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Literatur ohne Barrieren

Kultur

Mit dem Literaturpreis »Ohrenschmaus« wird das literarische Schaffen von Menschen mit Behinderung gewürdigt.

Wieder so ein Ghettopreis?«, fragte der Schriftsteller Felix Mitterer, als er in die Jury des Literaturwettbewerbes »Ohrenschmaus« gerufen wurde. Ob es da um Therapieprodukte ginge, ausgestattet mit dem Mitleidsbonus für Menschen mit besonderen Bedürfnissen? Nein, meinte der Initiator des Preises, der Abgeordnete zum Nationalrat (und Rollstuhlfahrer) Franz-Joseph Huainigg. Es ginge ausschließlich um literarische Kriterien.
Und die wurden voll erfüllt, meinte die sechsköpfige Jury unter der Schirmherrschaft von Felix Mitterer, des im Dezember 2007 erstmals vergebenen Preises, der mit insgesamt 3.500 Euro dotiert war.
Rege Beteiligung
Über 100 Beiträge waren zu den Kategorien Lyrik, Prosa und Lebensberichte eingereicht worden. Die literarischen Talente sollten dort aufgespürt werden, wo man sie »normalerweise« nicht erwartet: In einer betreuten Wohngemeinschaft, in einer Kunstwerkstatt oder im Gemeinschaftsraum eines Wohnheimes.
Ähnlich wie die »Menschen ohne besondere Bedürfnisse« sind auch die »mit besonderen Bedürfnissen« häufig künstlerisch tätig. Viele malen oder schreiben oder beides. »Doch die meisten Texte erblicken nicht das Licht der Öffentlichkeit, landen in Schubladen oder werden als ›Therapie-Produkte‹ abgetan«, lautete die Begründung des Initiators des Preises.
Mit der Qualität der Texte kommen oft nur die Betreuer der Einrichtungen in Berührung. Das Projekt »Ohrenschmaus« soll den unerkannten Literaten mehr Öffentlichkeit bieten. Unterstützt wird es von den Partnerorganisationen Caritas, Diakonie, Jugend am Werk, Lebenshilfe, SOB 31 und Vienna People First.
Soll ich erzählen?
»Soll ich erzählen?«, fragt der Preisträger aus der Kategorie »Lebensberichte« Herbert Offenhuber. »Ja, ich erzähle. Als ich noch ein Kind war, da war ich klein und wohnte in Nenzing in Vorarlberg. (...) Ich war der Kleinste von allen und habe ›Tausenddrom‹. (...) Und mit allen Leuten mache ich Witze - Schmähs. ›Ist ein Mann in Brunnen gefallen, mache ich schon plumps.‹ Ein Mann - ein Wort, ein Harald - ein Wörterbuch, ja, ja er ist Betreuer - ich bin das Ungeheuer.« Der 54-jährige Vorarlberger arbeitet im »Lädele« der Bludenzer Werkstätte.
Auch der Preisträger der Kategorie »Prosa«, Andreas Burtscher, stammt aus Vorarlberg. Der Text des 1988 Geborenen war auf die Frage entstanden, welchen Beruf er einmal ergreifen wolle.
»Wenn ich Geschäftsführer wäre, würde ich den ganzen Kram übernehmen«, heißt es lakonisch im (nunmehrigen) Siegertext.
»Wenn ich Bürgermeister wäre, müsste ich ein Land regieren wie im Landhaus Bregenz. Ich muss Sitzungen und Seminare machen, auch Kurse und Betriebsausflüge. Ich habe viel im Büro zu tun; viele Briefe, viele Termine und eine Olympiade. Als Bürgermeister ist es ganz wichtig, mit dem Präsidenten zusammenzuhocken und Fotos zu machen. Dann kommt der ORF.«
Den Siegertext in der Kategorie »Lyrik« verfasste die 1967 in Bruck an der Mur geborene Renate Gradwohl. Sie spricht kaum, heißt es. Sie schreibt und malt. Seit 1986 besucht sie die Tageswerkstätte der Lebenshilfe Mürzzuschlag. »Peter sagt: Licht ins Dunkel zum Küssen«, heißt es in einer Zeile ihrer
fünf eingesandten Gedichte.
»Da gab es schon einmal eine Erfahrung, die mich etwas gelehrt hat«, berichtet der Schriftsteller Felix Mitterer. Nämlich der Südtiroler Autor Georg Paulmichl, eigentlich »dazu verurteilt in einer Tageswerkstätte Basteleien zu verfertigen«.
Bonus Behinderung
Dem Betreuer fällt der Sprachwitz des Betreuten auf. Sie schreiben gemeinsam auf, was sich Paulmichl von der Welt denkt. Seit 1990 sind daraus fünf Bücher entstanden, die im deutschsprachigen Raum Furore machten. Immer wieder sei die Frage gestellt worden, ob der Mann so sprachschöpferisch ist, weil er behindert ist, berichtet Mitterer, der Paulmichls Texte öfters öffentlich vortrug. Irgendwann habe er dann darauf verzichtet, die »Behinderung« zu erwähnen. Und das sei gut so gewesen. Denn auch ohne diesen »Bonus« war das Publikum begeistert.

Gabriele Müller

 

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Nachzulesen sind die Texte der PreisträgerInnen und alle anderen
eingereichtenTexte unter
www.ohrenschmaus.net

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