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Dienstleistungsrichtlinie | Kein Grund zur Entwarnung

SCHWERPUNKT

Am 16. Februar 2006 hat das Plenum des Europäischen Parlaments abgestimmt und mit 394 Ja-Stimmen, 215 Nein-Stimmen und 33 Enthaltungen umfangreiche Änderungen zur Richtlinie beschlossen.

Diese Konsequenzen würden sich für ArbeitnehmerInnen, VerbraucherInnen und öffentliche Dienstleistungen aus dem Abstimmungsergebnis ergeben.

Die Folgen für ArbeitnehmerInnen

Mit der Herausnahme des Arbeitsrechts aus der Dienstleistungsrichtlinie ist die Gefahr gebannt, dass inländische Arbeitsverhältnisse auf auswärtige DienstleisterInnen umgemeldet werden, um dortiges Arbeitsrecht zur Anwendung zu bringen.

Weiter bestehen bleibt indessen das Hauptproblem: Die Dienstleistungsrichtlinie erleichtert die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen nach Österreich. Jede derartige Erleichterung ist abzulehnen, solange nicht gewährleistet ist, dass den dabei entsandten ArbeitnehmerInnen österreichische Löhne bezahlt werden. Das ist zwar auf dem Papier der Entsenderichtlinie festgehalten, nicht aber in der Praxis, weil verwaltungsrechtliche Sanktionen gegen den im Herkunftsland sitzenden Dienstleister mangels Vollstreckungsabkommen und Zustellabkommen de facto nicht durchsetzbar sind.

Eine beschränkte Durchsetzbarkeit kann in der nun vorgesehenen Möglichkeit einer Sicherheitsleistung der DienstleisterInnen im Zielland gesehen werden. Die große Schwäche dabei: Die Sicherheitsleistung, also Kaution, könnte erst nach einem behördlich bereits festgestellten Verstoß verhängt werden. Notwendig wäre aber eine prophylaktische Sicherheitsleistung, um im Falle von Lohndumping wirklich darauf zugreifen zu können.

Lohnkostenunterschiede außerhalb der Entsenderichtlinie (Mindestlohn, Mindesturlaub usw.), insbesondere Diäten, Zulagen und Entgeltfortzahlung bei Krankheit und anderen Verhinderungen können selbst bei Einhaltung des reinen Mindestlohnes noch immer eine im Wettbewerb zwischen in- und ausländischen AnbieterInnen wesentliche Größe ausmachen.

Die besonderen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Entsendung von Drittstaatsangehörigen ist durch den Entfall des Artikel 25 des Kommissionsentwurfs gemildert aber nicht beseitigt. Zwar können inländische Behörden kontrollieren, ob entsandte Drittstaatsangehörige eine Beschäftigungsbewilligung im Herkunftsland haben. Es ist jedoch unklar, ob es der EuGH zulassen würde, dass Österreich nur jene entsandten Drittstaatsangehörigen akzeptieren dürfe, die eine dauerhafte Verankerung im Arbeitsmarkt des Herkunftslandes nachweisen können.

Ein positiver Punkt im Abstimmungsergebnis des Europäischen Parlaments ist darin zu erkennen, dass die Leiharbeit aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen werden soll. Das heißt aber nur, dass die administrativen Erleichterungen der Dienstleistungsrichtlinie für grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung nicht gelten. Es bedeutet aber nicht, dass grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung insgesamt untersagt wäre. Auf Basis der Dienstleistungsfreiheit können LeiharbeiterInnen von auswärtigen Firmen durchaus an inländische KundInnen überlassen werden. Die beschriebene Gefahr von Lohndumping durch mangelnde Vollziehbarkeit der Entsenderichtlinie und andere geringere Arbeitskostenbestandteile neben dem Entgelt besteht nicht nur in klassischen Dienstleistungsbranchen, sondern in der Gesamtwirtschaft.

Die Folgen für KonsumentInnen

Gewiss beachtlich ist der grundsätzliche Entfall des aus ArbeitnehmerInnensicht heftig kritisierten »Herkunftslandprinzips«. Nach dem Willen des Europäischen Parlaments sollen sowohl bei den Zugangsvoraussetzungen als auch bei den Ausübungsbestimmungen grundsätzlich das Recht des Bestimmungslandes anwendbar bleiben. Jedoch dürfen jene Mitgliedsländer, in welchen die Leistung erbracht wird (= die Bestimmungsländer), ihre Rechtsordnung de facto nur in wenigen Bereichen gegenüber DienstleisterInnen aus anderen EU-Staaten anwenden. Derartige Maßnahmen können u. a. nur mit Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder zum Schutz der Gesundheit oder der Umwelt gerechtfertigt werden. Dies stellt eine klare Verschärfung zur bisherigen EuGH-Judikatur dar, wonach einzelstaatliche Schutzbestimmungen, die auch anderen öffentlichen Interessen gewidmet werden, gegenüber DienstleiterInnen aus dem EU-Ausland angewendet werden konnten.

Dies hätte in jedem Fall Konsequenzen für österreichische Verwaltungsnormen (insb. Ausübungsregeln), die »nur« dem Schutz der wirtschaftlichen Interssen der KonsumentInnen gewidmet sind. Dies betrifft z. B. Informationsverpflichtungen in Verordnungen auf Basis der GewerbeO wie z. B. Bruttopreisauszeichnung für Dienstleistungen, Immobilienmaklerprovisionen oder auch Werbevorschriften für Telekom-Mehrwertdienste.

Trotz der grundsätzlichen Rückbesinnung auf das Bestimmungslandprinzip soll nach dem Willen des Europäischen Parlaments im Verbraucherschutz sehr wohl das Herkunftslandprinzip maßgeblich sein.

Anders soll es sich aber im Verbraucherprivatrecht verhalten. Nach dem Abstimmungsergebnis im EP kann nämlich davon ausgegangen werden, dass zivilrechtliche Bestimmungen (wie z. B. das österreichische Konsumentenschutzgesetz) von der Richtlinie ausgenommen werden (sollen). Dies ist nur insoweit mit Vorsicht zu genießen, als mit der grundsätzlichen Abkehr vom Herkunftslandprinzip das Regel-Ausnahme-System der Richtlinie durcheinander geraten ist. Bei strenger Betrachtung macht nämlich die ebenfalls vom EP geforderte Ausnahme für das Internationale Privatrecht nicht mehr großen Sinn.

Die ArbeitnehmerInnen-Forderung, wonach das Zivilrecht ausgenommen werden soll, wird in der Richtlinie nur in einem neuen Erwägungsgrund »versprochen«,
der lautet: »Der Ausschluss (außer)vertraglicher Schuldverhältnisse aus dem Geltungsbereich der RL bedeutet, dass der Verbraucher in jedem Fall in den Genuss des Schutzes kommt, den ihm das Verbraucherecht in seinem Land gewährt.«

Es sollte unbedingt darauf beharrt werden, dieses Versprechen im Kern - dem so genannten »verfügenden Teil« - der Richtlinie zu verankern. Wäre das Verbraucherzivilrecht nicht ausgenommen, würden z. B. bei grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringungen in Österreich nicht mehr das österreichische KSchG, Gewährleistungsrecht etc. gelten. Denn wie erwähnt dürfen bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten keine Verbraucherschutzgründe (außer mit Gesundheitsbezug) mehr ins Treffen gebracht werden. Im Übrigen bestehen im Konsumentenschutz die gleichen Vollstreckungs- und Sanktionsprobleme wie im Arbeitsrecht (oben Pkt. 1).

