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Peter Schleinbach
Peter Schleinbach Peter Schleinbach: »Es gibt aber auch Betriebe, die meinen, die Leute sollen hackeln und wenn wer was lernen muss, sag ich es schon.«

Interview | Anspruch zu haben ist immer besser

Schwerpunkt

Im KV für die Metallindustrie wurde auch die bezahlte Bildungsfreistellung vereinbart. Arbeit&Wirtschaft dazu im Gespräch mit Peter Schleinbach, Sekretär der Gewerkschaft Metall, Textil, Nahrung (GMTN).

ZUR PERSON
PETER SCHLEINBACH
Sekretär im Branchen- und Kollektivvertragsbüro der GMTN
Geboren: 26. März 1967 in Wien
Erlernter Beruf: Einzelhandelskaufmann
1985-1991 Jugendabteilung der GPA
9/1991-6/1992 Sozialakademie
1992-2005 Sektion Industrie und Gewerbe bzw. GB Interessenvertretung GPA seit 9/2005 in der GMTN

Arbeit&Wirtschaft: Peter, du warst im Verhandlungskomitee für den Kollektivvertrag, das auch die Bildungsfreistellung ausgehandelt hat. Wie sieht diese Vereinbarung aus?

Peter Schleinbach: Im Kollektivvertrag ist ein Freistellungsanspruch für jene ArbeitnehmerInnen geschaffen worden, die im Betrieb beschäftigt sind und nachträglich, das heißt berufsbegleitend, eine Lehrabschlussprüfung machen. Die Lehrabschlussprüfung muss mit der ausgeübten Tätigkeit zu tun haben oder zumindest im Tätigkeitsumfeld sein. Ebenfalls einen Freistellungsanspruch haben jene, die berufsbegleitend eine HTL- oder HAK-Matura nachmachen.

Das heißt, man bekommt eine Woche frei, unter Fortzahlung des Bezuges, aber man muss die Weiterbildung selbst finanzieren. Oder bekommt man dafür Unterstützung - vom Land oder vom Arbeitgeber?

Angedacht wurde es schon, es ist aber nichts vereinbart worden. Es hängt in der Praxis davon ab, wie das Weiterbildungsklima in den Betrieben ist. Dort, wo eine Firma sagt, wir wollen fördern, wird sie in der Regel auch einen Kurs zahlen oder Kursunterlagen - das ist auch das, wovon wir glauben, so gehörte es.

Wie sieht die Vereinbarung über den Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Weiterbildung aus?

Der Zeitpunkt der Inanspruchnahme ist zu vereinbaren. Für den hoffentlich selten eintretenden Fall, dass sich beide nicht einigen können, steht im Kollektivvertrag, dass es die letzte Woche vor der Prüfung ist. Also eine sehr praxisnahe Regelung.

Gibt es nun auch eine Regelung über den Inhalt und Nachweis der Weiterbildung?

Der Inhalt wird an sich nicht vereinbart. Im Kollektivvertrag ist ja vorgegeben: Vorbereitung auf die Prüfung, gegebenenfalls auch Teilprüfungen mit den
drei erwähnten Bildungszielen. Wenn der Arbeitgeber die Kopie von einem Zeugnis will, wird er das extra verlangen müssen. Es gelten die üblichen Spielregeln.

Die AHS-Matura wurde absichtlich ausgelassen?

Den Arbeitgebern ging es um die Eingrenzung auf das Tätigkeitsumfeld - daher die HTL, denn nach Ingenieuren gibt es Nachfrage. Und die HAK wurde aus Gleichbehandlungsgründen akzeptiert - aber mit wesentlich weniger Überzeugung, weil die Industrie eher technikaffin ist. Die AHS wurde generell abgelehnt, weil die Betriebe von dieser Qualifikation nach eigener Auffassung wenig haben.
Es gibt aber im Kollektivvertrag erwähnte Freistellungsansprüche, die weit über HTL- und HAK-Matura bzw. die Lehrabschlussprüfung hinausgehen - bspw. die Berufsreifeprüfung oder Universitäts- und FH-Studien, für die die ArbeitnehmerInnen frei bekommen müssen, für die es aber keinen Entgeltanspruch gibt. Aus diesem Katalog haben wir bestimmte Bildungsziele ausgewählt, die uns besonders wichtig erschienen,
und die wir entsprechend privilegieren wollten.

War die Lehrabschlussprüfung schwierig durchzubringen? Traditionell ist es ja so, dass geringer Qualifizierte eher Schwierigkeiten beim Zugang zur Weiterbildung haben.

