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Jugend ohne Job

HINTERGRUND

Die Jugendarbeitslosigkeit zählt zu den drängendsten Problemen. Besonders ernüchternd ist die Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Trotz vieler Sonntagsreden schenkt man unseren jüngsten Arbeitnehmern nicht das Augenmerk, das sie verdienen. Der Rechenstift schreibt auch unglückliche (Berufs-)Biografien.

Man kann die Verzweiflung spüren. Und auch den verhaltenen Zorn, der dahinter steht. Katrin (17) hat nach zig Bewerbungsschreiben und ebenso vielen Absagen ihr optimistisches Lächeln endgültig verloren. Trotz respektabler Zeugnisnoten sieht sie heute nur mehr geringe Chancen, ihren Traumberuf »Bürokauffrau« zu erlernen. Die Unmöglichkeit, einen passenden Job zu finden, erlebt Katrin freilich nicht als politisches, sondern als zutiefst persönliches Versagen, das an ihrem Selbstwert nagt.

Warteschleife

Nicht anders die Situation bei Aydin: Der 16-Jährige wollte ursprünglich als Mechaniker oder Installateur ins Berufsleben starten. Jetzt steht er wie viele andere seiner Altersgenossen in der Warteschleife. Aydin bekommt die Härte des Arbeitsmarktes ganz besonders zu spüren. Aufgrund von Sprachproblemen ist der gebürtige Türke den schulischen Anforderungen nie ganz gerecht geworden. Als »arbeitsloser Ausländer«, wie er sich selbst bezeichnet, fühlt er sich so gleich »doppelt« an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Geradezu aussichtslos gelten Vesnas Perspektiven: Sie kann sich nur schwer mitteilen, deutsche Texte kaum (sinnerfassend) lesen und hat obendrein auch mit ihrer Muttersprache Bosnisch Probleme. Für die Schule galt sie immer schon als hoffnungsloser Fall. Und genau so fühlt sie sich jetzt auch.

Hier handelt es sich nicht um bedauerliche Einzelschicksale oder gar um Jugendliche, die zu faul zum Arbeiten wären. Ganz im Gegenteil: Auch wenn Katrin, Aydin oder Vesna es nicht so klar und eindeutig formulieren, so wissen sie doch, dass eine Lehrstelle mehr ist als bloßer Gelderwerb. Richard Krisch vom Verein Wiener Jugendzentrum sieht hinter dem arbeitsmarktpolitischen Dilemma auch ein gesellschaftspolitisches: Arbeitslosigkeit hat gravierende Folgen für jede Biografie, weil »die Entwicklung von Identität und Lebensperspektiven Jugendlicher untrennbar mit der schulischen und beruflichen Integration verknüpft ist«. Tatsache ist ebenso, dass nur mit einer geglückten beruflichen Sozialisation all jene Fähigkeiten erworben werden können, die eine gedeihliche berufliche Laufbahn zulassen. Oder anders ausgedrückt: Wer zwischen 15 und 25 beruflich nicht auf die Beine kommt, ist und bleibt von Arbeitslosigkeit besonders bedroht.

Stichwort Qualifikation

In der Gliederung der Gesamt-Arbeitslosen nach ihrem Ausbildungsstand zeigt sich, dass 44% der Jugendlichen keine über den Pflichtschul-Abschluss hinausgehende Berufsqualifikation haben. Bei den Absolventen einer Lehre liegt der Prozentsatz noch immer bei 33,1. Die viel und gern zitierte »Karriere mit Lehre« ist über weite Strecken zu einer Schimäre verkommen.

Das Zahlenmaterial ist jedenfalls erdrückend: In den letzten fünf Jahren hat die Zahl jobsuchender Jugendlicher explosionsartig zugenommen und sich mit rund 55.000 gegenüber 2000 beinahe verdoppelt. Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist weiterhin angespannt. Das Arbeitsmarktservice (AMS) meldet Anfang August 10.916 Lehrstellen Suchende, denen lediglich 3182 offene Lehrstellen gegenüberstehen. Im August 2000 war das Verhältnis günstiger gewesen. Damals gab es mit 3390 etwas mehr freie Lehrstellen, und mit 7064 doch deutlich weniger Lehrstellen Suchende.


