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»Allgemeine Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse« Die BeamtInnen und FunktionärInnen der »Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse« der Steiermark im 55. Jahr ihres Bestehens im damaligen Kassengebäude (8010 Graz, Keplerstr. 38a).
Amtsgebaeude Arbeiter-Krankenversicherungskasse Wien In diesem Gebäude befand sich die Zentrale der Arbeiter-Krankenversicherungskasse Wien, der Vorläuferorganisation der Wiener Gebietskrankenkasse, (1010 Wien, Wipplingerstraße 28 und Renngasse 18; heute Sitz des Wiener Stadtschulrates).
Info&News

Seit 120 Jahren

Schwerpunkt

Die Geschichte der Selbstverwaltung von den Arbeiterkrankenkassen des 19. Jahrhunderts bis zum Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Am 28. Dezember 2007 jährte sich die Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung in Österreich zum 120. Mal, denn am selben Tag des Jahres 1887 beschloss das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrates das Gesetz über die Arbeiter-Unfallversicherung, das 1889, gemeinsam mit dem 1888 verabschiedeten Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung, in Kraft trat. Mit der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung der in »fabriksmäßigen Betrieben« beschäftigten ArbeiterInnen sowie Angestellten wurden zugleich die weitgehend autonomen, selbstverwalteten Arbeiterkrankenkassen, neben den Bezirkskrankenkassen Vorläuferorganisationen der Gebietskrankenkassen, in die gesetzliche Sozialversicherung integriert.

Selbstverwaltung
Die beiden Stammgesetze der österreichischen Sozialversicherung beinhalteten zwar für die versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Anspruch auf gewisse Versicherungsleistungen (ärztliche Hilfe, Spitalspflege, Heilmittel und Heilbehelfe, Krankengeld, Unfallrenten etc.). Diese waren aber alles in allem sehr schwach ausgestaltet, und darüber hinaus wurde »nur« rund ein Drittel der ArbeiterInnen in Österreich in den Kreis der Versicherten miteinbezogen, nämlich die IndustriearbeiterInnen sowie Industrieangestellten und die ArbeiterInnen in Gewerbeunternehmungen mit zumindest 20 Beschäftigten. Die Land- und ForstarbeiterInnen, die rund die Hälfte der österreichischen Arbeiterschaft bildeten, die kleingewerblichen ArbeiterInnen und andere ArbeitnehmerInnengruppen waren von der gesetzlichen Unfall- und Krankenversicherung ausgeschlossen. 
Der 28. Dezember 1887 ist zugleich der Gründungstag der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, denn mit dem Unfallversicherungsgesetz 1887 und dem Krankenversicherungsgesetz 1888 wurde ein auf dem Prinzip der direkten Selbstverwaltung basierendes Organisationssystem als zentrale materielle Grundlage für die Arbeiter-Unfall- und Krankenversicherung auch in Österreich eingeführt.

Arbeiter-Unfallversicherung
Die Träger der Arbeiter-Unfallversicherung waren die territorialen Unfallversicherungsanstalten. Im Unterschied zu den Krankenkassen existierte bei den Unfallversicherungsanstalten keine Generalversammlung der Mitglieder, sondern der Vorstand bildete deren einziges zentrales Gremium (Drittelparität: ein Drittel Unternehmervertretung - ein Drittel ArbeitnehmerInnenvertretung -  ein Drittel  Behördenvertretung). Die Behördenvertreter, die vom Innenminister ernannt wurden, stellten dabei die dominante Gruppe dar, wobei auch die Macht der Unternehmervertreter nicht unterschätzt werden sollte.
Der Vorstand der Unfallversicherungsanstalt wurde direkt von den Mitgliedern, also den Versicherten und den Unternehmern bzw. deren Vertretern auf Basis von Betriebskategorien gewählt.
Die Wahlbeteiligung dürfte bei den Unfallversicherungsanstalten, ebenso
wie bei den Krankenkassen, relativ niedrig gewesen sein (rund 50 Prozent), es existieren darüber jedoch keine genauen Angaben.

