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»Uns fehlt nur eine Kleinigkeit … nur Zeit!«

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Noch früher als der arbeitsfreie 1. Mai war der arbeitsfreie Sonntag für die ArbeiterInnenbewegung ein Symbol für den Anspruch auf gesellschaftliche Gleichberechtigung.

Von der Forderung nach Sonntagsruhe in der Revolution von 1848 bis zu ihrer Verwirklichung für die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen im Rahmen einer längeren »Wochenenderuhe« in der Zweiten Republik vergingen 135 Jahre. Heute wird der arbeitsfreie Sonntag wieder in Frage gestellt. Die Gewerkschaftsbewegung ist mit Verbündeten aus Religionsgemeinschaften und neuen sozialen Bewegungen zu seiner Verteidigung angetreten.
Im Lied des bedeutenden österreichischen Dichters Richard Dehmel, aus dem der Titel dieses Beitrags stammt, heißt es vollständig »... und es fehlt nur eine Kleinigkeit, um so frei zu sein, wie die Vögel sind: Nur Zeit!« Die zweite Strophe verweist auf die wenigen Sonntagsstunden, die den ArbeiterInnen für das Familienleben blieben.
Die Geschichte des Sonntags als Tag zum Atemholen ist uralt. Es war eine der weltgeschichtlichen Leistungen des Judentums, einen bestimmten Tag pro Woche festzulegen, an dem »die Seele baumeln« darf, ohne dabei den dazu gehörenden Menschen in den Verdacht der Faulheit zu bringen.
»Heilige Tage«, an denen nur die Sklaven und Sklavinnen arbeiten mussten, waren zwar seit Jahrtausenden üblich, doch sie waren unregelmäßig verstreut und hingen zumeist mit dem Rhythmus der Jahreszeiten, von Aussaat und Ernte zusammen. Die meisten dieser Feste hatten die Funktion, die bei uns heute noch immer der Fasching erfüllt: Den Menschen für kurze Zeit »die Zügel schießen« zu lassen, - »denen da unten« zu erlauben, »die da oben« auszuspotten, sexuelle Freizügigkeit zu tolerieren und durch Verkleidung und Verhalten gesellschaftliche Rollen zu tauschen.
Aber eines fehlte diesen Festen: Die Möglichkeit der regelmäßigen Erholung und Entspannung und gemeinschaftlicher Aktivitäten nach einem überschaubaren Zeitraum intensiver Arbeit. Dies brachte erst der jüdische Sabbat mit sich, dem der christliche Sonntag und der islamische Freitag folgten. Schon für diese alten Zeiten war aber die kritische Frage zu stellen: Profitieren wirklich alle in der Gesellschaft und alle in gleicher Qualität von diesem Ruhetag? Die Antwort lautete von Anfang an eindeutig »Nein«. Im christlichen Mittelalter Europas bekamen Dienstboten und Hilfskräfte bestenfalls zum Kirchgang frei - in die
Messe konnte man schließlich auch im Morgengrauen oder spät in der Nacht gehen. Handwerksgesellen und Bergknappen erreichten zwar als unverzichtbare qualifizierte Fachkräfte zunächst den freien Sonntag, aber sie verloren ihn wieder als Industrialisierung und moderne kapitalistische Arbeitsorganisation Einzug hielten.
Im »Verlagssystem« der Großindustrie vor 200 Jahren saßen oft Tausende Männer, Frauen und Kinder einer ganzen Region rund um die Uhr an den Webstühlen, um die Vorgaben der Manufaktur- und Fabrikbetriebe zu erfüllen, denen sie zuarbeiteten.
Kampf für den freien Sonntag
Die Fabriken selbst beschäftigten neben arbeitslosen Handwerksgesellen, Vagabunden und Bettlern massenhaft Frauen und Kinder. Die Kinder sollten sich so früh wie möglich an die Disziplin der Fabriksarbeit gewöhnen. Nach dem Sonntagsgottesdienst standen sie wieder an den Maschinen, der verpflichtende Unterricht fand nach zehn und mehr Stunden Arbeit statt - wer dabei einschlief, konnte sich auf Prügel gefasst machen.
