topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Die Kassen kranken
WGKK-Obmann Franz Bittner: Die WGKK hat nun neuerlich ein Maßnahmenpaket zur Entschärfung der gefährlichen finanziellen Schieflagen geschnürt.

Haben unsere Hausaufgaben gemacht

Interview

Die Kassen kranken. Die Wiener Gebietskrankenkasse kämpft mit groben Finanzschwierigkeiten. Wir haben WGKK-Obmann Franz Bittner zu Ursachen und Folgen befragt.

ZUR PERSON
Franz Bittner
Vorsitzender-Stellvertreter der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier
Geboren: 17. November 1953 in Wien
Erlernter Beruf: Lithograph
1969-1993 bei Waldheim-Eberle, Kurier AG bzw. Mediaprint Reprotechnik Ges.m.b.H. & CO.KG tätig
1975-1980 Jugendvertrauensrat (Kurier AG)
1980-1993 Betriebsrat
1988-1993 Konzernbetriebsratsvorsitzender des Mediaprint-Konzerns
ab 1981 Mitglied des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Druck und Papier
1981-1993 Vorsitzender der Fachgruppe »Lithographen«
1989-1993 Vorsitzender der Landesgruppe Wien, NÖ und Burgenland der Gewerkschaft Druck und Papier
1993-11/2006 Vorsitzender der Gewerkschaft Druck, Journalismus, Papier (bis 2001 Gewerkschaft Druck und Papier)
seit 11/2006 stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier
(durch die Fusion mit der GPA am 16. Nov. 2006)
seit 1991 Kammerrat der AK Wien
seit 1997 Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse
seit 2001 Vorsitzender der Hauptversammlung des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger
seit 2/2005 Vorsitzender der neuen Trägerkonferenz im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger




Arbeit&Wirtschaft: Kollege Bittner, in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten (SN) vom 26. November 2007 erklären Sie: »Wir sind pleite - ab Mitte Dezember habe die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), deren Defizit für 2007 auf 140,6 Millionen Euro geschätzt wird, Zahlungsschwierigkeiten.« Wie ernst ist die Lage tatsächlich?

Franz Bittner: Die Politik der letzten Jahre hat zu einem massiven finanziellen Aderlass bei den Gebietskrankenkassen geführt. In Wien ist man jetzt bei den letzten Blutstropfen angekommen, die andere Länderkassen werden sehr rasch in eine ähnliche Situation kommen. Meine Aussage in den Salzburger Nachrichten ist daher als neuerlicher Weckruf an alle relevanten Entscheidungsträger zu sehen, endlich entsprechende Maßnahmen zur gesicherten Finanzierung der Gebietskrankenkassen zu ergreifen, um nicht ein bewährtes soziales Sicherungssystem an die Wand zu fahren.

Ihre Diagnose: Woran krankt es bei den Kassen am meisten, wer ist schuld an der Misere?

Grundsätzlich ist es so, dass die Gesundheitskosten mit dem BIP steigen. Die Einnahmen der Krankenkassen entwickeln sich allerdings nicht im gleichen Ausmaß. Dazu kommt, dass die Politik der letzten Jahre den GKKs jede Menge Belastungen beschert hat, um das Bundesbudget zu sanieren. Ein paar Beispiele: Die Krankenversicherung ist seit Jahren nicht mehr berechtigt, die Vorsteuer abzuziehen und bekommt zum »Ausgleich« eine jährliche Pauschalzahlung - Verlust für die WGKK (2000-2006): 86,4 Millionen Euro. Der Bund leistet bei Arbeitslosen seit 2002 nur noch einen bestimmten Beitrag zu den Krankenversicherungsbeiträgen - ganz egal wie viele Leute ohne Job sind. Verlust für die WGKK (2002-2006): 236,6 Millionen Euro. Beim Wochengeld, eine rein familienpolitische Leistung, müssen die GKK seit Jahren 30 Prozent der Kosten übernehmen. Entstandene Kosten für die WGKK (2000-2006): 174,6 Millionen Euro. Auf diese Weise sind den GKK mehr als zwei Milliarden Euro an liquiden Mitteln entzogen worden. Gäbe es diese und andere bundespolitischen Vorgaben nicht, hätte die WGKK im Jahr 2006 sogar einen Überschuss von 35,9 Millionen erwirtschaftet und nicht ein Defizit von 71,2 Millionen.

Was kann man tun, was sind Ihre Pläne?

In der jetzigen Situation ist die Bereitschaft alle Akteure gefragt. Die WGKK hat ihre Hausaufgaben gemacht. Sie fährt bereits seit Jahren einen rigiden Sparkurs in der Verwaltung, liegt im Spitzenfeld, was den Generikaanteil betrifft und hat praktisch alle Leistungen, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehen, zurückgefahren. Das allein hat allerdings in den letzten Jahren nicht gereicht. Die derzeitigen Rahmenbedingungen ruinieren die sozialen Krankenversicherungen. Die WGKK hat nun neuerlich ein Maßnahmenpaket zur Entschärfung der gefährlichen finanziellen Schieflage geschnürt: Darin wird u. a. eine sofortige Rücknahme der erwähnten Bundesvorgaben - und ein Ersatz für die dadurch erlittenen Verluste - zur Diskussion gestellt. Hauptverband und Gesundheitsministerium müssten der galoppierenden Preissteigerung im Medikamentenbereich entgegenwirken. Das Land Wien, so unser Vorschlag, könnte nach dem Prinzip »Geld folgt Leistung« einen Kostenersatz für die Auslagerungen von den Spitälern in den niedergelassenen Bereich leisten.