Die Arbeiter-Krankenversicherung
Das Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung stellte das zweite zentrale Sozialversicherungsgesetz dar. Diesem Gesetz kam ein besonderer Stellenwert zu, vor allem wegen der Integration der seit 1868 als autonome Selbsthilfeorganisationen der Arbeiter bestehenden und mitgliedermäßig sehr starken Arbeiterkrankenkassen (1890: ca. 240.000 Mitglieder) in die gesetzliche Krankenversicherung. Im Zusammenhang damit sollten diese Organisationen aus dem Einflussbereich der sozialistischen Arbeiterbewegung losgelöst, diese damit - parallel zu staatlichen Repressionsmaßnahmen  - weiter geschwächt werden und auf diese Art und Weise die österreichische Industriearbeiterschaft verstärkt in den Staat und das bestehende kapitalistische System integriert werden.
Das Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung sah insgesamt sechs verschiedene Kassentypen vor: Bezirks-, Betriebs-, Bau- und Genossenschaftskrankenkassen, Arbeiter- bzw. Vereinskrankenkassen sowie Bruderladen (Kranken- und Invalidenkassen der Bergarbeiter).Während die Arbeiterkrankenkassen ausschließlich von ArbeiterInnen verwaltet wurden, setzten sich die Verwaltungsorgane der übrigen Kassentypen nach dem Schema zwei Drittel ArbeitnehmerInnenvertretung und ein Drittel Unternehmervertretung zusammen. In der Praxis waren aber die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Versicherten, mit Ausnahme der Versicherten der Arbeiterkrankenkassen, auch hier nur in eingeschränktem Maße vorhanden. Die zentralen Verwaltungsgremien der Krankenkassen waren die Generalversammlung und der Vorstand, wobei die Kassenvorstände durch die Generalversammlungen in getrennten Wahlgängen der Arbeitnehmer- und Unternehmervertreter gewählt wurden.
Finanziert wurde die Arbeiter-Unfall- und Krankenversicherung durch Beiträge von Unternehmern und Versicherten,
ein Staatszuschuss war nicht vorgesehen (90 Prozent Unternehmer-/10Prozent Versichertenbeiträge). Bei den Krankenkassen, mit Ausnahme der großteils von den Versicherten finanzierten Arbeiterkrankenkassen, mussten die Unternehmer und die Versicherten für je die Hälfte der Beiträge aufkommen.

Die Frage der Selbstverwaltung
Nach einer Phase der sozialpolitischen Stagnation bis zum Ende des Ersten Weltkriegs kam es zu Beginn der Ersten Republik zu einem verstärkten Ausbau der Sozialversicherung. So wurde 1919 das Krankenkassenkonzentrationsgesetz beschlossen, das einen ersten Schritt zur Vereinheitlichung des österreichischen Krankenkassenwesens mit sich brachte, die mit dem Krankenkassenorganisationsgesetz von 1926 weiter forciert wurde. 1920 wurde die Krankenversicherung der Staatsbediensteten eingeführt und im selben Jahr der Regierungsentwurf betreffend ein Bundesgesetz über die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung der Arbeiter ausgearbeitet, der aber wegen der Auflösung der sozialdemokratisch-christlichsozialen Regierung im November 1920 nicht mehr umgesetzt wurde. Eine Pensionsversicherung der ArbeiterInnen wurde erst - in einem rassistisch-antisemitischen Kontext - nach der Annexion Österreichs durch das »Dritte Reich« eingeführt (Reichsversicherungsordnung 1939).
1921 wurden die HausgehilfInnen, die bei wechselnden oder mehreren Arbeitgebern Beschäftigten und die Land- und ForstarbeiterInnen in den Kreis der Versicherten miteinbezogen (Ausdehnungsgesetz). Durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen wurde eine Änderung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Verwaltungssgremien der Sozialversicherung zugunsten der ArbeitnehmerInnen umgesetzt (Angestelltenversicherungsgesetz 1926/Arbeiterversicherungsgesetz 1927: vier Fünftel Arbeitnehmervertreter - ein Fünftel Unternehmervertreter in Hauptversammlung und Vorstand). Auch für die Zeit der Ersten Republik lässt sich eine eher niedrige Wahlbeteiligung feststellen, wobei die Quellenlage auch hier sehr schwierig ist und genaue Angaben darüber fehlen.