In dieser Situation wurde der Erlass eines Hofdekrets 1787, das die Verlegung des Unterrichts auf Sonn- und Feiertage empfahl, als humane Tat empfunden. Später hielten die Fortbildungsschulen der Lehrlinge (die Vorläuferinnen unserer Berufsschulen) ausschließlich am Sonntag Unterricht. Das änderte sich erst in der demokratischen Republik nach 1918, an einigen Orten waren - wie bei den Grazer Buchdruckern - Schülerstreiks vorangegangen.
Das Effizienzgebot machte Menschen und Maschinen gleichermaßen zu »Kostenfaktoren«. Aber die Betroffenen begannen sich schon zu wehren, als die erste industrielle Revolution voll einsetzte. Viele ArbeiterInnen beteiligten sich an der Revolution von 1848. Obwohl man ihnen die volle Gleichberechtigung verwehrt hatte, hielten sie den demokratischen Errungenschaften auch dann die Treue, als die meisten anderen RevolutionärInnen bereits wieder die Fronten gewechselt hatten.
Die Buchdrucker waren aus ihrer besonderen Tradition heraus damals bereits gut organisiert. Sie forderten unter anderem, dass der Sonntag der »Ruhe und Sammlung« vorbehalten sein müsse, und setzten sich durch. Während des »neuen Absolutismus« nach der Niederlage der Revolution war jede gewerkschaftliche Aktivität wieder mit schweren Strafen bedroht, aber im Untergrund formierte sich der Widerstand. Als dann das kaiserliche Regime einstecken musste, wurde der Druck etwas gelockert. Schon 1869, zwei Jahre nachdem der westliche Reichsteil ein (wenn auch noch nicht demokratisch bestelltes) Parlament und eine Verfassung bekommen hatte, erreichten die Zeitungssetzer die volle Sonntagsruhe.
Die Vereinbarung hielt nicht lange und blieb die große Ausnahme. Erst mit der gesetzlichen Einführung der Sonntagsruhe für alle der Gewerbeordnung unterstehenden Betriebe in der Novelle zur Gewerbeordnung von 1885 bot sich eine neue Chance. Zwar hob sich die gesetzliche Sonntagsruhebestimmung durch eine generelle Ausnahmeregelung praktisch selbst wieder auf, aber man konnte sich in der Auseinandersetzung mit den UnternehmerInnen doch auf sie berufen. So konnten die ArbeiterInnen von 30 Ziegelfabriken aus Wien und Niederösterreich gleich 1885 nicht nur eine Lohnerhöhung, sondern auch die Zusicherung erreichen, dass die Sonntagsruhe tatsächlich eingehalten werde. 1886 gelang es den Zeitungssetzern in einem der ersten Kollektivverträge, eine Garantieerklärung für die Sonntagsruhe zu erhalten.
Ausführliche gesetzliche Regelungen kamen erst 1895. Sie bezogen erstmals das Handelsgewerbe und das Hausiergewerbe ausdrücklich ein, aber brachten den ArbeitnehmerInnen insgesamt ebenso viele Nachteile wie Vorteile. Ein Plus war vor allem, dass der Zeitraum der Sonntagsruhe jetzt konkret mit 24 Stunden fixiert wurde. Außerdem ein Fortschritt: die Meldepflicht für Ausnahmeregelungen, die Bestimmung über Ersatzruhezeiten und für das Handelsgewerbe sowie das Hausiergewerbe wurde zumindest die unbegrenzte Sonntagsarbeit untersagt. Aber das Gesetz gestattete für den Handel die - begründete und ausdrücklich genehmigte - Arbeit an Sonntagen bis zu sechs Stunden.
Wichtige Wochenendruhe
Bis zu zehn Stunden durften die Geschäfte zum Beispiel in der Weihnachtszeit oder an besonderen Festtagen offen halten, in Wallfahrts- oder Ausflugsorten konnte sogar eine ganzjährige Öffnung genehmigt werden. Das Genehmigungsrecht für die Ausnahmeregelungen lag ab 1895 (wie noch heute) bei den Landesbehörden, was zu unterschiedlichem Recht in den verschiedenen Teilen der Monarchie führte.
In Wien, wo die Gewerkschaftsorganisation der Handelsangestellten, der Verein der kaufmännischen Angestellten, verhältnismäßig viele Mitglieder hatte, gelang es immerhin, die Sonntagsarbeit auf die Zeit bis zwölf Uhr zu beschränken und 1903 die volle Sonntagsruhe durchzusetzen. Die Arbeitszeit im Handel außerhalb Wiens unterlag dagegen praktisch keiner zeitlichen Beschränkung.
Dass die Gewerkschaftsbewegung mittlerweile so stark geworden war, dass man mit ihr zu rechnen hatte, zeigen die Veränderungen, die 1905 bei den Sonntagsruhebestimmungen vorgenommen wurden. Ab nun mussten vor der Genehmigung von Sonntagsarbeit nicht nur die Gemeinden und UnternehmerInnen angehört werden, sondern auch die betreffenden Gehilfenausschüsse, die gewählten gesetzlichen Interessenvertretungen für die Gewerbebetriebe, in der Gewerkschafter zumeist die führende Rolle spielten. Und die Landesbehörden erhielten das Recht, die Sonntagsarbeit nicht nur zu genehmigen, sondern auch vollständig zu verbieten. Die Höchstarbeitszeit an Sonntagen wurde auf vier bis acht Stunden, für Büroarbeit auf zwei Stunden reduziert.
Die Kaiserdiktatur während des Ersten Weltkriegs beseitigte die Sonntagsruhe. Am Tag der Ausrufung der Republik, am 12. November 1918, wurde das Gesetz in der Fassung von 1905 wieder in Kraft gesetzt und in der Folge auf fast alle ArbeitnehmerInnengruppen, die keine gesellschaftlich unverzichtbaren Aufgaben verrichten, ausgeweitet. Die Umsetzung in die Praxis ließ aber auch weiter viel zu wünschen übrig.
Am 17. Dezember 1919 wurde mit der Einführung des achtstündigen Normalarbeitstags eine der Grundforderungen der Gewerkschaftsbewegung erfüllt. In der Zweiten Republik regelte dann das Arbeitszeitgesetz ausdrücklich die 48-Stunden-Woche, die bis 1959 in Kraft blieb.
Der freie Sonntag hatte unter diesen Rahmenbedingungen eine ganz besondere Bedeutung als Ruhetag. Als - zuerst durch Kollektivvertrag und dann durch Gesetz - die reguläre Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden verkürzt wurde, konnte sich die Sonntagsruhe in eine längere Wochenendruhe umwandeln, deren Grundlage das Arbeitsruhegesetz von 1983 war und - wo nicht wieder im Zeichen der Flexibilisierung Ersatzzeitenregelungen fixiert sind - bis heute ist.
Brigitte Pellar

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Mehr Infos unter:
Arbeitszeit und Arbeitsleid im Wandel der Geschichte
www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/316190.PPT
Univ.Prof. Dr. Birgit Bolognese-
Leuchtenmüller, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien: Freizeit - Feiertag - Sonntag
Die soziale Bedeutung von Zeit
www.ka-wien.at/0812/img/freizeit-feiertag-sonntag.doc
Allianz für den freien Sonntag:
www.freiersonntag.at/
Verkäufer sollen am Sonntag nicht öffnen:
wien.orf.at/stories/156894/
Sonntagsruhe bei wikipedia:
www.j-box.at/wiki/Sonntagsruhe#Geschichtliche_Entwicklung



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