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Australien vor den Herbst-Wahlen

Australien: Vor den Herbst-Wahlen

Internationales

Nach elf Jahren Regierung der Liberal Party unter Premierminister John Howard zeichnet sich in »Down Under« wieder eine Chance auf einen Regierungswechsel ab.

»Die sozialpolitische Ausrichtung der Howard-Regierung war sehr konservativ«, resümiert Arnie Olbrich das letzte Jahrzehnt australischer Politik. Olbrich, der mir in einem Hotelzimmer in Sydney ein Interview gibt, war in den 80er Jahren unter anderem Berater der Labor-Regierung des ehemaligen Gewerkschaftspräsidenten Bob Hawke. Die australische Gewerkschaft hat gerade durch die Einführung von Individualabkommen anstelle der traditionellen Kollektivverträge einen schweren Dämpfer erlitten. Neben der Schwächung der ArbeitnehmerInnenvertretung sollten auch Verschärfungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung zu besseren Ergebnissen am Arbeitsmarkt, sprich weniger Arbeitslosigkeit, beitragen. »Die haben doch nur die Statistik aufpoliert«, sagt dazu Olbrich, während er nach seiner Tasse Kaffee greift. »In Australien giltst du schon als beschäftigt, wenn du nur eine Stunde pro Woche arbeitest. In Wahrheit haben wir die höchste Arbeitslosigkeit seit 30 Jahren!« Trotzdem wird die Arbeitslosenhilfe bereits nach einer einzig versäumten Jobbewerbung gestrichen.

Starker Norden

Anders sieht das sein Landsmann Paul Fraser. Ich treffe Fraser zufällig in einem schmuddeligen Hotel in Darwin, der Hauptstadt der tropischen Northern Territories. Fraser gehört zu jenen jungen australischen Arbeitern, die auf der Suche nach gut bezahlten Jobs aus Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit in den wirtschaftlich starken Norden abwandern. »Ich bin erst seit ein paar Tagen hier und die haben mich hier bereits nach meinem ersten Vorstellungsgespräch genommen«, erklärt mir Fraser. »Ich habe einen Job am Hafen bekommen. In ein bis zwei Wochen kann ich aus diesem Hotel ausziehen und mir eine Wohnung nehmen. Wer wirklich Arbeit sucht, bekommt sie auch. Aber unsere Sozialleistungen sind einfach zu großzügig. Viele Leute kassieren lieber die Arbeitslosenhilfe und bleiben daheim. Je mehr Kinder sie haben, desto mehr bekommen sie.« Frasers Stimme scheint sich bei diesem Thema immer mehr mit Zorn zu füllen: »Und das macht mich wirklich wütend! Die faulenzen, während Leute wie ich 1500 Kilometer durchs Land fahren, um zu arbeiten. Die Jobs kommen nicht zu dir, du musst zu den Jobs gehen!« Meinen Einwand, dass die Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Australien zu den niedrigsten in der industrialisierten Welt gehören, ignoriert er geflissentlich. Schließlich hört und liest man fast täglich das Gegenteil. Amüsiert lese ich die Leserbriefe in der Tageszeitung »Northern Territory News«. Einige Nordaustralier beschweren sich dort über die vielen Südaustralier, die immer zahlreicher in den Norden kämen, um gutes Geld zu machen, aber viel weniger leisten würden.

Erste soziale Reformen

Wie kam es in einem Land, das immerhin die erste gewählte sozialistische Regierung der Welt hervorbrachte, zu dieser Entwicklung? Premierminister Andrew Fisher, ein schottischer Minenarbeiter und Gewerkschafter, bestimmte ab 1908 die Geschicke des damals erst sieben Jahre jungen Landes und initiierte erste soziale Reformen wie das Pensionsgesetz. Die kurze Blütephase des australischen Sozialismus war jedoch bald vorbei. Zwischen 1916 und 1972 war die Labor Party nur zehneinhalb Jahre in Regierungsverantwortung. Der internationale Ruf nach Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt, der im Zuge der 1968er Bewegung durch Europa und Nordamerika hallte, erreichte aber letztendlich auch Australien. Labor-Premierminister Gough Whitlam trieb in seiner Amtszeit (1972-75) die bisher umfassendsten sozialen Reformen voran. Bis heute bedauern viele linke und liberale AustralierInnen, dass er seine überaus knappe Mehrheit schon bald wieder verlor und ihm dadurch zu wenig Zeit blieb, mehr seiner nachhaltigen Projekte voranzutreiben. Man denke hierbei vergleichsweise nur an Olof Palme in Schweden, der über neun Jahre lang regierte oder Bruno Kreisky, der hierzulande sogar über 13 Jahre lang im Amt verweilte.

