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Machtverhältnisse in der Schieflage

HINTERGRUND

1. Die Krise des Sozialstaats ist eine Krise in den Köpfen der wirtschaftlichen und politischen Eliten. 2. Der Sozialstaat ist eine politische Schranke gegen die Vermarktung menschlicher Arbeit. 3. Der Sozialstaat kann zurückgewonnen werden durch eine höhere Wertschöpfung und eine demokratische Solidarität.

Diese Thesen stammen von dem Ökonomen und Jesuiten Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach. Beim Sozialstammtisch von ÖGB und katholischen Organisationen in Oberösterreich räumt Hengsbach mit der Mär von der Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates, Globalisierungsdruck und der angeblichen demografischen Falle auf - und bricht eine Lanze für den Sozialstaat als Voraussetzung für Arbeitsproduktivität.

Mit seinen ökonomischen Überlegungen entlarvt er angebliche Marktzwänge
als Rechtfertigung für Sozialabbau als unhaltbar. Dass über gerechte Arbeitsverhältnisse nur mehr im Sinne der Anpassung diskutiert werde, liege nicht an Wettbewerbszwängen, sondern an einer Schieflage der Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.

Gerechtigkeit?

Als einer der profiliertesten Vertreter der katholischen Sozialethik ist Hengsbach in kirchlichen Kreisen als scharfzüngiger Kritiker von Sozialabbau bekannt. »Die normative Frage nach Gerechtigkeit wird nicht mehr gestellt«, kritisiert Hengsbach. Die neue Gerechtigkeit in unserer modernen Gesellschaft sei jene der Chancengleichheit. »Es wird argumentiert, dass der Staat nicht mehr begleiten und unterstützen kann. Er zieht nur die Startlinie gleich für alle, dann laufen alle. Wer sich anstrengt und als Erster ankommt, bekommt eine Belohnung, der Zehnte natürlich nicht mehr. Marktgerechtigkeit hat in der gegenwärtigen Debatte Vorrang vor Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit vor Solidarität.«

»In kapitalistischen Gesellschaften wird nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch die Intelligenz der abhängig arbeitenden Menschen enteignet.«

Wie aber schaut die Realität aus? Stehen reiche Industrieländer wie Österreich
tatsächlich unter einem beispiellosen Globalisierungsdruck, der sie zwingt, soziale Errungenschaften auf den Prüfstand zu stellen und den Sozialstaat abzubauen? »Wir müssen den Gürtel enger schnallen und auf soziale Errungenschaften verzichten, weil in anderen Ländern die Arbeitskräfte billiger sind«, zitiert Hengsbach mit ironischem Lächeln die Prediger des Marktradikalismus. »Bei einer Exportquote von 42 Prozent kann aber der Wettbewerbsdruck nicht so dramatisch sein«, meint der Ökonom. »Und wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Exporte in andere westeuropäische Länder geht, kann wohl kaum von Niedriglohnkonkurrenz gesprochen werden.«

Rattenrennen

Produktionsverlagerungen sieht Hengsbach gelassen: Einzelne seien natürlich betroffen, aber im Endeffekt würden beide Länder - jene, wohin es geht und jene, aus denen verlagert wird - profitieren. »Für das Land, wo es hingeht, bedeutet die Produktionsverlagerung Investitionen, Wachstum und mehr Kaufkraft. Länder wie Österreich profitieren von der gesteigerten Nachfrage aus diesen Ländern nach österreichischen Produkten. Die Frage ist nur, wie der Wohlstand verteilt wird. Werden die Opfer entschädigt oder durch Schnitte ins soziale Netz erneut bestraft?« Der Steuerwettbewerb als Versuch, Produktionsverlagerungen zu verhindern, sei eine politische Sackgasse. »Das ist ein Rattenrennen«, betont Hengsbach. »Einer streicht was, die anderen ziehen nach und alle stehen wieder gleich da. Schlechter als zuvor.«

Geschlecht und Fairness
Chancen biete der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Neue Märkte würden sich im Dienstleistungsbereich bei der Arbeit am Menschen, wie etwa im Wellness-Bereich, erschließen. »Mobilität, Bildung, Gesundheit und Kommunikation haben allerdings Grundrechtscharakter und müssen öffentlich zur Verfügung gestellt werden«, betont Hengsbach.

60 Prozent der gesellschaftlich notwendigen Arbeit werde heute im Privaten geleistet, ohne abgegolten zu werden. Meist von Frauen. »Männer sitzen im Aufsichtsrat, Frauen besuchen die Kranken. Die sexistische Arbeitsteilung ist nicht mehr zu akzeptieren. Erwerbsarbeit, private Arbeit und zivilgesellschaftliches Engagement müssen fair auf die Geschlechter verteilt werden «, sagt Hengsbach.

Tabubrüche notwendig
Wenig Bedrohliches hat für Hengsbach die demografische Entwicklung. »Wir hören immer wieder, dass in 20 Jahren ein Erwerbstätiger einen Pensionisten zu finanzieren habe, was ein Ding der Unmöglichkeit sei«, sagt Hengsbach. Es sei richtig, dass der Anteil der Erwerbstätigen zurückgehe, nicht zuletzt deshalb, weil das Arbeitsvolumen weniger werde, die Produktivität aber höher. »Entscheidend ist nicht die Altersstruktur einer Gesellschaft, sondern ihre Produktivität.

»Jene Gruppe, die erwerbstätig ist, muss genug erwirtschaften, um sich selbst und andere zu versorgen.« Die Geschichte zeige allerdings, dass erhöhte Produktivität nicht immer eine Erleichterung für die Betroffenen - etwa durch Arbeitszeitverkürzung -, sondern auch höhere Arbeitslosigkeit bedeuten kann. »Das Problem ist, dass das Sozialsystem an Lohneinkommen geknüpft ist, der Anteil der Arbeitseinkünfte aber zu Lasten der Kapitaleinkünfte sinkt. Deshalb gerät jedes Sozialsystem, das auf Arbeit basiert, unter Druck, obwohl der gesellschaftliche Reichtum wächst. Die Basis erodiert. Die Finanzierungsgrundlage muss ausgeweitet werden.« Dafür seien aber Tabubrüche notwendig, über die sich offenbar niemand drüber traut.

Monitäre Revolution
Der größte Unterschied zur realen Wirtschaft der Nachkriegszeit sei die Dominanz der Finanzmärkte. »Heute sind 82 Prozent der Finanzgeschäfte rein spekulativ, nur 12 Prozent haben mit Waren zu tun. Geld und Finanzen haben  eine neue Bedeutung, seit 1973 die festen Wechselkurse aufgekündigt und das Wechselkursrisiko privatisiert wurden. Die Funktion von Geld ist heute eine andere. Geld war ein reines Tauschmittel, heute ist es Vermögensgegenstand.
« Diese monetäre Revolution habe auch die Politik verändert. Inflationsbekämpfung habe höhere Priorität als Wirtschaftswachstum. »Der eigentliche Gegner der Gewerkschaft sind nicht die Arbeitgeber, sondern die europäische Zentralbank«, kritisiert Hengsbach. »Sobald ein Hauch von Inflationsgefahr am Horizont auftaucht, drückt sie auf die Bremse, und es kommt zu Abstürzen durch die restriktive Geldpolitik.

Das ist das Ende jeder Lohnpolitik - aus Angst, die Krise weiter zu verschärfen. « Die Schieflage der Machtverhältnisse in der kapitalistischen Marktwirtschaft habe sich durch die Finanzmärkte weiter zugespitzt.
»Der solidarische Zusammenschluss der abhängig Beschäftigten ist notwendig, um auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern zu verhandeln. Natürlich brauchen die Kapitalisten die Arbeiter, weil ihre Produktionsmittel sonst unrentabel werden. Aber sie können länger warten als die Mehrheit der Bevölkerung, die darauf angewiesen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.«

Brüchige Verhandlungsmacht
Diese Schieflage der Machtverhältnisse mache gerechte Arbeitsverhältnisse unmöglich. Der Sozialstaat als Schranke gegen die Vermarktung menschlicher Arbeit korrigiere diese Schieflage. »Seit die Regierenden die sozialen Sicherungssysteme deformiert haben, ist die kollektive Verhandlungsmacht der abhängig Beschäftigten brüchig«, meint Hengsbach.

Eine wesentliche Voraussetzung für Verhandlungen auf Augenhöhe sei das Arbeitsrecht, vor allem die Tarifverträge, die Rahmenbedingungen klar abstecken. Die sozialen Sicherheitssysteme seien notwendig, damit sich Arbeitnehmer mit aufrechtem Rückgrat am Arbeitmarkt bewegen können, weil sie wissen, dass sie aufgefangen werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Hengsbach: »Die Alternative zu Sozialabbau besteht in einer normativen Aufwertung und politischen Festigung eines robusten Sozialstaats, der die Würde und die Rechte abhängig Beschäftigter verteidigt und gegen gesellschaftliche Risiken solidarisch absichert.

Er ist sowohl Ursache als auch Wirkung einer höheren Wertschöpfung und Lebensqualität für alle.«

INFORMATION

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ

Der 69-jährige Jesuitenpater und Ökonom gilt als einer der profiliertesten Vertreter der katholischen Sozialethik und scharfzüngiger Kritiker des Sozialabbaus. Er studierte Philosophie, Theologie und Wirtschaftswissenschaften.
Zwanzig Jahre lang war er Professor für Christliche Sozialwissenschaft und Wirtschafts- und Gesellschaftslehre an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.
Von 1992 bis 2006 leitete er das Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.

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