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Herrschaftsinteressen

MEINUNG/STANDPUNKT

»Arbeitslosigkeit ist ein Gewaltakt, ein Anschlag auf die körperliche und seelisch-geistige Integrität der davon betroffenen Menschen. Das Ringen um eine zukunftsfähige Arbeitsgesellschaft ist deshalb keine bloß akademische Auseinandersetzung, sondern ein Kampf um Herrschaftsinteressen, um die Zukunft der Demokratie.«

Das sagt Oskar Negt in seinem Buch »Arbeit und menschliche Würde« (Steidl Verlag 2002), und es bringt den meiner Ansicht nach größten und wichtigsten Konflikt in unserer heutigen Gesellschaft auf den Punkt.

Arbeitslosigkeit ist ein Gewaltakt, der Millionen von Menschen um ein Leben in Würde bringt - und das, obwohl die Industriestaaten heute reicher sind denn je.

Allen Reparaturversuchen zum Trotz steckt der Arbeitsmarkt seit Jahren in einer tiefen Krise. Das Problem der Massenarbeitslosigkeit wird weder durch die vielbeschworene Flexibilisierung der Märkte noch durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit aus der Welt geschafft. Beschäftigungswunder wie in den USA oder den Niederlanden erweisen sich bei genauem Hinsehen als Irrwege.

Was heißt Herrschaftsinteresse? Was ist das Interesse der Herrschenden?
Wer herrscht? Zur Beantwortung dieser Fragen folgen Sie mir jetzt zu einem kurzen Parforceritt durch Gebiete der Politikwissenschaft und der Soziologie. Vor allem einmal mit dem Begriff der Elite müssen wir uns auseinandersetzen, also mit denen, die sich nach allgemeinem Verständnis in politischen, wirtschaftlichen, sportlichen, künstlerischen, akademischen etc. Spitzenpositionen befinden. Die Besten heißt griechisch »aristoi«, von woher sich die Aristokratie herleitet, angeblich die Herrschaft der Besten.

Bevor sich bei ihnen der Unmut des Demokraten regt, müssen wir uns noch der Frage stellen, wie besonders Begabte über die üblichen Ausbildungs- und Karrierewege »gefunden« werden oder ob dies der Weg der Bildung von Eliten ist? Konservative oder rechte Denker neigen dazu, Elitebildung als Suchprozess zu verstehen, bei dem besondere, vielleicht durch »Vererbung« bereits vorhandene Begabungen entdeckt und zur Entfaltung gebracht werden. Sie stehen im Gegensatz zu den eher linken Denkern, die von einer prinzipiellen Gleichheit aller ausgehen und in den Eliten das Ergebnis von Sozialisations- und Lernprozessen sehen. Während nun die »Rechten« der Elitenbildung positiv gegenüberstehen, sehen die »Linken« dort keinen Wert an sich.

Euphemismus

Für Marxisten handelt es sich bei dem Wort Elite überhaupt um einen beschönigenden Ausdruck für herrschende Klasse.

In der Soziologie gibt es diesen Begriff »Elite« sowohl wertneutral als auch in gesellschaftskritischer Absicht.

Die soziologische Elitenforschung beschreibt die Prozesse des Aufstiegs in die Eliten, des Verbleibs in ihr, der Durchlässigkeit der Schichten sowie des Elitewechsels. Der Soziologe Vilfredo Pareto entwickelte eine Theorie des Kreislaufs der Eliten. Reserve- oder Gegeneliten warten darauf, bestehende Eliten abzulösen. Robert Michels spricht von einer innerorganisatiorischen Oligarchie (Herrrschaft der Wenigen). Strukturfunktionalisten wie Talcott Parsons verwenden das Konzept der dem Gemeinwohl verpflichteten »Funktionseliten«.

Theoretiker der »Machtelite« wie Mills kritisieren diesen soziologischen sowie den pluralismustheoretischen Ansatz und werfen den Strukturfunktionalisten vor, ein allzu harmonisches Bild der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu zeichnen. In Wirklichkeit steht einer manipulierten Masse ein omnipotenter »Militärisch-industrieller-Komplex« gegenüber, der seine Herrschaftsinteressen in einem Regime der »organisierten Unverantwortlichkeit« durchzusetzen weiß.

Der Nicht-Entscheidungsansatz in der amerikanischen Politologie erweitert diese Perspektive dadurch, dass anhand von Fallbeispielen aufgezeigt wird, dass die Elite bestimmte Themen, etwa ökologische Probleme und Minderheitenfragen (oder die Arbeitslosigkeit), durch bewusstes Unterlassen gar nicht erst zum Gegenstand der politischen Agenda werden lässt.

Und genau da sind wir jetzt. Das brennende Problem Arbeitslosigkeit wird ignoriert, und mehr als Lippenbekenntnisse oder unzureichende Alibimaßnahmen sind offensichtlich von der organisierten Unverantwortlichkeit nicht zu erwarten.

Hat nicht kürzlich ein Innenminister eines westeuropäischen Landes vom arbeitslosen »Gesindel« gesprochen?

Der Blickwinkel eines Elitenvertreters? Wetten wir, er kommt damit durch?

Wie lange wird es dauern, bis auch wir zum Gesindel und Abschaum gehören?

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