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Der Markenwahn | Foto: Paul Sturm Immer mehr Menschen sind gefangen im Markenwahn.
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Die Magie der Marke

Gesellschaftspolitik

Wir ersetzen Bildung durch Kaufen und Selbstwert durch Selbstverwertung, Persönlichkeit durch Design. Dem neuen Kulturkapitalismus kann sich keiner entziehen.

Die Kamera fährt auf ein buntes Schmuckstück zu, ein schwarzes T-Shirt und eine flotte Stofftasche. Wer dringend Geschenke braucht, dem seien die Shops der Wiener Museen zu empfehlen, erklärt die Sprecherin, und lobt das kultige Design der Objekte - das war der Inhalt eines Kulturbericht in der Nachrichtensendung des ORF - als Kulturbericht.
Konsum und Kultur
Unverhohlene Werbung und Aufforderung zum Kaufen, verquickt mit der Aussicht etwas Außergewöhnliches zu erwerben, haben zwar im ORF-Newsblock nichts zu suchen. Nimmt man jedoch den Titel »Zeit im Bild« (ZiB) wörtlich, so entspricht das den neuen Selbst-Definitionen der Gesellschaft: Wir shoppen, also sind wir. Wir designen unsere Persönlichkeit, um uns von anderen zu unterscheiden. Die Konsumgesellschaft löst das Bildungsbürgertum ab, sieht eine Reihe von Konsumforschern, Soziologen und Philosophen einen Wertewandel am Horizont. Dass der Markt uns umschlingt wie ein Riesenkrake und in sämtliche Lebensbereiche eindringt, ist bekannt.

Neu daran ist die Vergeschwisterung zweier bisher scheinbar unvereinbarer Elemente: Konsum und Kultur bzw., dass sich nicht Kritik daran entzündet, sondern heftiges Nachdenken über den »homo shoppensis«. Und da die Menschen ihr Selbstverständnis immer mehr aus Konsum- statt Bildungsgütern beziehen - quer durch alle Schichten und Milieus - stellt der deutsche Philosoph Wolfgang Ullrich fest, ändern sich auch die Voraussetzungen für den Selbstwert. Der Publizist Robert Misik sieht in seiner Konsumanalyse »Das Kultbuch« eine pompöse Hochzeit von Ökonomie und Kultur. Die »Kulturisierung der Ökonomie und die Ökonomisierung der Kultur« ist für ihn ein zivilisatorischer Fortschritt. »Dass wir mit den Waren, die wir konsumieren, unseren Lifestyle, unser Ich, unseren emotionalen Stil konstituieren«, sei allerdings auch erschreckend. Zumal heute jeder Weg zum Erfolg weniger mit guten Vorsätzen gepflastert ist als mit Kultlogos, Statusobjekten und Codes wie Nike-Turnschuhe, Ray-Ban-Brille, iMac oder Prada.
Markensucht
Auch wenn Lifestylespezialist Neil Boorman in seinem Buch »Good bye, Logo« ein Bekenntnis zur Markensucht ablegt und seine Ausstiegsversuche bis hin zum großen Reinigungsfeuer beschreibt - er verbrennt seine gehorteten Label-Objekte auf dem Scheiterhaufen -, auch wenn seit Naomi Kleins Bestseller »No Logo« niemand das Ungleichgewicht der Dritten Welt und Kinderarbeit für Markenfirmen leugnen kann - der exzessiven Konsumlust tut es keinen Abbruch. Armut und Ausbeutung werden kunstvoll zugedeckt, zum Beispiel, indem sich Chiquita-Bananen in gestylten Supermarkttempeln befinden.

Was können Labels auf der Haut, Sushi am Teller oder abstrakte Bilder in der Wohnung so Tolles vermitteln, dass wir sie unbedingt benutzen, besitzen und bei Gelegenheit herzeigen wollen? Die Antwort lautet: Identität, Bedeutung, besonders sein.

