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Arbeit schaffen und teilen

HINTERGRUND

US-Ökonom Jeremy Rifkin, Auszüge aus einem Interview aus der Stuttgarter Zeitung, zusammengestellt von Christian Winkler von der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung in Linz (»INFOS« Nr. 66).

Die Arbeitslosenquote in den USA ist niedriger als in Deutschland. Aber zu welchem Preis? Das schmutzige Geheimnis hinter dem US-Wirtschaftsboom in den Neunzigerjahren ist die wahnsinnige Verschuldung der privaten Haushalte. Die Verbraucherkredite haben jedes Jahr um neun Prozent zugenommen. Die Mehrzahl der Amerikaner hat heute nicht mal 1000 Dollar an Rücklagen.

2005 wird die Zahl der Privatinsolvenzen die Zahl der Ehescheidungen übertreffen. In England ist es dasselbe. Der durchschnittliche Engländer gibt heute 120 bis 130 Prozent seines Jahreseinkommens aus. Das ist Wirtschaftswachstum per Kreditkarte.

Mehr als eine Milliarde Arbeitslose

Die Arbeitswelt verändert sich heute stärker als in der industriellen Revolution. 1995 waren weltweit 800 Millionen Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt, 2001 waren es schon mehr als eine Milliarde. Die Entwicklung ist eindeutig. Millionen von Jobs verschwinden, Computer und Informationstechnologien machen immer mehr Arbeitskräfte überflüssig. Selbst die billigste menschliche Arbeitskraft ist teurer als die Maschinen. Die kapitalistische Logik sagt, dass technologischer Fortschritt und gesteigerte Produktivität alte Jobs vernichten, dafür aber mindestens genauso viele schaffen. Das ist nicht eingetreten. Wir vollziehen einen Wandel hin zu einem Markt, der zum allergrößten Teil ohne menschliche Arbeitskraft funktioniert. Bis 2010 werden nur noch zwölf Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Fabriken gebraucht. Bis 2020 werden es weltweit nur noch zwei Prozent sein.

Beispiele: Von 1982 bis 2002 stieg die amerikanische Stahlproduktion von 75 auf 102 Millionen Tonnen, die Zahl der Stahlarbeiter nahm von 289.000 auf 74.000 ab. In den 20 größten Volkswirtschaften der Erde sind zwischen 1995 und 2002 mehr als 30 Millionen Arbeitsplätze abgebaut worden. Die Produktion steigt, die Produktivität steigt, aber die Arbeitsplätze nehmen ab.

Der Mensch wird überflüssig

Bei Dienstleistungen dasselbe Problem: Die amerikanische Telefongesellschaft Sprint ersetzt menschliche Vermittler durch Spracherkennungsprogramme. 2002 sprang die Produktivitätsrate bei Sprint um 15 Prozent nach oben, der Gewinn stieg um 4,3 Prozent und 11.500 Jobs wurden abgebaut.

Das funktioniert dank Internet, Satellitentechnik und Breitbandleitungen. In den Achtzigern drehte sich das Geschäft darum, dass Menschen mit Menschen reden. Jetzt geht es um Maschinen, die mit Maschinen reden. Der Mensch wird überflüssig. Das Grundproblem ist, dass immer mehr Arbeit verschwindet.

Politiker erzählen jedoch immer wieder dieselben drei Pseudotheorien:

  1. Wir verlieren in unserem Land Jobs, weil die bösen Unternehmer Stellen ins Ausland verlagern.
  2. Wir haben genug Jobs, die Leute sind nur nicht richtig ausgebildet.
  3. Wir haben zu wenig Jobs, weil die Sozialabgaben zu teuer sind.