Der Vorstandsvorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Erich Laminger, spricht von einem Einsparungspotenzial - wo sehen Sie Möglichkeiten zu sparen?


In den Bereichen, die von der WGKK beeinflussbar sind, gibt es meiner Meinung nach kein großes Sparpotenzial mehr. Der größte Brocken in unserer Ausgabenbilanz, die Spitalsfinanzierung, kann von uns gar nicht angetastet werden. Für wirksame Verhandlungen im Medikamentensektor braucht es tatkräftige politische Unterstützung aus der Politik, sprich: ein Gesetz, das Preis-Rabatte festlegt. Bei den Arzthonoraren werden wir versuchen, einen Honorarsummendeckel mit einer moderaten Erhöhung zu erreichen. Die technischen Institute (Labors, Computertomographie etc.) werden wir um einen generellen Honorarabschlag bitten. Im Bereich der Verwaltung und Verrechnung wirken sich Einsparungen kaum mehr aus - sie machen nur ca. 2,5 Prozent der Gesamtausgaben aus.

Ist eine Sanierung möglich, ohne dass die Patienten darunter leiden?


Ja, sofern es den politischen Willen dazu gibt. Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt und kann sich eine gute Gesundheitsversorgung für alle weiterhin leisten.

Wie ist es eigentlich um die Solidarität unter den Krankenkassen bestellt - auf Ihren Hilferuf haben ja die meisten ablehnend reagiert?


Die anderen Kassen haben sich zu Recht geweigert. Die WGKK steht ja nicht allein mit den roten Zahlen da. Heuer schreiben alle GKKs Abgänge. In absehbarer Zeit könnten alle GKKs mit Zahlungsschwierigkeiten zu rechnen haben. Wenn zu wenig Geld im System ist, hilft so ein
Hin- und Hergeschiebe nichts. Das wäre reine Augenwischerei.

Machen die Sozialpartner derzeit die Arbeit von Ministerin Kdolsky und werden Sie dabei von ihr unterstützt oder behindert?


Die Sozialpartner nehmen im eigenen Bereich ihre Verantwortung sehr aktiv wahr. Die Ministerin ist in ihrem Zuständigkeitsbereich säumig.

Im Juli haben die Sozialpartner ein Papier zur Gesundheitspolitik vorgelegt - wie geht es damit weiter?


In diesem Papier werden alle Player im Gesundheitswesen im Rahmen ihrer Zuständigkeit zum Handeln aufgefordert. So weit, so gut. Für die Umsetzung bräuchte man aber schon entsprechende Rückendeckung aus dem Gesundheitsministerium. Wie soll man zum Beispiel mit der Pharmaindustrie Rabatte aushandeln, wenn die Ministerin in einer großen Tageszeitung meint, dass es im Medikamentensektor nichts zu holen gebe.

Bezahlt die Wiener Gebietskrankenkasse zu viel für die Spitäler?


Ja! Die WGKK zahlt pro Kopf besonders viel für die Spitalsfinanzierung im Vergleich zu anderen GKKs. Durch massive Auslagerungen aus den Spitälern müssen wir vieles doppelt bezahlen, da das Prinzip »Geld folgt Leistung« noch nicht realisiert worden ist.

Gibt es einen Großstadtfaktor in der Medizin - ist Wien anders als z. B. Oberösterreich mit dem Wien im Rechnungshofbericht verglichen wurde?


Der sogenannte »Großstadtfaktor« belastet die WGKK auf mehrfache Weise: Zum einen sind die Wienerinnen und Wiener häufiger krank und haben eine geringere Lebenserwartung. Bei chronischen Krankheiten liegt die Wiener Bevölkerung klar über dem Bundesschnitt, etwa bei Herz-Kreislauferkrankungen (+25 Prozent) oder Diabetes (+25 Prozent). Dazu kommt eine Häufung von Patienten mit sogenannten »Sonderindikationen«, die vorwiegend in Großstädten vorkommen. Laut Rechnungshof muss die WGKK 48 Millionen Euro mehr dafür aufwenden als die OÖGKK: Für Drogenersatztherapie zahlt die WGKK etwa zehn Millionen jährlich, die ÖOGKK »nur« 900.000 Euro. Die WGKK gibt dreimal so viel für HIV-Medikamente aus, 18-mal so viel für gerinnungshemmende Medikamente usw. Aufgrund der dichten Angebotsstruktur können PatientInnen außerdem rasch wieder aus den Spitälern entlassen und im niedergelassenen Bereich weiter betreut werden. OP-Vorbereitungen finden, anders als in den Bundesländern, praktisch ausschließlich im niedergelassenen Bereich statt.

Fürchten Sie ein Ende der Selbstverwaltung durch Schlechtmachen der Leistungen?


Die Selbstverwaltung ist dann in Gefahr, wenn die beitragsbasierte Krankenversicherung sehenden Auges in die Zahlungsunfähigkeit getrieben wird.

Weihnachten steht vor der Tür - was würden Sie sich von der Regierung wünschen?


Einen Gesprächstermin, offene Ohren und zügig handelnde Hände.

Wir danken für das Gespräch.

WEBLINKS
Mehr Infos unter:
www.wgkk.at
Wiener Gebietskrankenkasse
www.sozialversicherung.at
Sozialversicherung

KONTAKT
Schreiben Sie uns Ihre Meinung
an die Redaktion
aw@oegb.at

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum