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Standpunkt | Lust am Lernen

Meinung

Eva habe ich bei einem der ersten Kommunikationsseminare, die ich für BetriebsrätInnen gehalten habe kennengelernt.

Sie, die in Wirklichkeit ganz anders heißt, war eine von zwölf KollegInnen aus der Reinigungsbranche. Ich hatte gerade meinen NLP-Master gemacht, war mitten in der MediatorInnen-Ausbildung und litt nach Ansicht meiner Mutter an akuter »Seminaritis«. Mit Mitte dreißig hatte ich die Lust am Lernen wieder entdeckt. Das kostete mich viel Zeit und Geld, machte mich aber sehr glücklich - und noch schöner war es, das Gelernte weiterzugeben. Ob ich allerdings ausgerechnet diesen zehn Frauen und zwei Männern viel über Kommunikation beibringen konnte, bezweifelte ich: Immerhin sind BetriebsrätInnen in dieser Branche sehr oft hervorragende KommunikatorInnen, sie haben meist mit MitarbeiterInnen aus vielen verschiedenen Ländern zu tun. Aber so versprach das Seminar ein Austausch von lehren und lernen zu werden - und das wurde es auch wie alle Seminare aus dem gewerkschaftlichen Bildungsbereich seither.
Am Weg zur Abendmatura
Zwei Jahre später besuchte ich Eva in ihrer kleinen Wohnung. Ich schrieb eine Reportage für die »Solidarität«. Thema »Lebenslanges Lernen«. Und Eva war die ideale Interviewpartnerin. Denn mittlerweile war sie dabei, die Matura nachzuholen, berufsbegleitend, abends. Auf die Idee gekommen war sie im Zuge eines der Seminare, die sie als Betriebsrätin besuchte. »Als ich damals mein erstes Arbeitsrecht-Seminar besuchte, wusste ich: das ist es. Ich beschloss Jus zu studieren«, erklärte sie. Und dann erzählte sie aus ihrem Leben. Sie hatte es nie leicht gehabt. Nach dem Hauptschulabschluss ließ sie sich zu einer Kellnerlehre überreden, auch wenn sie der Beruf nicht interessierte. Dann wechselte sie in den Handel und schließlich wurde sie auch noch früh schwanger. Nach der Karenz arbeitete sie Teilzeit. Keine Chance auf Karriere, keine Möglichkeit zur Weiterbildung. Irgendwann ging die Beziehung zu Bruch, der Vater des Kindes trank, sie war allein. Ihre Intelligenz, ihre Fähigkeiten waren all die Jahre niemandem aufgefallen. Sie nutzte sie vor allem, um das Leben als Alleinerzieherin zu managen.
Leichter mit E-Learning
Als ihr Sohn alt genug war, erwies sich der Weg zurück in den Job als schwieriger als sie gedacht hatte. Sie fand nichts im Handel, was ihren Vorstellungen entsprochen hätte. Also bemühte sie sich um eine Anstellung als »Putzfrau«. In der Reinigungsbranche wurde sie rasch zur Vorarbeiterin. Ihr Engagement brachte sie schließlich in den Betriebsrat. Und dort setzte sie nicht nur ihren klugen Kopf zum Wohl der KollegInnen ein, sie nutzte auch jede Möglichkeit dazuzulernen. Eva besuchte die Gewerkschaftsschule und Seminare. Sie sog Wissen auf, wo auch immer sich die Gelegenheit bot.
Und jetzt saß sie glücklich vor ihrem Laptop aus dem Diskont-Handel. Die Möglichkeit zum E-Learning erleichterte es ihr, ihren Traum umzusetzen. Und was sie am meisten freute war, dass sie auch ihren Sohn von der Weiterbildung überzeugt hatte. Gemeinsam mit seiner Mutter lernte er Englisch-Vokabeln und machte Hausaufgaben. »Und die sind jetzt fällig«, komplimentierte sie mich lächelnd hinaus.
Ich habe in den letzten Jahren viele Evas kennengelernt. Und auch den einen oder anderen Adam. Auf jeden Fall viele KollegInnen, die sich mit »Seminaritis« infiziert hatten. Menschen, die jede Gelegenheit nutzen, etwas dazuzulernen. Viele von ihnen hatten erst als Erwachsene die Chance dazu. Ein Gymnasium, die Matura, ein Universitätsstudium wäre für sie nie in Frage gekommen. Einige konnten nicht einmal ihren Wunschberuf ergreifen. Manchen machte es erst ihr gewerkschaftliches Engagement möglich, wieder lernen zu lernen. Und ich durfte (und darf noch immer) miterleben, wie diese Menschen mit ihrem Wissen wachsen. Von den ersten Seminaren bis hin zur Sozialakademie oder zur Abendmatura, vom Deutschkurs für MigrantInnen bis zur Schulung für Sicherheitsvertrauenspersonen. Sie lernen abends nach der Arbeit und am Wochenende, sie opfern Zeit und Geld. Und wenn sie einmal mit dem Lernen begonnen haben, hören sie so schnell nicht mehr auf.
Seminaritis ist ansteckend
Vor kurzem habe ich ein E-Mail von Eva bekommen. Sie hat die Matura bestanden. Und ihr Sohn ist befördert worden, Englisch lernen hat sich ausgezahlt. Es geht ihr gut, das Jusstudium macht ihr Spaß. Und irgendwie überleg ich mir, welchen Kurs ich als nächstes angehe. »Seminaritis« ist ansteckend. Gut so.

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