Einfluss der USA

Zu den wesentlichen Reformen dieser Zeit zählen unter anderem die Schaffung einer universalen Krankenversicherung und einer Grundpension, die Abschaffung der Studiengebühren und der Wehrpflicht sowie die Anerkennung und finanzielle Förderung der australischen UreinwohnerInnen. Für die kurze Amtszeit, die der Regierung Whitlam zur Verfügung stand, waren das durchaus beachtliche Reformen. Nach Whitlam folgten einige Jahre konservativer Vorherrschaft, bevor die Labor Party von 1983 bis 1996 zum ersten Mal seit den Vierzigerjahren über einen längeren Zeitraum hinweg den Premierminister stellen konnte. Ausgerechnet diese Labor-Regierungen waren es jedoch, die dem ohnehin nur rudimentär ausgebauten australischen Sozialstaat mit massiven Einsparungen und Privatisierungen die Luft abschnürten. Der Einfluss der USA war nun nicht mehr bloß außenpolitisch, sondern auch sozial- und wirtschaftspolitisch unübersehbar, und vor allem spürbar.

Harter Kurs gegen Gewerkschaften

Der konservative Premierminister Howard ist seit 1996 Regierungschef und hat bereits vier Wahlen hintereinander gewonnen.1)
Von Anfang an praktizierte er einen harten Kurs gegen Gewerkschaften, MigrantInnen und Aboriginal-Organisationen. Seine radikalen Privatisierungsmaßnahmen waren zwar alles andere als populär, doch wurde die Kritik seitens der Labor-Opposition von vielen als ziemlich unglaubwürdig eingeschätzt. Waren es doch die der Howard-Ära vorausgegangenen Regierungen der Labor Party, die die wesentlichsten Elemente des Privatisierungskurses auf die Schiene brachten. Auch bei der »Entschlackung« der Sozialpolitik waren sie federführend.
Ähnlich wie das australische Arbeitslosensystem mit seinen erschreckend niedrigen Ersatzraten ist auch das Pensionssystem in erster Linie eine Art Sozialhilfeprogramm für Bedürftige.

Problematisches Pensionssystem

Noch in den Achtzigerjahren war die staatliche Säule der Altersvorsorge die Haupteinnahmequelle für PensionistInnen. Leistungen aus Betriebsrentenprogrammen ließ man sich, da diese Variante steuerbegünstigt war, auszahlen. Nur sehr selten wurden damit zusätzliche Pensionsversicherungsleistungen angekauft. 1984 wurde die von der Whitlam-Regierung abgeschaffte Vermögensabklärung wieder eingeführt, strenge Bedürftigkeitsprüfungen folgten.
Das bedeutet nichts anderes, als dass die 1. Säule, die ohnehin für alleinstehende PensionistInnen nur 25 Prozent des Durchschnittslohnes beträgt, auch bei Zusatzeinkünften oder geringem Vermögen gekürzt wird, bis sie schließlich ganz wegfällt.
Die betriebliche Säule wurde ab 1986 durch die Einführung einer obligatorischen betrieblichen Altersvorsorge aufgewertet. Das frühest mögliche Entnahmealter wird schrittweise von 55 auf 60 Jahre erhöht. Bei DurchschnittsverdienerInnen beträgt die Ersatzquote der betrieblichen Altersvorsorge und der öffentlichen Altersrente zusammen etwa 70 Prozent nach 30 Jahren Beitragszahlung. Theoretisch. In der Praxis führten schlechte Kursentwicklungen in den letzten Jahren zu negativen Renditen. Weitere Verluste von Ersparnissen wurden durch die hohen Verwaltungsgebühren der Betriebsrentenfonds verursacht.