DAS AUFFANGNETZ

Um auch jenen Jugendlichen, die keine reguläre Lehrstelle finden, die Chance auf eine Berufsausbildung zu geben, werden seit 1998 Lehrgänge nach dem Jugendausbildungssicherungsgesetz (JASG) durchgeführt. Ursprünglich hatte das Gesetz zwischen Lehrgängen und Stiftungen unterschieden. Lehrgänge sind 10 Monate dauernde Veranstaltungen, in denen Fertigkeiten und Kenntnisse eines Lehrberufes vermittelt werden. Lehrlingsstiftungen sind selbständige Ausbildungseinrichtungen im Sinne des Berufsausbildungsgesetzes. Die Novelle 2000 zum JASG sieht jedoch vor, dass keine Stiftungen mehr neu errichtet werden dürfen. Nach Ablauf des zehnmonatigen Kurses sollen die Jugendlichen in ein ordentliches Lehrverhältnis vermittelt werden. Eine Auflage, die aufgrund der Lehrstellensituation nicht immer erfüllt werden kann. Immer wieder fordern die Gewerkschaften eine Aufstockung und Verbesserung des so genannten Auffangnetzes. So sei derzeit eine Aufstockung auf 10.000 Plätze (statt rund 8000) erforderlich, meint der Leitende Sekretär im ÖGB Richard Leutner. Garantiert müsse auch werden, dass die Jugendlichen - im »Notfall« - bis zum Lehrabschluss im Auffangnetz bleiben können.

Erfolg für ÖGB und AK

Anfang September schenkte die Regierung den langjährigen Forderungen der Arbeitnehmervertretung Gehör und beschloss, die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik um rund ein Drittel auf 284,6 Millionen Euro aufzustocken. Eine der Zielgruppen des Beschäftigungspaketes sind Jugendliche. So wird an das Nachholen eines Hauptschulabschlusses bzw. an Sprach- und Buchhaltungskurse sowie Facharbeiterintensivausbildung gedacht. Mit 1. September startete das AMS zudem ein Fördermodell zur Schaffung »neuer« Ausbildungsplätze. Unternehmen, die zusätzliche Lehrlinge ausbilden, kassieren im ersten Lehrjahr monatlich 400 Euro, im zweiten Lehrjahr 200 Euro und im dritten Lehrjahr 100 Euro. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Zahl der Lehrlinge im Betrieb (mit der Einstellung der neuen Lehrlinge) höher ist als 2004. Um unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden, wurde die Förderung an die Bedingung geknüpft, dass auch zu Beginn des zweiten und dritten Lehrjahres die Lehrlingszahl höher als 2004 ausfallen muss. Das heißt: ausgelernte Lehrlinge müssen nachbesetzt werden.


B I L D U N G S S T U F E N

Die Primarstufe umfasst die

  • Kindergärten,
  • Volksschulen (Oberstufe),
  • Sonderschulen und Integrativer Unterricht.

Die Sekundarstufe umfasst die

  • Volksschulen (Oberstufe),
  • Sonderschulen und Integrativer Unterricht (Oberstufe),
  • Hauptschulen
  • Polytechnische Schulen
  • AHS - Allgemeinbildende Höhere Schulen
  • BS - Berufsschulen
  • BMS - Berufsbildende Mittlere Schulen
  • BHS - Berufsbildende Höhere Schulen
  • Aufbaulehrgänge
  • Gesundheits- und Krankenpflegeschulen
  • Ausbildungen Nichtärztlicher Gesundheitsberufe

Skepsis ist angebracht

Grundsätzlich positiv, gemischt mit Skepsis, äußerte sich die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) gegenüber den geplanten Regierungsmaßnahmen zur Jugendarbeitslosigkeit. »Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung ihre Versprechen diesmal auch wirklich umsetzt. Das Arbeitsmarktpaket darf kein Marketinggag bleiben«, sagte ÖGJ-Vorsitzender Jürgen Eder.

