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Standpunkt | Was ist Solidarität?

MEINUNG

Die klassische Form der Solidarität bezieht sich auf die Zusammenarbeit unter Betroffenen, die dem Ziel der Verbesserung der eigenen Lage dient.

Die Kernidee dieser Form von Solidarität scheint darin zu liegen, dass bestimmte Gruppen, die ein Gruppeninteresse haben, erkannt haben, dass sie dieses Ziel auf individuellem Wege vermutlich nicht erreichen werden, wohl aber dann, wenn sie als Gruppe zusammenhalten und das Gruppeninteresse einfordern.1)

»Die Gewerkschaftsbewegung ist ein gutes Beispiel für diese Form der Solidarität. Jeder einzelne Arbeitnehmer ist außerstande, sein Einkommen durch Druck auf den Unternehmer erfolgreich zu erhöhen. Statt dessen besteht aber die Möglichkeit, dass sich die Arbeitnehmer zusammenschließen und gemeinsam höhere Einkommen von der Unternehmerseite fordern.

Solidarität bündelt die Interessen der einzelnen und trägt erheblich zu deren effektiver Durchsetzung bei. Darin enthalten ist ein individueller Konflikt, da das Engagement in der Gewerkschaft kurzfristig mit persönlichen Kosten verbunden ist, langfristig aber für den Einzelnen von Vorteil ist.«2)

Solidarität ist also eine Form der Kooperation, die sich günstig auf die Interessen aller auswirkt, die zusammenhalten. Kritikpunkte an dieser Form der Solidarität sind unter anderem, dass in ihm auch eine gehörige Spur von (Gruppen-) Egoismus liege, andere Motive wären abstrakte moralische Prinzipien bzw. auch generell Altruismus bzw. Uneigennutz. Erfolgserlebnisse gegenseitiger Kooperation stärken den Zusammenhalt von Solidargemeinschaften mit gemeinsamen Interessen, wie zum Beispiel Gewerkschaften. Am Beginn der Selbstorganisation von gemeinsamen Interessen stand die »Brüderlichkeit «, zum Beispiel bei der Organisation von Zünften. Bemühungen um Solidarität können auch scheitern. Hier ein Beispiel aus den Anfängen der Frauenbewegung.

Brüder und Schwestern

Während der Französischen Revolution 1789 haben viele Frauen in vorderster Linie mitgekämpft. Sie nahmen an der Erstürmung der Bastille teil, gründeten ab 1790 Frauenclubs, die nicht nur karitative Ausgaben wahrnahmen, sondern über Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte diskutierten, Protestmärsche organisierten und eigene Zeitungen herausgaben.

Ab 1793 wurde die Bewegung der Frauen mit allen Mitteln, sehr oft blutig unterdrückt. Zuerst verloren sie im April 1793 das Bürgerrecht, im Oktober 1793 wurden alle Frauenklubs verboten, und ab Frühjahr 1795 durften sie noch nicht einmal mehr an politischen Versammlungen teilnehmen.3)

Eine dieser Persönlichkeiten aus diesen Anfängen der Frauenbewegung in Europa war Olympe de Gouges. Sie verfasste unter anderem das bedeutendste Dokument der Bewegung, eine »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«, in dem als Idealbild ein solidarisches Verhältnis von Frauen und Männern entworfen wird. Olympe de Gouges starb am 3. November 1793 unter der Guillotine. Sie hatte gewagt, den »Tyrannen« Robespierre zu kritisieren, ein anderes Stimmrecht zu fordern und überhaupt in einigen Flugschriften eine abweichende Meinung zu äußern. In ihrem Testament schrieb sie vor ihrer Hinrichtung:

»Ich vermache mein Herz dem Vaterland, meine Seele den Frauen, kein kleines Geschenk, meine Redlichkeit den Männern, sie haben es sehr nötig.«

Geschwisterlichkeit?

Die Vertonung von Schillers »Hymne an die Freude« im Schlusssatz der neunten Symphonie von Beeethoven »Alle Menschen werden Brüder« zeigt voll Überschwang einen Weg über die Gruppeninteressen hinaus, und die jetzige »Europahymne« ist ein Aufruf an die Menschen, sich im Zeichen der Freude zu vereinen, Grenzen zu überwinden und sich gegenseitig zu unterstützen. In Zeiten wachsender Fremdenfeindlichkeit ist die Europahymne aber auch ein Aufruf zu Versöhnung und Völkerverständigung, heißt es:

»Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, Was die Mode streng geteilt, Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt.«

Siegfried Sorz

1)Kurt Bayertz (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998
2) Hans W. Bierhoff, Beate Küpper: Sozialpsychologie der Solidarität (in Bayertz 1998)
3) Zitiert nach Rainer Zoll: Was ist Solidarität heute? Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000, Seite 49 ff. (»Fünfte Zwischenfrage: Wo blieben die Frauen?«)

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