topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

»Atypische« Beschäftigung und ihre vielen Gesichter

SCHWERPUNKT

Für eine voraus denkende gewerkschaftliche Interessenpolitik geht es darum, vielfältige Erwerbsbiographien mit gesellschaftlichem Strukturwandel in Beziehung zu setzen.

Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel: von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. So auch in Österreich. Der Großteil der Erwerbstätigen ist bereits im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Dieser Wandel hat auch Auswirkungen darauf, wie, wann, wo und unter welchen Bedingungen gearbeitet wird.

In den Neunzigerjahren begannen viele Unternehmen mit »Outsourcing«. Damit ist die Auslagerung bestimmter Aufgabenbereiche des Unternehmens sowie der damit verbundene Verantwortungs- und Risikotransfer an externe ProduzentInnen und DienstleisterInnen gemeint. Vor dem Hintergrund derartiger Flexibilisierungsstrategien und Zielen der Kostenreduktion greifen immer mehr Unternehmen verstärkt zu »atypischen« Beschäftigungsverhältnissen. Dieser Begriff beschreibt das zunehmende Abweichen vom so genannten »Normalarbeitsverhältnis«; oft auch »Entgrenzung« der Arbeit genannt.

»Bei freien Dienstverträgen und Werkverträgen findet das
Arbeitsrecht keine Anwendung.«

Damit verbunden sind die Verschiebung und Vermischung von Arbeitsformen, Veränderungen von Arbeitsprozessen sowie die zunehmende Prekarisierung von Arbeit. Darunter ist die Kombination von Unsicherheit am Arbeitsplatz, niedriger Bezahlung und einer nicht ausreichenden sozialen Absicherung subsumiert. So zeichnet sich beispielsweise Schicht- und Wochenendarbeit durch eine Verschiebung der Arbeitszeit aus, Leiharbeit hingegen bedeutet die Verlagerung des Arbeitsortes. Bei Teilzeitarbeit handelt es sich um eine Verkürzung der Arbeitszeiten. Diese Formen der »atypischen« Beschäftigungen sind keineswegs neuartige Phänomene.

Gesetzliche Grundlagen geschaffen

Doch im Laufe der vergangenen zehn Jahre wurden in Österreich die gesetzlichen Grundlagen für neue »atypische« Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, mit denen Beschäftigte zunehmend konfrontiert sind. Dabei handelt es sich um freie Dienstverträge und Werkverträge. Diese Dienstverhältnisse wurden mittlerweile zwar teilweise in die Sozialversicherung einbezogen, es gibt jedoch eine Besonderheit: das Arbeitsrecht findet bei dieser Art der Beschäftigung keine Anwendung.

Neuen Unternehmensstrategien, die unternehmerische Handlungsspielräume auszuweiten versuchen, stehen individuellen Lebenslagen gegenüber, in denen Menschen eine »atypische« Beschäftigung annehmen. Darin sehen sie die einzige Möglichkeit, neben Bezügen wie Kindergeld oder Transferleistungen oder neben einem Studium etwas dazuzuverdienen.

Z A H L E N,  F A K T E N

Während die Erwerbstätigkeit in Österreich leicht zunahm, ging Vollzeitbeschäftigung in den vergangenen Jahren deutlich zurück. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigungen hingegen hat stark zugenommen. Im Vergleichszeitraum von 2000 bis 2004 reduzierten sich die Vollzeitjobs um 6,7 Prozent. Gleichzeitig stieg die Teilzeitquote um 39 Prozent an.

Mittlerweile arbeiten 730.000 Menschen auf Teilzeitbasis, drei Viertel davon Frauen. Weitere 40.000 ArbeitnehmerInnen arbeiten als Leih- oder Zeitarbeitskräfte. Insgesamt waren 2005 rund 330.000 Personen geringfügig beschäftigt, d. h. verdienten weniger als 323,46 Euro monatlich. Die Geringfügigkeitsgrenze wird jährlich angepasst und beträgt für heuer 333,16 Euro.

Jede/r Siebte davon hat einen freien Dienstvertrag. Mittlerweile gibt es 70.000 Menschen, die als freie DienstnehmerInnen arbeiten. Etwa 33.000 »neue« Selbständige arbeiten auf Basis von Werkverträgen. Das ist etwa ein Neuntel aller erwerbstätigen Selbständigen. Darüber hinaus gibt es eine große Zahl an WerkvertragsnehmerInnen, die aufgrund der bestehenden Sozialversicherungsgrenze gar nicht von der Statistik erfasst werden.

Laut Statistik Austria hatte 2004 jede/r zehnte Arbeitnehmer/in mehrere Jobs. Weiters wurde in den vergangenen zehn Jahren eine starke Zunahme befristeter Erwerbstätigkeit sowie des regelmäßigen Schicht-, Wechsel- und Turnusdienstes und der regelmäßigen Abend-, Nacht-, Wochenend- und Heimarbeit verzeichnet.

Auswirkungen und Strategien

Doch auch eine Anstellung kann die gewünschte Flexibilität, die sich auch an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen orientiert, gewährleisten. Gerade in den letzten Jahren wuchs der Druck von Unternehmensseite die Rahmenbedingungen von Anstellungsverhältnissen zu flexibilisieren. Es kam zu Regelungen in den Bereichen Teilzeit- sowie Telearbeit, wie beispielsweise die geblockte Freizeit.

Der Großteil der »atypisch« Beschäftigten muss sowohl auf einen sicheren Job als auch eine ausreichende soziale Absicherung verzichten. Viele Menschen würden eher flexibel und vor allem aber selbstbestimmt arbeiten wollen, wenn dabei eine ausreichende soziale Absicherung gewährleistet wäre.

Freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen sind laut Gesetz keine ArbeitnehmerInnen und haben nicht die gleichen Rechte wie Angestellte oder ArbeiterInnen. Diese »atypisch« Beschäftigten sind daher in der Praxis oft damit konfrontiert, dass allein der/die Dienstgeber/in über die Rahmenbedingungen des Dienstverhältnisses entscheidet. Einkommenshöhe und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses hängen ausschließlich von der individuellen Vereinbarung mit dem/der Dienstgeber/in ab. Weiters sind »atypisch« Beschäftigte von den traditionellen Formen der Mitbestimmung im Betrieb ausgeschlossen.

Herausforderung für Betriebsräte

Rein rechtlich gesehen haben diese Beschäftigtengruppen keine Möglichkeit ihre Interessen kollektiv durchzusetzen, da der Betriebsrat für sie formal überhaupt nicht zuständig ist. Viele engagierte BetriebsrätInnen, die sich trotzdem um deren Anliegen kümmern wollen, stehen daher vor der Herausforderung, die Interessen »atypisch« Beschäftigter mit jenen der Stammbelegschaft zu vereinbaren. Die gesetzliche Realität erfordert aber auch neue Strategien. Denn um sicher zu stellen, dass »atypisch« Beschäftigte auch einen verbindlichen Rechtsanspruch auf eine betriebliche Interessenvertretung haben, müssen die arbeitsrechtlichen Bestimmungen entsprechend geändert werden.

Durch die sich verändernden Lebens- und Arbeitsrealitäten in unserer Gesellschaft ergeben sich auch Konsequenzen für überbetriebliche Interessenvertretungen. Doch weder die strikte Ablehnung dieser Arbeitsverhältnisse noch die simple Verallgemeinerung ist zielführend.

T I P P S

>work@flex: GPA-Interessengemeinschaft für »atypisch« Beschäftigte - www.interesse.at- bietet:

  • kostenlose rechtliche Erstberatung
  • Vertretung vor dem Arbeits- und Sozialgericht
  • monatlichen Newsletter
  • Veranstaltungen, öffentliche Aktionen
  • Plattform zur Vernetzung »Atypischer«
  • Unterstützung von BetriebsrätInnen
  • politische Selbstvertretung »Atypischer«
  • NEU: Leitfaden durch den Paragraphendschungel 2006 für freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen
  • Broschüre für Leiharbeitskräfte (Bestellungen: helmuth.korn@gpa.at, telefonisch unter 050301-21314)

Erfolgreiche Verfahren

Die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) führt zahlreiche erfolgreiche Verfahren bei Umgehungsverträgen, bei denen die sozialversicherungs- sowie arbeitsrechtlichen Ansprüche der Beschäftigten eingeklagt werden. Um in der gegenwärtigen Situation jedoch die Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Beschäftigtengruppen im Betrieb zu minimieren, müssen weitere kreative Ansätze und Lösungen gefunden werden.

Die GPA unterstützt BetriebsrätInnen sowie Beschäftigte dabei, »atypisch« Beschäftigte aktiv und passiv in die Betriebsratswahl einzubeziehen. Regelmäßige Jour Fixes zwischen BetriebsrätInnen und »atypisch« Beschäftigten werden organisiert.

Weitere Möglichkeiten sind die Einbeziehung der Anliegen der freien MitarbeiterInnen in Austauschgespräche zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung, sowie die Einbeziehung in betriebliche Sozialleistungen. Zur Durchsetzung der eigenen Interessen müssen sich »atypisch« Beschäftigten selbst organisieren können und in gewerkschaftliche Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen werden.

F O R D E R U N G E N

work@flex fordert:

  • gesetzliche Gleichstellung aller ArbeitnehmerInnen bei Krankheit und Arbeitslosigkeit
  • einheitliche Regelungen für alle ArbeitnehmerInnen, die wirtschaftlich von einem Dienstgeber abhängig sind
  • gleiche Mitbestimmungsrechte für »atypisch« Beschäftigte
  • gleichwertige Bezahlung aller ArbeitnehmerInnen
  • einen Generalkollektivvertrag, der »Atypische« nicht schlechter stellt wie Angestellte sowie die Ausweitung der Geltungsbereiche in den einzelnen Branchenkollektivverträgen auf »atypisch« Beschäftigte
  • gewerkschaftliche Unterstützung in der Mitbestimmung und Vertretung »Atypischer« in Betriebsratskörperschaften

Rahmenbedingungen schaffen

Für die Interessendurchsetzung müssen Rahmenbedingungen geschaffen sowie der institutionelle innergewerkschaftliche Interessenausgleich organisiert werden. Es muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass »atypisch« Beschäftigte keine Betroffenen, sondern handelnde AkteurInnen in ihrer eigenen Arbeits- und Lebenswelt sind.

Gewerkschaften haben daher die Aufgabe sich mit Veränderungen der Arbeits- und Lebensrealitäten der Menschen auseinanderzusetzen und Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass diese Veränderungen nicht nur in die tägliche Interessenpolitik, sondern ebenso in das gewerkschaftliche Selbstverständnis einfließen.

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum