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»Flexibel wie ein Gummimensch«

SCHWERPUNKT

Birgit Groß, 35, ausgebildete Trainerin für Legasthenie, Teilleistungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten hat trotz ihrer hohen Qualifikation in den vergangenen fünfzehn Jahren nie eine Anstellung angeboten bekommen, sondern immer nur freie Dienstverträge oder Werkverträge.

Mit welchen Problemen sehen Sie sich als freie Dienstnehmerin konfrontiert?
Birgit Groß:
Wenn es so wäre, dass »atypisch« Beschäftigte tatsächlich all diese Freiheiten hätte, besser bezahlt bekämen und sozial abgesichert wären, dann sehe zumindest meine Welt anders aus. Ich bin damit konfrontiert, dass ich als freie Dienstnehmerin nicht arbeiten kann, wann, wo und wie ich will. Stresspunkt Nummer eins ist aber immer die Frage: Wie viel Geld krieg ich am Ende des Monats? Da ich nie mit einem fixen Gehalt rechnen kann und die Einkommensschwankungen sehr hoch sein können, muss ich immer kalkulieren, dass ich möglicherweise am Ende des Monats auch überhaupt kein Einkommen habe. Dadurch kann ich es mir einfach nie leisten einen Job auszuschlagen. Man ist im Grunde ständig gezwungen mehrere Jobs gleichzeitig zu haben. Es scheint paradox, aber trotz Job muss ich immer ein wachsames Auge haben. Bei größeren Einkäufen bekomme ich beispielsweise immer einen Schweißausbruch, weil ich befürchten muss, dass mir möglicherweise genau dieser Betrag im nächsten Monat zum Leben fehlen wird. Ich habe mir mittlerweile angewöhnt in Zeiten, in denen ich etwas mehr als üblich verdiene, Vorratskäufe zu tätigen.

»Atypische« Beschäftigung wird häufig als Notwendigkeit oder Anreiz für einen dynamischen Arbeitsmarkt gesehen. Wie sehen Sie sich selbst als freie Dienstnehmerin in dieser »Dynamik«?
Flexibles Arbeiten erfordert permanente Biegsamkeit. Und so komme ich mir tatsächlich manchmal wie ein Gummimensch vor. Ich denke, die Wirtschaft begrüßt diese Flexibilität. Die KundInnen sowieso, denn deren Wünsche gehen ohnehin immer vor. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich allerdings sagen, dass die meisten »atypisch« Beschäftigten nicht freiwillig flexibel arbeiten, sondern wie ich in diese Art der Beschäftigung gedrängt wurden. Eine Anstellung zu haben entspricht für viele nicht mehr ihrer Normalität. Ich kenne kaum »atypisch« Beschäftigte, die damit zurecht kommen, ihr Honorar selbst auszuverhandeln. Denn für viele ist es schwierig, sich dem Auftraggeber gegenüber erfolgreich durchzusetzen.

Sehen Sie auch positive Aspekte an »atypischer« flexibler Arbeit?
Ich bin viel herumgekommen und habe unterschiedlichste »atypische« Jobs gemacht. Wenn freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen die gleichen Rechte wie Angestellte hätten, dann ließen sich möglicherweise an dieser Art der Beschäftigungsverhältnisse auch positive Aspekte feststellen. In der derzeitigen Situation ist es allerdings so, dass »atypisch« und flexibel arbeiten für mich bedeutet, weder einen sicheren Job noch ein sicheres Einkommen zu haben.

Wo müsste aus Ihrer Sicht angesetzt werden, um diese Zustände zu ändern?
Neben ausreichender sozialer Absicherung für den Krankheitsfall und im Fall der Arbeitslosigkeit, geht es auch um Wertschätzung, Weiterentwicklung und Einbeziehung der MitarbeiterInnen. Ob die Beschäftigten zufrieden sind oder nicht, hängt auch von der Philosophie eines Unternehmens ab.

Glauben Sie, Ihre Situation ist für »typische« ArbeitnehmerInnen nachvollziehbar?
Ich denke schon. Denn wenn Angestellte, die jahrelang beschäftigt sind, plötzlich einen freien Dienstvertrag oder einen Werkvertrag vor die Nase gesetzt bekämen, würden sie sich zunächst nur wundern. Da sie auf viele ihrer bisherigen Rechte mit einem Schlag verzichten müssten, würden sie sich informieren gehen, um dem entgegenwirken zu können. Außerdem sind viele längst selbst damit konfrontiert. Durch die hohe Arbeitslosigkeit machen viele Menschen Erfahrungen mit den Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt einen Platz zu finden. Es entsteht ein enormer Konkurrenzdruck, dem man auch bei unqualifizierten Jobs begegnet. Zunehmend bekommen auch unselbständig Beschäftigte, die auf Jobsuche sind, nur mehr »atypische« Verträge angeboten. Da kann man sich dann zwischen einem freien Dienstvertrag oder Werkvertrag und der Arbeitslosigkeit entscheiden. Für »atypisch« Beschäftigte ist das wiederum meist kein Thema, weil sie nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert sind und in vielen Fällen in der Vergangenheit keinen Versicherungsanspruch erworben haben.

Halten Sie es für attraktiv, sich selbständig zu machen?
Aus meiner Sicht wird oftmals der Fehler begangen, den Einzelnen mit einem Unternehmen zu vergleichen. Wenn ich als Werkvertragsnehmerin selbständig bin, dann habe ich sozusagen dieselbe Verantwortung wie ein Unternehmen. Einerseits muss ich zwar wie ein Unternehmen agieren und alle Aufgaben gleichzeitig bewältigen, andererseits habe ich aber klarerweise nicht dieselben Ressourcen wie ein Unternehmen. Ein Unternehmen ist auch nicht auf einzelne KundInnen angewiesen. Wenn ich Ausfälle habe, dann kann das unter Umständen meine Existenz gefährden. Das ist doch ein Widerspruch in sich.

Was wünschen Sie sich beruflich?
Eine Zukunftsplanung ist für mich eigentlich nicht möglich. Abgesehen davon, dass ich mir keinen Urlaub leisten kann, geschweige denn, dass ich jemals einen bezahlten Urlaub gehabt hätte. Ich kann mir beispielsweise auch keine Zahnspange leisten, die aber ein notwendiger medizinischer Eingriff wäre. Was ich möchte, ist ein festes Standbein für meine Existenzsicherung. Und ich möchte einmal erleben, ohne Wenn und Aber angestellt zu werden. Denn mittlerweile brauche ich einen Brotjob, um mir meinen Herzensjob überhaupt leisten zu können.

Vielen Dank für das Gespräch.

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