Das Grundverständnis der Arbeitgeber ist, es ist ihnen alles sehr sympathisch, was in einem hohen Maß flexibel auf der betrieblichen Ebene entschieden wird. Wenn sie in ihrem eigenen Betrieb sehen, jemand bemüht sich, will was lernen und sich qualifizieren, dann, sagen sie, fördern sie das. Aber sie sind zurückhaltend, wenn es um das Formulieren von gesicherten Ansprüchen geht.
Weil wir Facharbeiter brauchen und politisch vereinbart ist, dass hier weiterqualifiziert wird, waren die Unternehmen dafür empfänglich. Ähnliches gilt für die HTL-Ingenieure. Wenn Leute, die selbst im Betrieb tätig sind und dort vielleicht einen Beruf erlernt haben, viel Zeit und Energie investieren, um einen HTL-Ingenieur nachzumachen, sagt jeder Arbeitgeber, na super, der hat was gelernt, kennt die Arbeit und verbessert sein theoretisches Rüstzeug auch noch.

Aber die Forderung ist von euch ausgegangen? Es war ja letztes Jahr schon ein Thema ...

Wir haben seit mehreren Jahren die Forderung und in der Elektro- und Elektronikindustrie ist es gelungen, in Etappen eine Woche generelle Bildungsfreistellung für alle Beschäftigten einzuführen. Auch da wieder in der Nähe der eigenen Tätigkeit, aber ohne Einschränkung auf die drei Bildungsziele. Das wollten wir in der Metallindustrie auch, aber es war dort nicht konsensfähig. Immerhin haben wir jetzt auch dort den Anspruch. Und Anspruch ist immer besser als auf Einsicht hoffen zu müssen.

Letztes Jahr war die Arbeitgeberseite noch, sagen wir, zurückhaltender?

Ja, die Arbeitgeber haben immer große Vorbehalte gehabt, dass es eine allgemeine Freistellung gibt und dann macht ein Arbeitnehmer einen Flamencokurs. Weil das hat er bei Dancing Stars gesehen. Wir haben zwar niemals derartiges verlangt, aber diese Vorstellung war in den Köpfen mancher Unternehmer. Das Formulieren von ganz konkreten Bildungszielen hat diese Befürchtungen weggeräumt.

Bildungsfreistellungen wurden ja in einigen Branchen erreicht. Gibt es schon Erfahrungen darüber, wie die Beschäftigten das annehmen?

Es gibt solche Vereinbarungen in der Erdölindustrie, den Energieversorgungsunternehmen, in der Papierindustrie und einigen anderen Branchen. Sie sind bisher weniger stark angenommen worden, als wir uns das wünschen würden. Unsere Schlussfolgerung daraus ist, wir müssen mehr für Bildung werben. Es gibt zum Teil unheilige Allianzen: Manche Leute sehen keinen Sinn in der Weiterbildung, und die Firma ist froh, wenn keiner geht. Beides ist nicht wirklich optimal.
Man merkt, dass die Bildungsaffinität unterschiedlich verteilt ist. Angestellte, insbesondere die höheren, kriegen gar nicht genug von Bildung und bei vielen anderen ist es oft schwer, sie zu motivieren. Wobei, die meisten Beschäftigten in der Metallindustrie haben einen Lehrabschluss und brauchen ihn deshalb nicht nachmachen und HTL- oder HAK-Matura will auch nicht jede/r machen.
Das spricht aus unserer Sicht für die Lösung in der Elektroindustrie. Wenn jemand einen Kurs in einer Bearbeitungstechnik oder einen Schweißerkurs oder Staplerschein machen will, dann deckt die Regelung in der E-Industrie diese ganze Bandbreite ab. Im Metallbereich gibt es die zitierten Bildungsziele und vieles von dem, was förderlich wäre und für die Beschäftigten attraktiv, ist im Kollektivvertrag so noch nicht vorgesehen.

Untersuchungen zeigen, dass Weiterbildung immer sehr stark davon abhängt, ob es einen Betriebsrat gibt. Aber ihr seid ja ohnehin flächendeckend organisiert.

Wir decken einen Großteil der Fläche ab, aber es gibt durchaus noch Betriebe ohne Betriebsrat in unserem Bereich. Ich glaube, auf lange Sicht wird sich bei den Arbeitgebern die Erkenntnis durchsetzen, dass Qualifikationszuwachs extrem wichtig ist, was die Konkurrenzfähigkeit betrifft. Denn ich kann nicht sagen, wir können nur mit großartigen Produkten existieren und für die brauchen wir großartige MitarbeiterInnen, und dann lass ich mich überraschen, wo die herkommen. Man muss auch etwas dafür tun.

Sind Bildungsfreistellungen dort leichter durchzusetzen, wo die gewerkschaftliche Organisierung hoch ist, die Branchen weiterbildungsintensiv und die Unternehmen innovativ sind?