Alle drei Argumente sind absurd:

  1. Die Zahl der Jobs, die in Deutschland verschwinden, weil sie zum Beispiel nach Osteuropa oder China verlagert werden, ist verschwindend gering, gerade mal ein Prozent der abgebauten Stellen. Der wirkliche Jobkiller ist der technologische Fortschritt. Darüber hören Sie von den Politikern kein Wort. Maschinen machen sich als Buhmann eben schlechter als Chinesen oder Polen.
  2. Wir müssen die Leute nur richtig ausbilden oder weiterbilden und schon ist das Beschäftigungsproblem gelöst.1) Angenommen, man könnte tatsächlich alle fünf Millionen Arbeitslosen in Deutschland so fortbilden, wie sich die Politiker das vorstellen, dann gebe es immer noch nicht genug Jobs. In Zukunft wird Arbeit etwas für Eliten sein. Durchschnittsqualität kann ein Computer oder ein Roboter billiger liefern.
  3. Die sozialen Systeme. Es gibt in Deutschland Reformbedarf. Vor dem Weg der USA kann ich nur warnen. Je härter sie die Sozialsysteme beschneiden, desto eher tauchen die Probleme an anderer Stelle wieder auf. Schlechtere Gesundheit, größere Armut, weniger Sicherheit, mehr Kriminalität. Die US-Arbeitslosenquote ist niedriger als die deutsche, aber in den USA sitzen allein zwei Millionen Leute in den Gefängnissen. Das ist versteckte Arbeitslosigkeit.

Nonprofitsektor

Langfristig werden die Menschen für den Produktionsprozess nicht mehr gebraucht. Als ob es die Erfüllung des Menschen wäre, Tag für Tag dieselbe stupide Tätigkeit auszuführen, das können Maschinen übernehmen. Daher ist der so genannte Nonprofitsektor besonders wichtig.

Gemeint sind hier Aktivitäten von der Sozialarbeit über die Wissenschaft, Kunst, Religion bis hin zum Sport. In den Niederlanden sind heute bereits 12,6 Prozent aller Vollzeitstellen im Nonprofitsektor. In Deutschland sind es erst 4,9 Prozent.

Die Finanzierung dieses Sektors muss durch Steuerumschichtung erfolgen. 90% der Regierungseinnahmen weltweit stammen aus der Besteuerung von Arbeit und Kapital. Wir müssen viel stärker zur Besteuerung von natürlichen Ressourcen kommen. Warum sollen sich die Unternehmen einfach frei bedienen? Die Steuereinnahmen könnten dann in den Nonprofitsektor fließen und dort Mehrbeschäftigung stimulieren.

Oder, wenn Maschinen immer mehr Menschen ersetzen, warum sollte es in Zukunft nicht genau so eine Maschinensteuer geben, wie es heute eine Einkommensteuer gibt?

Wir brauchen neue Utopien

Ein anderer Gedanke: In den USA gibt es 250 »Zeitdollar-Projekte«. Diese Parallelwährung basiert auf Zeit. Für jede Stunde Arbeit erhält man einen Zeitdollar, für den man wiederum Waren oder Dienstleistungen kaufen kann. Die Idee dahinter ist, dass in einer sozialen Gemeinschaft jenseits von Gewinnmaximierung die Zeit eines jeden von uns gleich wertvoll ist.

Wir brauchen neue Utopien, die den Menschen im Blickpunkt haben. Die Globalisierung hat versagt, weil sie zu viel Geld von unten nach oben verteilt hat. Die 356 reichsten Familien besitzen heute 40 Prozent des Reichtums der Menschheit. Wenn die Unternehmen die Löhne immer weiter drücken, wird irgendwann niemand mehr ihre Produkte kaufen.

Was wir brauchen, ist eine Reglobalisierung, bei der die Bedürfnisse der Mehrheit im Vordergrund stehen, nicht die Gewinnspannen einer kleinen Minderheit. Ich sehe zwei Alternativen für unsere Zukunft. Die eine ist eine Welt mit Massenarmut und Chaos. Die andere ist eine Gesellschaft, in der sich die von der Arbeit befreiten Menschen individuell entfalten können.

1) Siehe den Beitrag von Prof. Kurt Rothschild in diesem Heft

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