Mit den Kultartikeln werden Lebensgefühle und Zugehörigkeiten verkauft: Ein Mineralwasser verspricht eine Ménage à trois, ein Zuckerlwasser verleiht uns Flügel, und ein Besuch beim unmöglichen Möbelhaus macht uns zum Mitglied einer coolen Kommune mit dem besseren Geschmack. Und so ist ein Turnschuh plötzlich nicht mehr bloß zum Laufen da, eine Sonnenbrille längst nicht mehr zum Augenschutz und die Marken-Jacke trägt man nicht, weil sie wärmt. Konsumartikel symbolisieren eine Vielzahl von Möglichkeiten. Sie dienen als »Biografie-Requisiten« (Ullrich), oder suggerieren, weil sie ja der letzte Schrei sind, die Chance eines permanenten Neuanfangs.

Das alles ist auch eine Folge der Globalisierung. Je globaler wir zusammenrücken, je gleichgeschalteter die Informationen sind, je mehr Dialekte eingeschliffen und Sprachen und Kulturen vereinheitlicht werden, je mehr die Einkaufsstraßen und Supermärkte in Paris, Mailand und Wien einander gleichen, desto größer wird das Bedürfnis nach sichtbarer Abgrenzung und offensichtlicher Individualität: Vor dem Spiegel zu Hause und überall unterwegs.

Was passiert aber, wenn sich unser Ereignishorizont auf die eigene Existenz und deren Design einschränkt? Wenn Präsentation die Persönlichkeit ablöst, ist menschliches Rundumdesign nur allzu selbstverständlich, schreibt Norbert Lublasser zum »Themen-Schwerpunkt ICH« in den Salzburger Nachrichten: »Einen schönen Körper erhält man durch Sport und Ausdauer. Ein schönes Gesicht... durch den Chirurgen.« Und um positiv zu denken, wirft man eine Glückspille ein. Auch dass es für Schüchterne bereits Medikamente gegen die Angst vor dem Erregen sozialer Aufmerksamkeit gibt, und dass es dieses Mittel weltweit unter die zehn umsatzstärksten Präparate gebracht hat, macht deutlich, wie sehr der Zwang zur Selbstvermarktung das Fortkommen bestimmt.
Sao Paulo ohne Werbung
Das gilt vor allem auch fürs Berufsleben. ArbeitnehmerInnen müssen immer mehr Verkäuferqualitäten mitbringen, sagt die Deutsche Trendforscherin Susanne Westphal. In Firmen würden Teams immer abwechselnd zusammengewürfelt und so seien MitarbeiterInnen gefordert, ihre Person und ihre Leistungen täglich aufs Neue zu verkaufen. Wer sich nicht selbst zur Ware erklärt und die eigene Verwertbarkeit anpreist, muss passen.

Auf Notwendigkeiten ebenso wie auf Gefahren der Individualisierung als Reaktion des Einzelnen auf gesellschaftliche Veränderungen und Auflösung alter Formen hat der Soziologe Ullrich Beck schon früher hingewiesen. Umso wichtiger sei es, zwischenmenschliche Werte wie Mitgefühl und Solidarität zu erhalten. Schon deshalb, weil wir die anderen brauchen: Ohne wir kein ich, ohne die Gruppe keine individuelle Performance.

Und trotzdem. Es gibt es ein Selbstregulativ der Gesellschaft. So hat der Bürgermeister Gilberto Kassab von Sao Paulo per Gesetz öffentliche Werbung verboten. Nun sind die Fassaden grau und abgekratzt. Keine grelle Neonreklame lockt in Konsumparadiese, keine bunten Zeichen behübschen die Wände. Die entblößte Metropole rückt die geschundene, die hässliche und die gelungene Architektur und die Menschen, auf dem Weg zur Arbeit oder ins Privatleben, in den Vordergrund. BewohnerInnen von Sao Paulo kommentieren das erfreut im Internet: »Ich bin zuerst Mensch und dann Konsument. Ich bekam meinen Himmel zurück, die Struktur der Stadt, meine Wände und meine Bäume.«

WEBLINKS
Mehr Infos unter:
Wikipedia zu Kaufsucht
www.de.wikipedia.org/wiki/Kaufsucht
AK-Studie: Wenn Shoppen zur Sucht wird
www.arbeiterkammer.at/www-192-IP-38675.html
WissenschafterInnen und TherapeutInnen über Kaufsucht.
www.kaufsucht.org

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