Die Folgen für die Daseinsvorsorge

Der vom EP nun geänderte Text der Richtlinie sieht vor, dass - entgegen der Forderung der AK - die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht gesamthaft vom Anwendungsbereich ausgenommen werden. Ausgenommen sollen aber u. a. die für uns besonders wichtigen Gesundheitsdienstleistungen und soziale Dienstleistungen werden. Bei den sozialen Dienstleistungen ist es indes eigenartig, dass der vieldiskutierte Fall der nichtgesundheitsbezogenen Altenpflege nicht beispielhaft genannt ist. Die Ausnahmebestimmung lautet: »soziale Dienstleistungen wie Dienstleistungen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, Kinderbetreuung und Familiendienste«. Eine Ergänzung dieser Liste um den Bereich der Altenpflege ist daher jedenfalls angezeigt, um nähere Interpretationen darüber nicht allein dem EuGH zu überlassen.

Doch was bedeutet die Richtlinie für Leistungen der Daseinsvorsorge, die sich dem Anwendungsbereich nicht entziehen konnten, z. B. die Trinkwasserversorgung. Sollen sie liberalisiert werden?

Eine Bestimmung im Rahmen des »Gegenstandes« der Richtlinie (Artikel 1) beteuert zunächst das Gegenteil. Sie sieht vor, dass die Richtlinie weder die Liberalisierung noch die Privatisierung betrifft, sich auch nicht auf die Abschaffung von Monopolen bezieht, und die Mitgliedstaaten über die Erbringungsart und Finanzierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse weiter selbst bestimmen können.

Dies steht aber im unaufgelösten Spannungsverhältnis zu Bestimmungen im verfügenden - »harten« - Teil der Richtlinie. Danach sind z. B. Ausschreibungsverpflichtungen vorgesehen, wenn »die Zahl der für eine Dienstleistungstätigkeit erteilbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen oder der verfügbaren technischen Kapazitäten begrenzt« ist. Denkt man z. B. an die Trinkwasserversorgung durch ein kommunales Wasserwerk, so deutet Artikel 12 darauf hin, dass eine Versorgungskonzession künftig auszuschreiben wäre. Das Gegenteil könnte nur der EuGH beweisen.

Von den Regelungen, die die Dienstleistungsfreiheit erleichtern sollen - dem ehemaligen »Herkunftslandprinzip« - werden anhand einer beispielhaften nicht abschließenden Liste explizit die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie Postdienste, Elektrizität, Gas, Wasser, Abfalldienste ausgenommen. Aus der Beispielhaftigkeit kann gefolgert werden, dass auch andere Leistungen der Daseinsvorsorge erfasst sind. Das würde bedeuten, dass bei den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse weitergehende einzelstaatliche Schutzstandards zulässig bleiben. Es könnten also zumindest hier Verbraucherschutzstandards (z. B. Universaldienstverpflichtungen) auch gegenüber DienstleisterInnen aus anderen EU-Staaten angewendet werden.

So geht es jetzt weiter

Die Dienstleistungsrichtlinie wird im so genannten Mitentscheidungsverfahren beschlossen. Das heißt, Rat und Parlament sind gleichberechtigte Gesetzgeber und müssen sich auf einen Richtlinientext einigen. Wenn der Rat alle Änderungen des Europäischen Parlaments übernimmt, kann der Rechtsakt in kürzester Zeit beschlossen werden. Davon ist aber in diesem Fall nicht auszugehen, da sich sechs Mitgliedstaaten bereits gegen die »Verwässerung« der Dienstleistungsliberalisierung ausgesprochen haben. Daher ist es wahrscheinlich, dass die EU-Kommission am Frühjahrsgipfel (23. und 24. März) einen neuen Vorschlag auf Basis der Ergebnisse des Europäischen Parlaments vorlegen wird und die Staats- und Regierungschefs die Eckpunkte für einen gemeinsamen Standpunkt festmachen.

Die Hauptverantwortung liegt aber jetzt beim Rat und insbesondere bei der österreichischen Präsidentschaft, um zu einer Regelung zu kommen, die nicht nur sozial verträglich ist, sondern auch die Durchsetzung und Sanktionierung von Maßnahmen für ArbeitnehmerInnen-, VerbraucherInnen- und Umweltinteressen sicherstellt.

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(C) AK und ÖGB

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