ÖGJ-Sekretär Mario Lindner erinnerte daran, dass sowohl Bundeskanzler Schüssel als auch Wirtschaftsminister Bartenstein bereits mehrmals angekündigt hätten, dass künftig kein Jugendlicher mehr auf der Straße stehen werde. ÖGJ-Vorsitzender Eder: »In der Zwischenzeit hat sich die Jugendarbeitslosigkeit beinahe verdoppelt, auf derzeit rund 55.000. Den Lippenbekenntnissen der Regierung sind bis jetzt nur Notmaßnahmen gefolgt - zu wenig und zu spät. Die Jugendlichen dürfen nicht länger mit Versprechen abgespeist werden - jetzt müssen Taten folgen.«

Das »Lehrlingsproblem« ist nicht über Nacht über uns hereingebrochen, erklärt AK-Lehrlings- und Bildungsexpertin Edith Kugi. Und so wie es aussieht, wird man es auch nicht von heute auf morgen lösen können. Nicht punktuelle Änderungen, sondern umfassende Konzepte sind nötig.


I N F O R M A T I O N

Kein Netz für Tschapperln

Nicht nur die Aufstockung auf 10.000 »Auffangnetzplätze« ist dem ÖGB ein Anliegen. »Man muss auch wieder in Richtung Stiftung gehen«, ist Alexander Prischl, Leiter des Referats für Berufsbildung des ÖGB, überzeugt. »Wobei es gleichgültig ist, ob der Name ›Stiftung‹ oder anders lautet. Es geht darum, dass die Perspektive besteht, die Lehrausbildung abzuschließen.«

Der gelernte Maschinenbauingenieur nimmt »zur Kenntnis, dass die Wirtschaft nicht genügend Kapazitäten aufbringt«, um alle unterzubringen, die einen Lehrplatz suchen. »Daher brauchen wir entsprechende Maßnahmen. Das so genannte Auffangnetz gibt es schon seit Jahren. Wir haben gesehen, dass dies keine kurzfristige Maßnahme ist, sondern langfristig benötigt wird.«

Der Name »Auffangnetz« ist nach Ansicht des Bildungsgewerkschafters irreführend. Er legt nahe, dass ein Tolpatsch am regulären Markt gestolpert ist und noch einmal aufgefangen wurde. Ein Ruf, den Prischl gerne beseitigt sähe: »Es ist ja nicht so, dass in diesen Maßnahmen Tschapperln drinnen sind. Unser oberstes Ziel ist es, dass jeder Jugendliche einen qualitativ guten Lehrplatz bekommt. Dazu beitragen könnte der Ausbau überbetrieblicher Einrichtungen, um das zu unterrichten, was Betriebe nicht unterrichten können. Etwa neue Lehrberufe, wie Mechatroniker oder Prozessleittechniker, die noch gar nicht bekannt sind.«

Stiefkind Lehre

Zum einen geht es darum, der Lehrlingsausbildung wieder jene bildungspolitische Wertigkeit zukommen zu lassen, die ihr auch zusteht. Denn: Die duale Ausbildung und damit die Berufsschule ist mit etwa 130.000 Jugendlichen noch immer der dominante Zweig der Sekundarstufe (siehe Kasten). Im Vergleich dazu zählen Berufsbildende Höhere Schulen (Handelsakademie [HAK], Höhere Technische Lehranstalt [HTL], Höhere Bundeslehranstalt [HBLA], etc.) über rund 110.000, die AHS-Oberstufe 74.000 und die Berufsbildenden Mittleren Schulen (Fachschulen, Handelsschulen etc.) an die 50.000 Schüler und Schülerinnen. In der Öffentlichkeit führen Lehre und Berufsschule ein eher stiefmütterliches Dasein.

Experten orten schon in der Primarstufe, die auf die Sekundarstufe vorbereiten soll (siehe Kasten) den größten Handlungsbedarf. Rund 5% der 15-Jährigen, das sind immerhin 50.000 Jugendliche, schaffen keinen Hauptschulabschluss. Diese Schülerklientel zeigt Teilleistungsschwächen, etwa in Rechnen, aber auch Defizite in der mündlichen Ausdrucksweise und zum Teil erhebliche Leseschwächen. Wenn internationale Studien von 300.000 bis 600.000 (funktionellen) Analphabeten hierzulande sprechen, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Zusätzlich verschärfend wirkt die Drop-Out-Rate bei den 15-Jährigen in weiterführenden Schulen: 17% der SchülerInnen in Berufsbildenden Höheren Schulen beenden ihre Laufbahn nach oder während der 1. Klasse; in den Berufsbildenden Mittleren Schulen sind es sogar 26%. Insgesamt haben im vergangenen Jahr 13.000 von 90.000 15-Jährigen ihre Schulausbildung mehr oder weniger freiwillig abgebrochen. Diese Gruppe drängt zusätzlich in die Betriebe.

Lehrplätze sind echte Mangelware geworden. Ihre Zahl verringerte sich seit 1990 prozentuell am stärksten im Handel (-42,2%), in der Industrie (-28,9%) sowie in der größten Ausbildungssparte Gewerbe und Handwerk (-21,4%). Auch in den Sparten Transport und Verkehr mit -7,8% sowie in Tourismus und Freizeitwirtschaft (-2,7%) schaut es nicht allzu rosig aus. Auszumachen ist auch ein deutliches Ost-West-Gefälle. Den prozentuell stärksten Rückgang mit im Schnitt knapp über 30% verzeichnen das Burgenland und die Steiermark.

Strukturelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen hin oder her: Die österreichischen Unternehmen, darunter auch namhafte Großbetriebe
(z. B. ÖBB, Brown Boveri, Elin, Kapsch, Siemens), ziehen sich trotz »Facharbeitermangels« aus der dualen Ausbildung zurück. Die Konsequenzen daraus haben bis auf weiteres wohl andere Bildungsträger zu übernehmen. Das berappen die Steuerzahler. So wurden die so genannten Maßnahmen des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes (JASG) ins Leben gerufen: Die Lehrlingsausbildung, die eigentlich von den Wirtschaftsbetrieben wahrgenommen werden sollte, wird von verschiedenen Trägerorganisationen (bfi, Jugend am Werk oder WIFI) wahrgenommen und vom AMS, sprich der öffentlichen Hand, finanziert.

Für Jugendliche mit Teilleistungsschwächen und/oder Behinderungen gibt es die integrative Berufsausbildung (IBA), die sich über vier Jahre erstreckt. Ein Blick nach Wien zeigt die Virulenz der gesamtösterreichischen Ausbildungsmisere. Von 19.500 BerufsschülerInnen des Jahrganges 2004/05 wurden 1500 in zehnmonatigen JASG-Maßnahmen »aufgefangen«, weitere 850 wurden in der integrativen Berufsausbildung unterrichtet. Für das laufende Jahr ist in Wien mit zumindest 700 zusätzlichen IBA-SchülerInnen und 1000 Jugendlichen in JASG-Lehrgängen zu rechnen. Deren TeilnehmerInnen sind zwar froh, nicht auf der Straße gelandet zu sein, können aber trotz Unterstützung seitens Bildungsträger und Berufsschule oft nicht mehr als kurze Praktikumsplätze finden.

Für 2004/05 zeigt sich folgendes Bild: In der integrativen Berufsausbildung gibt es etwa 25% Austritte durch die Jugendlichen selbst. Knapp ein Fünftel wird vom Ausbildungsträger - zum Beispiel wegen mangelnder Teilnahme - ausgeschlossen. Ernüchternd ist: Nur etwa 15% können in reguläre Lehrverhältnisse vermittelt werden.

Was tun?

AK und ÖGB haben wiederholt klare Konzepte vorgestellt. So erwartet sich AK-Präsident Herbert Tumpel »von der Wirtschaft, dass sie ihre Verantwortung für die Jugendausbildung wieder wahrnimmt«. Er befürchtet, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Dringend gefordert sind rasche Taten, um rund 10.000 Plätze im Auffangnetz zu schaffen; 4000 davon sollen in überbetrieblichen Ausbildungsplätzen eingerichtet werden. Gleichzeitig plädiert Tumpel für einen Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben. Diese Gelder sollen nicht zuletzt jenen Firmen zugute kommen, die durch eine gezielte und zukunftsorientierte Ausbildung junge Menschen fit für den Job machen.

Die Misere rund um die Lehre passt »gut« in das Bild eines Wirtschaftsstandortes, der es mit der Mitarbeiteraus- und weiterbildung nicht allzu ernst nimmt. Österreich gehört punkto Ausbildung zu den EU-Schlusslichtern. Die Ausgaben für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und damit für die Schulung von Arbeit suchenden Menschen beläuft sich gerade einmal auf 0,42 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (EU-Schnitt: 0,66%). Die geforderten 250 Millionen Euro mehr für Aus- und Weiterbildung sind ein dringender Appell an die Regierung, sich den Herausforderungen zu stellen. Davon sollten nicht zuletzt auch die jüngsten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen profitieren.

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(C) AK und ÖGB

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