Bildung hat in unterschiedlichen Bereichen einen unterschiedlichen Stellenwert. Auch in der Industrie merkt man, je technologisch anspruchsvoller bestimmte Produktionen sind, je mehr Anbieter auf dem Low-cost-level etwas anbieten, desto mehr sind Unternehmen gezwungen, immer hochwertiger zu produzieren. Das geht nur mit dafür qualifiziertem Personal und so investieren sie zum Teil viel Geld in die Weiterbildung.
Es gibt aber auch Betriebe, die sagen, die Leute sollen hackeln, und wenn wer was lernen muss, sag ich es schon. Glück hat dann, wer in der Firma A oder Pech, wer in der Firma B ist. Für die Beschäftigten sind die Umgebungsbedingungen im Einzelbetrieb also von großer Bedeutung. Der Kollektivvertrag kann dazu beitragen, dass der oder die Einzelne darf, wenn er oder sie es will.

Vor allem in kleinen und mittleren Betrieben ist die Weiterbildung oft schwierig. Welche Erfahrungen habt ihr dazu?

In dem 3- oder 4-Mann- oder -Fraubetrieb fällt es natürlich mehr auf, wenn jemand weg ist. Denn einer von 1.000 ist weniger als eine von vier. Die umgekehrte Frage ist, können es sich Kleinbetriebe leisten, nicht in Qualifikation zu investieren? Der Großbetrieb kann die Qualifikation, die ihm fehlt, gegebenenfalls zukaufen. Die Möglichkeit hat der Kleinbetrieb so oft nicht. Die KMU sind zum Teil hoch spezialisierte Betriebe und diese Spezialisierung lebt auch von den Fähigkeiten der Beschäftigten. Aber wir sind uns dessen bewusst, dass der Aufwand insbesondere für die Kleinbetriebe verhältnismäßig höher ist.

Habt ihr Erfahrungen mit Qualifizierungsverbünden? Wären diese eine Erleichterung?

Das Problem liegt auf der Angebotsseite: Das Engagement ist regional unterschiedlich. Einige Bundesländer fördern und bemühen sich darum, möglichst viele Bildungsangebote zu haben und die Arbeitgeber zu animieren, dass die Angebote auch genutzt werden, und andere sind halt noch ein paar Schritte hintennach.
Wünschenswert wäre, dass man sich mehr mit der Frage beschäftigt, ob die Angebote für die Leute nutzbar sind. Das hat etwas mit Schichtarbeit zu tun, mit Kinderbetreuung, damit, ob man dort rechtzeitig hinkommen und wegfahren kann. Denn was macht eine Frau mit zwei Kindern in Wechselschicht, was soll die für einen Kurs machen? Wenn sie Pech hat, ist sie auch noch in Gmünd daheim und in St. Pölten gäbe es ein Angebot, das um fünf Uhr beginnt. Davon hat die Kollegin nichts, auch wenn es auf dem Papier das Angebot gibt.
Auch die Arbeitgeber sollten sehen, es geht nicht immer nur um Geldfragen sondern auch um die Flexibilität, jenen, die etwas lernen wollen, Weiterbildung zu ermöglichen. Zum Beispiel mit einer vernünftigen Zeiteinteilung.

Ihr verhandelt ja viele Kollektivverträge. Seht ihr Chancen die Bildungsfreistellung in weiteren Bereichen zu vereinbaren?


Bei uns steht Weiterbildung nicht deshalb auf dem Forderungsprogramm,
weil es supermodern ausschaut, sondern weil wir es ernst meinen, und weil es wichtig ist.
Infolgedessen werden wir am Ausbau der Bildungsfreistellungsansprüche weiter arbeiten. Das kann heißen, dort wo es Ansprüche gibt diese zu verbessern, zu erweitern - und dort, wo es
noch nichts gibt, einen Einstieg zu schaffen.
Zum Teil ist es sehr langwierig, die Arbeitgeber zu überzeugen. Da gewinnen so manch andere Überlegungen: Dass das alles Geld kostet und da könnte jeder kommen - es sind zum Teil auch zutiefst ideologische Fragen: Wer darf entscheiden, der Chef oder irgend so ein Heftl, sprich der KV, wo was drin steht. Die sind auch nicht alle so modern, wie sie immer glauben wollen.

Welche politischen Maßnahmen könnte es dazu geben?

Eine politisch gescheite Forderung wäre, eine Woche Bildungsfreistellung ins Arbeitszeitgesetz zu schreiben. Dafür gibt es ja internationale Vorbilder. So abwegig ist das also nicht.
Ob man dafür politische Mehrheiten findet, ist eine andere Geschichte. Aber es wäre vermutlich das einfachste, um für alle die Möglichkeit zu schaffen. Es wäre sicher flächenwirksamer als kollektivvertragliche Regelungen. Denn kein Mensch kann garantieren, dass die Bildungsfreistellung einmal in allen Kollektivverträgen steht. Also wäre eine Gesetzesänderung sinnvoll.
Das ist eine der Forderungen von ÖGB und AK!

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Petra Völkerer und Alexander Schneider (AK-Bildungspolitik)

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Mehr Infos unter:
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