Flying Doctors

Nach einer jüngsten Umfrage unterstützen dennoch bloß 55 Prozent der AustralierInnen die staatliche Verantwortung für die Altersvorsorge. Anders verhält es sich im Gesundheitsbereich. Hier unterstützen 80 Prozent der Befragten das öffentliche Gesundheitssystem, das erst sehr spät, nämlich 1975, eingeführt worden ist. Im Gegensatz zu Österreich, wo beachtliche 2,4 Prozent der Bevölkerung über 15 Jahren nicht versichert sind, erfasst das australische System alle EinwohnerInnen. Es ist primär steuerfinanziert 2). Besonders stolz sind die AustralierInnen auf ihre »fliegenden Ärzte« (»Flying doctors«), die mit kleinen Flugzeugen auch die abgelegensten Wüstenregionen des Landes ansteuern. Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte sind im ganzen Land gratis, allerdings gibt es recht hohe Selbstbehalte bei Medikamenten. Derzeit müssen pro Verschreibung EUR 13,60 hingeblättert werden. Dieser Selbstbehalt ist gedeckelt. Wenn die jährlichen Ausgaben eines Haushaltes ca. EUR 420,- übersteigen kosten alle zusätzliche Medikamente nur noch EUR 2,17.
Ein wirklicher Minuspunkt ist jedoch die Krankengeld-Regelung. Diese Leistung wird bloß für maximal 13 Wochen lang ausbezahlt und beträgt nach einer Warteperiode von sieben Tagen für Alleinstehende ca. EUR 480,- pro Monat. Ebenfalls nicht unproblematisch ist der Ausschluss von zahnärztlichen Leistungen aller Art bzw. die recht hohen Krankentransportgebühren. Im Jahre 2005 hatten bereits mehr als 43 Prozent der AustralierInnen eine Privatversicherung abgeschlossen, vor allem um die langen Wartezeiten in den öffentlichen Spitälern zu umgehen. Die Howard-Regierung fördert diese privaten Gesundheitsanbieter. Beispielsweise sind Privatversicherungen steuerlich absetzbar.

Wahlkampf ohne Sozialpolitik

Die Sozialpolitik spielt trotz aller Probleme insgesamt keine große Rolle im australischen Wahlkampf. Auf die Frage ob er sich von einem etwaigen Regierungswechsel wesentliche Änderungen im Sozialbereich erwarte, meint folglich auch Arnie Olbrich: »Sozial- und wirtschaftspolitisch sind die Weichen bereits gestellt. Weder im Bereich der Arbeitslosenunterstützung noch bei der Gesundheit oder den Pensionen wird sich etwas ändern. Allerdings würde (Anm. Labor-Oppositionsführer) Kevin Rudd die drakonischen neuen Arbeitsplatzübereinkommen zurücknehmen.« Auch in Unternehmen, in denen Kollektivverträge in Kraft sind, dürfen ArbeitgeberInnen im Rahmen dieser Übereinkommen neuen Beschäftigten individuelle Verträge anbieten. In diesen Verträgen kann zum Beispiel festgelegt werden, dass Überstunden, Krankenstands- oder Urlaubstage gegen höhere Löhne eingetauscht werden können. Wer keinen individuellen Vertrag unterzeichnen möchte, dem kann der Arbeitsplatz verweigert werden.

3800 EUR Strafe für Streiks

Zwar bietet der Australische Gewerkschaftsdachverband ACTU für ArbeitnehmerInnen, die vor der Vertragsunterzeichnung stehen, intensive Beratungsleistungen an, doch allzu oft werden diese von der Arbeitgeberseite über den Tisch gezogen. Arnie Olbrich wirkt nachdenklich und zieht an seiner Zigarette: »Wie soll denn irgendein junger Arbeiter, mit dem ein solcher Vertrag abgeschlossen werden soll, das nötige Know-how und die nötige Macht haben, einen guten Vertrag mit seinem Arbeitgeber abzuschließen?«. Weitere »Reformen« der Howard-Regierung waren die Abschaffung jeglichen Kündigungsschutzes für Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten sowie die Einführung hoher Strafen bei Streiks, die die Regierung nicht anerkennt. Auch einzelne ArbeitnehmerInnen, die sich an Streikaktivitäten beteiligen, müssen mit Strafen bis zu EUR 3800,- rechnen!

1600 Soldaten im Nahen Osten

Neben den dringend nötigen Änderungen bei den Arbeitsbeziehungen erwartet sich Arnie Olbrich auch einen neuen Kurs in der Außen- und Migrationspolitik: »Kevin Rudd ist eigentlich auch ein konservativer Typ. Aber er wird zumindest in diesen Bereichen eine etwas humanere Politik betreiben als John Howard.« Olbrich lacht hämisch: »Howard wird ja nicht zu unrecht als George Bushs Hilfssheriff im Südpazifik bezeichnet!« John Howard war tatsächlich von Anfang an ein treuer Verbündeter der USA. Er schickte nicht nur Truppen nach Afghanistan, sondern beteiligte sich auch 2003 bei der Invasion des Iraks. Immer noch versehen an die 1600 australische Soldaten ihren Dienst im Nahen Osten. »Die Labor Party würde unsere Truppen aus dem Irak abziehen«, ergänzt Olbrich.

Aboriginals im Elend

Auch Howards Migrationspolitik ist umstritten. Flüchtlinge, die mit dem Boot nach Australien gelangen wollen, haben de facto keine Chance mehr auf Asyl. Vielmehr werden sie in Anhaltelager auf der Pazifikinsel Nauru und in Papua Neuguinea gesteckt. Die australische Regierung überweist den beiden Staaten riesige Geldsummen für die Aufrechterhaltung der Flüchtlingslager. Ein weiteres Lager auf den Christmas Inseln ist gerade in Bau.
Im Gegensatz zu einer Kursänderung in den Bereichen Migrations- und Außenpolitik wird nicht erwartet, dass sich bei einem Regierungswechsel für die sozial Schwächsten der Gesellschaft, nämlich die australischen UreinwohnerInnen, viel zum Besseren wendet. Die Lebenserwartung der Aboriginals liegt immer noch fast 20 Jahre unter der der Weißen. Das Bildungsniveau ist gering, die Arbeitslosenraten dagegen sehr hoch. Ganze Aboriginal-Kommunen befinden sich in einem Teufelskreislauf aus Armut, Alkoholismus und Gewalt. In vielen Kommunen gibt es kein fließend Wasser, keine Toiletten und keine Gesundheitsversorgung. Einziger Hoffnungsschimmer: Erfolgloser als die jetzige Regierung könnte in diesem Bereich auch eine etwaige Labor-Regierung nicht mehr agieren.
Arnie Olbrich nimmt einen weiteren Zug von seiner Zigarette. »Das letzte Jahrzehnt war sehr dynamisch. Ich hoffe wirklich, dass es bald einen Wechsel gibt. Wenn ich im Ausland unterwegs bin, sage ich mittlerweile schon, dass ich aus Neuseeland oder Deutschland bin, nicht aus Australien.«  

1)
In Australien wird alle drei Jahre gewählt. Das Repräsentantenhaus, die untere Kammer des Parlamentes, wird jeweils komplett gewählt, während der Senat nur zur Hälfte erneuert wird. Wie in den USA müssen Gesetzesvorschläge in beiden Kammern beschlossen werden.
2)
»Primär steuerfinanziert« bedeutet, dass der Großteil der öffentlichen Aufwendungen für Gesundheit aus dem allgemeinen Steueraufkommen getragen wird. Zusätzlich gibt es aber ArbeitnehmerInnenbeiträge von ein Prozent bzw. 2,5 Prozent für besser Verdienende.


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