Austrofaschismus und NS-System
Nach der Errichtung des austrofaschistischen »Ständestaates« 1933/34 wurde auch die soziale Selbstverwaltung massiv zurückgedrängt. Gesetzlich abgesichert wurden diese Maßnahmen durch das 1935 verabschiedete Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz (GSVG). Während die Austrofaschisten zwar die Verwaltungsgremien der Sozialversicherung politisch majorisierten, die soziale Selbstverwaltung aber formal bestehen ließen, wurde im Zuge der Annexion Österreichs durch das »Dritte Reich« 1938 und die Einführung der deutschen Reichsversicherungsordnung 1939 in Österreich die soziale Selbstverwaltung vollständig ausgeschaltet.

Selbstverwaltung nach 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auf die Wiedereinführung der direkten Selbstverwaltung verzichtet und diese durch die »abgeleitete«, also indirekte Selbstverwaltung ersetzt (Bestellung der VersicherungsvertreterInnen durch Interessenverbände der ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen). Dafür waren finanzielle Gründe, vermutlich aber auch politische Gründe maßgeblich (repräsentative statt direkte Demokratie, »Sozialpartnerschaft«). Ein Faktor für die Änderung des Selbstverwaltungssystems dürfte auch die niedrige Wahlbeteiligung bei den »Sozialwahlen« in der Ersten Republik gewesen sein. Gesetzlich geregelt wurde die Sozialversicherung und die soziale Selbstverwaltung durch das Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz 1947, das 1955 durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz abgelöst wurde. Die Träger der Sozialversicherung wurden 1948 im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefasst.

Mag. Robert Grandl
Projektmitarbeiter Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte,
AK Wien

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Conclusio: Sinn und Nutzen der sozialen Selbstverwaltung
Die Geschichte der sozialen Selbstverwaltung zeigt, dass nur ein auf der Mitbestimmung der Versicherten aufgebautes Sozialversicherungssystem den gesetzlich vorgesehenen Versicherungsschutz - so schwach dieser in der Anfangszeit der Sozialversicherung auch war - in die Praxis umsetzen kann. Dies betrifft Bereiche wie die Vertragsgestaltung mit Ärzten, Apothekern und Spitälern, die Höhe der Versicherungsleistungen (Krankengeld, Unfallrenten etc.), die Höhe der Versicherungsbeiträge u. a. m. Ein staatlich organisiertes, steuerfinanziertes Sozialversicherungssystem ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten der Versicherten kann dies nicht in dem Ausmaß leisten, wie es für das Funktionieren eines fortschrittlichen Gesundheitswesens notwendig ist.

Chronologie
1300: Kuttenberger Bergordnung Wenzels III. (Regelung der Bergarbeiterbruderladen)
um 1800: Gründung von selbstverwalteten Fabrikskassen der Industriearbeiter
1803: Gründung des ersten Arbeiter-Unterstützungsvereins, der Kranken- und Viaticumskasse der Linzer Buchdruckergehilfen
1867 : Vereinsgesetz "Entstehung der ersten Arbeiterkrankenkassen auf legaler Basis"
1887: Gesetz über die Arbeiter-Unfallversicherung
1888: Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung
1889: Bruderladengesetz (Unfall- und Krankenversicherung der Bergarbeiter)
1906: Pensionsversicherungsgesetz für Privatangestellte
1919: Krankenkassenkonzentrationsgesetz
1920: Gesetz über die Krankenversicherung der Staatsbediensteten
1926: Angestelltenversicherungsgesetz
1926: Landarbeiterversicherungsgesetz
1926: Krankenkassenorganisationsgesetz
1927: Arbeiterversicherungsgesetz (nicht in Kraft getreten)
1935: Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz
1939: deutsche Reichsversicherungsordnung tritt für das okkupierte Österreich in Kraft
1947: Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz
1948: Gründung des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger
1955: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

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