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Von sozialem Absturz bedroht: »Lieber reich und g’sund als arm und krank«

MEINUNG/STANDPUNKT

»Wer glaubt, mit der Globalisierung nähme im Gegenzug die Ungleichheit auf der Welt ab, der irrt. Mit dem zunehmenden Austausch von immensen Waren-, Kapital- und Datenmengen weltweit haben sich im Gegenteil die gesellschaftlichen Ungleichheiten sogar verstärkt. Eine 'gerechtere Weltordnung’ ist nicht in Sicht. Statt dessen wird es zu neuen Konflikten kommen, zu klimatischen und demographischen Umwälzungen, zu unkontrollierten Migrationsströmen.«

So lautet das Ergebnis einer Bestandsaufnahme durch ein Team von Journalisten und Fachleuten der Zeitschrift »Le Monde diplomatique«. Die Folgen der weltweiten Marktkonzentration bekämen die ärmeren Bevölkerungsteile ganz besonders zu spüren. Aber auch die Angehörigen der Mittelschicht seien inzwischen zunehmend betroffen. Viele seien von sozialem Absturz bedroht und müßten zusehen, wie ihre sicher geglaubte Altersvorsorge dahinschmelze (nachzulesen im »Atlas der Globalisierung«). Nur die Hälfte derjenigen, die Anspruch auf Sozialhilfe haben, beantragen diese auch. Das heißt also, mehr als doppelt so viel Personen könnten tatsächlich Sozialhilfe beziehen, (bezogen auf die aktuellen Sozialhilfebezieher). Mehr als hundert Prozent Nichtinanspruchnahme, errechnet die Armutsstudie in Salzburg und Tirol. Scham, Schikanen, mangelnde Rechtssicherheit und Angst: Diese Betroffenen sind in keiner Arbeitslosenstatistik zu finden und auch nicht auf dem Sozialamt. In der Armutsmessung gibt es den Indikator, »sich nicht einmal im Monat Freunde zu sich nach Hause zum Essen einladen zu können«, heißt es. Armutsexperte Martin Schenk erklärt: »Sich in den Augen der anderen als 'Loser’ präsentieren zu müssen, darauf haben besonders diejenigen, die von sozialem Absturz bedroht sind, keine Lust. Wenn das eigene Ansehen bedroht ist, fühlen wir Scham. Menschen, die bereits mit dem Rücken zur Wand leben, versuchen, solange es ihnen möglich ist, die Normalität nach außen aufrecht zu erhalten. Die Kinder sollen mit den anderen mit können, die Nachbarn brauchen sich nicht den Mund zu zerreißen. Es ist eine Form der Selbstachtung, ein Selbstschutz, das Gesicht vor den anderen nicht zu verlieren …«

Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man um den Zwanzigsten herum rechnet, ob das Geld bis zum Monatsende reicht? Wenn man rechnet, ob es noch genug zu essen gibt, wenn man den Kindern zu Weihnachten neues Gewand kauft, oder ob man dann noch den Strom zahlen kann? »Armutsgefährdung weist auf knappe Ressourcen hin, ist aber nicht mit Armut zu verwechseln. Neben dem Einkommen geht es bei Armut immer um schwierige und eingeschränkte Lebensbedingungen. Erst wenn beides zusammenkommt, spricht man von Armut. Armut ist Stress, Armut macht krank, Armut macht einsam, Armut nimmt Zukunft.

Die Betroffenen haben geringes Einkommen, weit unter dem Schwellenwert, und können ihre abgetragene Kleidung nicht ersetzen, die Wohnung nicht angemessen warm halten, keine unerwarteten Ausgaben tätigen, sie weisen einen schlechten Gesundheitszustand auf, sind chronisch krank, leben in feuchten, schimmligen Wohnungen. Mehrere dieser Lebensbedingungen müssen zutreffen, um von akuter Armut sprechen zu können.«

In diesem Heft können Sie es ausführlich nachlesen: Arme sind etwa doppelt so oft krank wie Nicht-Arme. Die sogenannte Managerkrankheit mit Bluthochdruck und Infarktrisiko tritt bei Armen dreimal so häufig als bei Managern auf. Die enorme Stressbelastung unter diesen misslichen, prekären Lebensbedingungen macht krank. Daten über die Sterblichkeit in Österreich zeigen uns auf die Spitze getrieben die Ungleichheit vor dem Tod: Wer geringes Einkommen und geringe Bildung hat, stirbt durchschnittlich um fünf Jahre früher als diejenigen mit höherem Einkommen und höherer Bildung. In einem Portrait des Wiener Menschenrechtsexperten Manfred Nowak, der vor einem Jahr zum UN-Sonderberichterstatter für Folter ernannt wurde, heißt es: In der Armutsbekämpfung erschloss sich ein neues Feld. Nowak verfasste einen Human Rights Report for Poverty Reduction, der erstmals auf UN-Ebene den menschenrechtlichen Blick in die Armutsdebatte einbrachte. Armut, wie Nowak sie versteht, ist die »schwerste systematische Menschenrechtsverletzung, weil sie die Vorenthaltung aller Rechte bedeutet«.

Entscheidend für die Definition von Armut ist aber nicht das Geld allein, sondern die Lebensumstände. Armut heißt nicht nur ein zu geringes Einkommen zu haben, sondern bedeutet einen Mangel an Möglichkeiten, um in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestmaß teilhaben zu können: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte, Bildung. Armut ist ein Mangel an Verwirklichungschancen eines Menschen, ein Verlust an substanziellen Freiheiten.

Und es ist eine Schande für uns alle, die wir so gekonnt die Augen verschließen. Wohlgemerkt: Es geht nicht um irgendwelche Almosen, sondern um die Verbesserung des politischen Systems in Richtung sozialer Gerechtigkeit.

Siegfried Sorz

 

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