topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Steuerwettbewerb ist Sackgasse

HINTERGRUND

Die Grundlage des Sozialstaates muss erweitert werden - Interview mit Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach

Arbeit&Wirtschaft: Bundeskanzler Gusenbauer hat mit seinem Sager: »Steuern runter macht Österreich munter « für Aufregung gesorgt. Warum geraten jene, die vor der Wahl Umverteilung propagieren, sobald sie Regierungsverantwortung haben, in neoliberales Fahrwasser?
Friedhelm Hengsbach: Man darf nicht erwarten, dass alles, was vor der Wahl gesagt wird, auch realisiert wird. Das Gegenteil dazu ist Merkel in Deutschland, die vor der Wahl den Marktradikalismus propagiert hat und nun in der großen Koalition die soziale Gerechtigkeit entdeckt. Trotzdem ist es anachronistisch, dass ein Sozialdemokrat mit einer Ausweitung des Steuerwettbewerbs wirbt.
Die politische Orientierung in Österreich und Europa am Steuerwettbewerb ist eine Sackgasse, weil sich kurzfristige Vorteile sofort wieder wegkorrigieren. Wir brauchen eine koordinierte Steuer- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene.

Sie sagen, dass die Krise des Sozialstaates eine Krise in den Köpfen der wirtschaftlichen und politischen Eliten ist. Kann es sein, dass die Regierenden einfach nicht an Alternativen zum Neoliberalismus glauben?
Die bürgerlichen Eliten, die das marktradikale Glaubensbekenntnis formuliert haben, brauchen selbst den Sozialstaat gar nicht. Sie sind nicht auf eine solidarische Versicherung angewiesen. Sie sind an Verbindungen mit der Privatwirtschaft, an privaten Möglichkeiten interessiert.

Steckt der Sozialstaat in der Krise?
Die Krise des Sozialstaates ist eine Krise der eingeschränkten Finanzierungsform, weil sie nur auf Arbeitseinkommen zurückgreift. Viel größer sind die Leistungs- und Gerechtigkeitsdefizite. Der Sozialstaat darf nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden. Er ist die Voraussetzung für die Produktivität der Wirtschaft. Der Handlungsspielraum der Politik wird zu Gunsten der Finanzwirtschaft kleiner. Das spüren auch Gewerkschaften.

Was können Gewerkschaften - abseits der Umverteilung über KV-Politik - tun?
Einerseits braucht es in Unternehmen nachdenkende Menschen, die davor warnen, auf Börseerfolge oder kurzfristige Erfolge zu setzen. Zweitens muss die Gewerkschaft die Regierungen drängen, die Aufsichtenkontrolle über Hedgefonds und freies Bankwesen wieder zu gewinnen.

Stichwort Prekarisierung: Wie kann den neuen Herausforderungen begegnet werden, die neue Arbeitsverhältnisse für Gewerkschaften schaffen?
Die Gewerkschaften sind im Dienstleistungsbereich schwach organisiert, denken aber in Kategorien der Großorganisationen, der Industrie. Wir erleben den Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Die Gewerkschaften müssen näher an die Interessen der einzelnen Leute, sie brauchen kleinere Einheiten, um Mitglieder zu gewinnen. Ein Problem für die Gewerkschaften ist, dass im Dienstleistungsbereich viele Frauen beschäftigt sind. Das Geschlechterverhältnis in den Gewerkschaften und die männliche Orientierung am Industriearbeiter wirken sich negativ aus.
Ich fürchte außerdem, dass sich die Gewerkschaften durch die enge Bindung an eine Partei selbst hemmen, Einfluss zu nehmen. In Österreich führt das zu einer Zähmung der Gewerkschaft durch die große Koalition. Gewerkschaften sollen sich nicht in die staatliche Sphäre hineinhängen, eine stärkere Trennung wäre notwendig. Gewerkschaften sollten sich wieder als Teil der Zivilgesellschaft verstehen und nicht als Staatsapparate.

Gibt es in der Kirche Kräfte, die gegen den Neoliberalismus ankämpfen? Sind Koalitionen mit der Gewerkschaft möglich?
Die Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung in der Kirche sind zwei Bewegungen, die mit Gewerkschaften, aber auch Attac kooperieren können. Es entstehen neue Bündnisse auf lokaler und regionaler Ebene, die eine Chance für eine Gegenmacht zu staatlichen Aktivitäten sind.

Wie können die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in den Sozialstaat und seine Leistungen wieder hergestellt werden?
Zuerst muss betont werden, dass der Sozialstaat die Voraussetzung für Arbeitsmotivation und eine positive Einstellung zur Erwerbsarbeit der abhängig Beschäftigten ist. Das größte Arbeitshemmnis ist die Sorge, die Arbeit zu verlieren. Deshalb ist der Sozialstaat die Voraussetzung für Arbeitsproduktivität. Die drei Säulen, auf denen der Sozialstaat bisher basierte, sind eine dauerhafte, ununterbrochene Erwerbsbiografie, eine sexistische Arbeitsteilung in der Ein-Ernährer-Hausfrauen-Familie und zwei bis drei Kinder pro Familie.
Alle drei Säulen sind brüchig. Nun gibt es die Möglichkeit der privaten Vorsorge für Reiche. Für die Masse der Bevölkerung geht das aber nicht, die gesellschaftlichen Risiken müssen solidarisch abgesichert werden. Dazu muss die Grundlage des Sozialstaates erweitert werden. Alle Personen im Geltungsbereich der Verfassung müssen einbezogen und alle Einkommen beitragspflichtig sein.

(Mit Peter Friedhelm Hengsbach sprach Carmen Janko.)

Artikel weiterempfehlen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum