zugute kommt. In Österreich ist das Arbeitsvolumen in den letzten fünf Jahren um mehr als zwei Prozent zurückgegangen. Der Zuwachs an Beschäftigung hat nicht in den Vollzeitarbeitsplätzen stattgefunden, sondern in Geringfügigen- und Teilzeitbeschäftigungen.

Immer wieder sagen uns die Arbeitgeber: Wenn ihr zurückhaltend seid in den Lohnrunden, wird es neue Arbeitsplätze geben. Diese Zurückhaltung ist nicht honoriert worden. Sie können in Ihrer Zeitung die Artikel der Wirtschaftsforscher nachlesen, zum Thema: Woran hinkt Europa? An der Binnennachfrage, heißt Kaufkraft. Die Menschen sind zurückhaltend, weil sie Angst um ihre Zukunft haben. Es verbreitet kaum jemand Zukunftshoffnung. Jeder sagt nur: Sparen, sparen, sparen. Sie selbst haben in einem Artikel gemeint, wir müssten uns in der Lohnpolitik am Billigsten orientieren. Ein Hemd kostet in Vietnam ab Fabrik einen US-Dollar. Wollen wir uns an 40 Dollar Monatslohn orientieren? Dann könnten wahrscheinlich viele Leser gar nicht mehr die Wiener Zeitung kaufen.

AU: Gerade ihre Mitglieder und deren Familien profitieren davon, dass man sich billige Kleider kaufen kann.
Sie profitieren aber auch von ordentlichen Lohnbedingungen, denn dafür leisten sie die entsprechende Arbeit. Wer glaubt, dass er mit immer billigeren Löhnen die Welt weiter bewegen kann, der irrt gewaltig. Die Massenkaufkraft ist entscheidendend für die wirtschaftliche Entwicklung, nicht nur in unserem Land. »Geiz ist geil« ist für mich keine lohnpolitische Dimension.

Waltraud Langer: Woher kommt das Hemd, das Sie anhaben?
Ich denke, das ist ein europäisches Hemd. Zumindest steht das in der Marke drin.

WL: Achten sie darauf?
Ich achte schon darauf, aber ich mache darauf aufmerksam: Wenn dieses Hemd in Vietnam um einen Dollar ab Fabrik verkauft wird und dann noch »Made in Germany« drinnen steht, dann kann es nicht um einen Dollar in Deutschland gekauft werden. Es geht nicht darum, wer der Billigste ist, sondern darum, ob das Unternehmen so geführt wird, dass es den Arbeitnehmern, der Gemeinschaft, den Aktionären und den Unternehmern gemeinsam gut geht.

WL: Sie haben angekündigt, dass es bis Jahresende Vorschläge der Sozialpartner zum Thema Arbeitszeit geben wird.
Man soll das Thema in den Lohnrunden behandeln. Ich bin viel in Betrieben unterwegs und habe gefragt, ob es konkrete Probleme mit der Arbeitszeit gibt. Der Ruf kam nicht so, dass wir unbedingt eine Änderung brauchen. Wir haben viele flexible Regelungen in den Kollektivverträgen. Arbeitszeit ist eine Frage des Einkommens, der Verteilung der vorhandenen Arbeit, des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wenn es konkrete Vorschläge zur Arbeitszeitregelung gibt, die Arbeitnehmern und Arbeitgebern nützen, dann haben sich die österreichischen Gewerkschaften nie verschlossen.

AU: Sind Sie noch immer für eine Verkürzung der Arbeitszeit?
Es ist nach wie vor ein Mittel um vorhandene Arbeit aufzuteilen, nicht das einzige. Die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze geht zurück. Zunahme gibt es nur bei Geringfügigen- und Teilzeitbeschäftigung. Das ist auch eine Form der Arbeitszeitverkürzung, aber nicht die, die ich mir vorstelle.

Das vorhandene Arbeitsvolumen muss so gestalten werden, dass die Gesundheit, die Gesellschaft, der Einzelne Mitgestaltungsmöglichkeiten hat. Wir haben in Österreich, sowohl im Arbeitszeitgesetz, vor allem aber in den Kollektivverträgen, viele flexible Gestaltungsmöglichkeiten. Würde man sie nutzen, wäre vieles ausgeräumt, was heute in der Überschriftendebatte da ist.

WL: Ein großes Thema ist der Abbau der Arbeitslosigkeit. Sind sie mit dem Beschäftigungspaket der Regierung zufrieden?
Ich bin nicht ganz zufrieden. Man kann ja mit Fakten nachweisen, dass es sehr lange gedauert hat, bis die Regierung überhaupt eingelenkt hat.

WL: Aber jetzt passiert etwas ...
Es wurden einige Elemente übernommen, aber man ist auf halbem Weg stehen geblieben. Die Arbeitslosenstatistik von August zeigt, dass mehr als die Hälfte der Arbeitslosen zumindest einen Lehrabschluss hat. Das heißt, wir haben Menschen mit hoher Qualifikation. Wenn keine Arbeit zur Verfügung steht, nützt auch die Qualifikation nichts. Was von der Regierung im Sinn von Qualifikation angedacht ist, ist zu unterstützen. Ich wünsche mir aber, dass bei der Wiedereingliederungshilfe für Frauen nicht nur Geld an Unternehmen gegeben wird, damit Frauen eingestellt werden, sondern auch um diesen Frauen die Chance auf eine höhere Qualifikation zu geben.

Bei den Jugendlichen haben wir mehr als 158 Millionen Förderungen für Lehrstellen. Dennoch haben wir zur Zeit noch immer das Problem, dass fast 18.000 Jugendliche - rechnet man bis zum 25. Lebensjahr fast 40.000 - einen Arbeitsplatz suchen. Dennoch schaffen wir es nicht, eine durchgehende Lehrlingsausbildung anzubieten. Der »Blum-Bonus« ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich würde mir wünschen, dass ausbildende Betriebe Unterstützung bekommen und die Betriebe, die nicht ausbilden, diese Unterstützung dementsprechend bezahlen, wie das in Vorarlberg der Fall ist.
Problematisch finde ich auch den so genannten Kombilohn.

WL: Was ist das genau?
Die Regierung vertritt die Auffassung, dadurch für Jugendliche, Langzeitarbeitslose oder Ältere im Niedriglohnbereich neue Arbeit schaffen zu können, indem man dem Unternehmen 15 Prozent der Lohnsumme von bis zu 1000 Euro als Förderung gibt. Je nachdem, wie hoch das Einkommen bis 1000 Euro brutto ist, kommen zwischen fünf und 50 Prozent Subvention dazu. Würde man dieses Geld verwenden, die Menschen höher zu qualifizieren und in Beschäftigung zu bringen, wäre das sinnvoller als der Kombilohn. Ich sehe hier die große Gefahr - und da stimmt mir der Generalsekretär der Wirtschaftskammer zu -, dass damit die Dequalifizierung weiter gefördert wird.

WL: Mit Ausnahme des Kombilohns geht die Regierung bei der Arbeitsmarktpolitik in die richtige Richtung?
Sie macht das Richtige, sie bleibt nur auf halbem Weg stehen. Weil es eben keine Stärkung der Kaufkraft, keine wirkliche Investitionen in die Zukunft gibt. Wir liegen im OECD-Ranking, was Infrastrukturinvestitionen anlangt, an letzter Stelle.

AU: Stichwort Jugendbeschäftigung. Potentielle Lehrherren nehmen keinen, den sie drei Jahre nicht loskriegen.
Ich bin froh, dass viele Medien Kampagnen für Lehrplätze machen. Da kommt das Beispiel auch vor, dass man sagt, man könne einen Lehrling nicht loswerden. Faktum ist, dass es hier um eine Ausbildungsverpflichtung geht. Beide Seiten schließen einen Vertrag. Ich hatte als Lehrling eine Probezeit von einem Monat, jetzt haben wir drei Monate. Ich hatte in meiner Lehrzeit sechs Monate Behaltezeit. Jetzt gibt es nur mehr drei Monate.

Ein weiterer Punkt ist: Mehr als 20 Prozent der Lehrverträge werden in der Probezeit, mehr als 30 Prozent innerhalb eines Jahres einvernehmlich gelöst. Die Betriebe liegen völlig falsch, wenn sie sagen, sie bräuchten jetzt keine Lehrlinge. Im Jahr 2010 dreht sich die gesamte Bevölkerung Richtung älter Werdende. Wir brauchen den beruflichen Nachwuchs. Hier richtet sich die Kritik auch an die öffentliche Hand. Wir hatten vor drei Jahren wesentlich mehr Lehrlinge im öffentlichen Dienst.

WL: Ist es ein Ziel für Sie in der österreichische EU-Präsidentschaft im kommenden Halbjahr, bei der Dienstleistungsrichtlinie noch gravierende Änderungen zu erreichen?
Frau Langer, ich glaube, dass wir zuvor schon darüber diskutieren müssen. Das Europäische Parlament wird in Straßburg am 27. Oktober neuerlich über diese Frage abstimmen. Mir geht es darum, dass der österreichische Standpunkt, der auch im Frühjahr gegolten hat, wirklich umgesetzt wird. Nämlich dass »faire Dienstleistung« auch heißt, »unter fairen Arbeits- und Konsumentenschutzbedingungen«, und unter Nichteinbeziehung der so genannten öffentlichen Bereiche, wie Wasser, Strom oder Gesundheit. Ich glaube, dass wir uns da als Österreicher jetzt schon positionieren müssen.

WL: Derzeit sehen 40 Prozent der Österreicher den EU-Beitritt als wirtschaftlich falsche Entscheidung. Was kann man gegen diese Stimmung tun?
Ich glaube, dass die Stimmung einfach das wiedergibt, was die Menschen erleben. Wahrscheinlich kann man einen Menschen, der Sorge um seinen Arbeitsplatz hat, nicht damit gewinnen, indem man sagt, der gesamten österreichischen Wirtschaft geht es sehr gut. Das »Fühlbarmachen« für den Einzelnen muss im Vordergrund stehen. Das war ja das Faszinierende am Lissabon-Prozess, der 2000 von allen Regierungschefs beschlossenen wurde, und wo es darum gegangen ist, bis 2010 Vollbeschäftigung und eine wissensbasierte Gesellschaft zu haben und den Wohlstand weiter voranzutreiben.

AU: Oberstes Ziel war die Wettbewerbsfähigkeit, die von Ihrer Seite so gern unter den Tisch argumentiert wird.
Herr Unterberger, die Wettbewerbsfähigkeit ist für mich neutral.

AU: Wettbewerbsfähigkeit hängt von der Flexibilität des Arbeitsmarktes, von den Lohnkosten, ab.
Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie immer nur die eine Seite sehen, gestehen Sie mir zu, dass ich einen etwas breiteren Standpunkt habe. Dort wo die Mitbestimmung und der soziale Zusammenhalt stärker verankert sind, ist es trotzdem möglich, exzellente Wirtschaftsleistungen zu bringen. Denken Sie an die skandinavischen Staaten. Wenn Sie Europa ansprechen: Das europäische Projekt ist unabdingbar und wichtig. Seit den Römischen Verträgen 1956 wurde die Wirtschafts- und Sozialunion festgeschrieben. Es darf nicht fortgesetzt werden, dass man jetzt immer sagt: »Soziales, bitte warten.« 20 Millionen Menschen sind ohne Arbeit in Europa. Welche Kaufkraft steht da dahinter?

WL: Was kann man gegen diese Arbeitslosigkeit tun?
Das wirklich ernst nehmen, was auch beim Euro passiert ist. Die Regierungschefs haben sich zur Einführung entschieden. Fast zur gleichen Zeit haben sie sich für die Vollbeschäftigung entschieden. Wie groß ist die Verantwortung der Regierungsverantwortlichen - seien es Arbeitsminister, Wirtschaftsminister, Finanzminister - koordiniert zusammenzuarbeiten? Wie schaut denn die europäische Wirtschaftspolitik aus? Das ist doch in Wirklichkeit ein Nebeneinander, oft auch ein Gegeneinander. Das hindert uns, den Menschen das Gefühl zu geben, dass dieses Europa für die Menschen und nicht nur für Unternehmen und für die große politische Linie ist.

WL: Ob Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Regierung: eigentlich hat niemand ein Problem mit Ihnen. Sind Sie zu angepasst?
Die jetzige Diskussion, auch mit Ihnen, hat bewiesen, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Wenn Sie eine Funktion übernehmen, wie mir das 1987 möglich geworden ist durch das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen, nach Anton Benya, einem Denkmal der österreichischen Gewerkschaftsbewegung, dann soll man nicht persönlich das Gefühl haben, dass man jetzt von heute auf morgen alles kann. Und wenn jetzt anlässlich der 60-Jahr-Feier des Gewerkschaftsbundes und auch des persönlichen Geburtstages diese Einstellung da ist, ist sie für mich ein Beweis dafür, dass die österreichische Gewerkschaftsbewegung anerkannt ist. Denn ich bin der Sprecher dieser Organisation, und wenn man das persönlich vermitteln kann, ist es gut. Aber eigentlich sehe ich das immer wieder mit Stolz als Erfolg der österreichischen Gewerkschaftsbewegung.

WL: Sie sind jetzt seit 18 Jahren ÖGB-Präsident. Ist es da nicht Zeit, sich um den Kronprinzen zu kümmern?
Ich bin froh, dass das keine Einzelperson entscheidet. Das ist eine Entscheidung, die die Delegierten beim Kongress zu treffen haben. Ich bin Anhänger einer Politik, wo es nicht darum geht, Kronprinzessinnen oder Kronprinzen in die Auslage zu stellen, sondern in einem Team zu arbeiten, im Interesse der Menschen in unserem Lande, die hoffentlich auch der Überzeugung sind, dass nur mitgliederstarke Gewerkschaften etwas bewegen können. Deswegen bin ich auch Anhänger, dass man Mitglied im ÖGB wird. (...) Schwache Gewerkschaften können keinen 13. oder 14. Monatsgehalt garantieren, den gibt es nicht per Gesetz, sondern nur per Kollektivvertrag. Schwache Gewerkschaften schaffen nicht die Lohnrunde, die die Metallarbeiter und Privatangestellten jetzt zustande gebracht haben. Schwache Gewerkschaften können nicht soziale und wirtschaftliche Entwicklung im Interesse der Arbeitnehmer beeinflussen.

AU: Aber Sie haben nicht nur in Österreich, sondern es haben in Wahrheit alle Gewerkschaften ein Problem. Das hängt schon damit zusammen, dass sie das Kapital der Gegenseite nicht mehr festbinden können. Die kann überall hin investieren. Was wollen Sie da noch wirklich in einem Land regeln?
Das geht auch nicht in einem Land, weswegen es ja im nächsten Jahr, in Wien aller Voraussicht nach, die Gründung eines einheitlichen Weltgewerkschaftsbundes geben wird.

AU: Der einen Weltstreik macht?
Es geht nicht um einen Weltstreik, sondern um die Bemühung der Regierungen, der politischen Gruppierungen und der Non-Profit-Organisationen, eine gerechtere Welt zum Maßstab zu haben und nicht eine, wo das Geld regiert.

WL: Herr Chefredakteur Unterberger, Herr Präsident Verzetnitsch, ich bedanke mich bei Ihnen beiden sehr herzlich, dass Sie hier zu Gast waren.

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