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Marc Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit Peter Huemer: »Die Debatte um eine Volksentscheidung muss um eine europ. Volksentscheidung gehen, wenn es um Europa und europ.Themen geht - nicht 27 nationale Abstimmungen, wo dann ein Staat alles blockieren kann
Daniel Cohn-Bendit Marc Daniel Cohn-Bendit
BUCHTIPP: 1968, Die Revolte

"Europa muss sich entscheiden"

Interview

Europaparlamentarier und 68er-Legende Daniel Cohn-Bendit war Ende Februar bei den Wiener Stadtgesprächen zu Gast.

ZUR PERSON
 MARC DANIEL COHN-BENDIT
Geboren am 4. April 1945 in Montauban, Frankreich.
Deutsch-französischer Politiker (Bündnis 90/Die Grünen und Les Verts) und Publizist. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments.
1968 wurde er der prominenteste Sprecher der Pariser Mai-Revolution. Nach seiner Ausweisung aus Frankreich war er in Deutschland in der Außerparlamentarischen Opposition aktiv. Herausgeber des Stadtmagazins Pflasterstrand.
Gemeinsam mit Joschka Fischer engagierte er sich von Beginn an in der alternativen Bewegung.
1984 Mitglied der Grünen, Realo-Flügel.
1989 ehrenamtlicher Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt.
1994 wurde er in das Europäische Parlament gewählt, wo er seit 2002 als Co-Präsident die Fraktion der Grünen leitet.
Cohn-Bendit schrieb zahlreiche politische Bücher und ist Moderator in verschiedenen Fernsehsendungen. Er lebt im Frankfurter Westend, ist deutscher Staatsbürger, hat einen Sohn und ist seit 1997 mit seiner vormals langjährigen Freundin Ingrid Apel verheiratet.

Arbeit&Wirtschaft: Herr Cohn-Bendit, Sie sind Co-Fraktionsführer der Grünen im Europaparlament und haben sich bei den Wiener Stadtgesprächen vor allem als begeisterter EU-Befürworter präsentiert - was fasziniert Sie an diesem geeinten Europa?

Cohn-Bendit: Europa wird einerseits immer wichtiger, andererseits ist es für uns immer schwieriger zu verstehen, wie in Europa gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Wenn wir von der EU reden, muss jeder wissen, wir reden von etwas, das vor 70, 80 Jahren noch vollkommen unmöglich erschien. Europäische Projekte gab es schon früher: Napoleon wollte eines unter der Führung Frankreichs, Hitler wollte eines unter der Führung Deutschlands. Aber ein demokratisches Europäisches Projekt war erst nach dem Zweiten Weltkrieg möglich und es brauchte mutige Männer und Frauen, um das umzusetzen. Hätte es damals eine Volksabstimmung gegeben, bei der die Deutschen gefragt worden wären: Wollt ihr euch mit Frankreich versöhnen, oder die Franzosen: Wollt ihr Euch mit Deutschland versöhnen? - 70 Prozent hätten für Nein gestimmt.

Dieses Europa gibt es 50 Jahre - was sind 50 Jahre gegen 500 Jahre europäischer Geschichte. Die EU hat in unseren Nationalstaaten noch nicht richtig Fuß gefasst, sucht noch eine Handlungskultur. Europa ist nach wie vor ein Buhmann - gibt es z. B. in einem europäischen Land ein Problem mit der Entscheidung eines Landwirtschaftsministers, sagt der, das hat Brüssel entschieden, auch wenn er selbst mit entschieden hat. Wir sind in einer Situation, wo die Politiker nicht zu dem stehen, was sie aufbauen, weil es Auseinandersetzungen in unseren Ländern gibt, und weil wir in einer Zeit
leben, wo der Nationalstaat immer noch von den Menschen positiv besetzt wird, obwohl sie merken, dass dieser Nationalstaat, das was sie wollen, nicht lösen kann.

Thema Volksabstimmung: In Österreich setzen sich sehr viele Gruppierungen unterschiedlichster Prägung von attac bis zu verschiedenen ÖGB-Initiativen für ein Referendum zum EU-Reformvertrag ein. Warum nicht das Volk entscheiden lassen?

Meiner Meinung nach ist die Frage, ob das Volk in Österreich oder in Frankreich entscheiden soll, falsch gestellt. So wie wir jetzt die Verträge über eine europäische Verfassung angelegt haben, können ruhig die Parlamente entscheiden, denn die Parlamente sind legitime Vertreter der Völker - sie sind ja nicht undemokratisch, sondern frei gewählt.

Wenn wir eine europäische Verfassung haben, ohne Wenn und Aber und ohne Ausnahmen, wo die Spielregeln festgelegt werden, wo die Grundrechte festgelegt werden, die politischen Institutionen, wenn wir eine europäische Sozialcharta drinnen haben, die klar definiert, wohin dieses soziale Europa gehen will, dann muss es kein nationales Referendum geben, sondern ein europäisches Referendum. Die Europäer müssen über eine europäische Verfassung entscheiden, und was bedeutet das? Das bedeutet was ganz einfaches, das, was wir schon kennen: doppelte Mehrheit. Die Mehrheit der Europäer muss Ja zu dieser Verfassung sagen, und es muss in einer Mehrheit der Staaten ein Ja geben. Bei 27 Staaten muss es mindestens in 14 Staaten ein Ja gegeben haben.

Dann haben wir eine Mehrheit des Volkes und eine Mehrheit der Staaten. Und was machen die Staaten, die Nein gesagt haben: Die müssen sich entscheiden, ob sie in dieser EU mit dieser Verfassung bleiben wollen. Wenn Nein gehen sie raus. So muss sich Europa entscheiden.
Die Debatte um eine Volksentscheidung muss um eine europäische Volksentscheidung gehen, wenn es um Europa und europäische Themen geht - nicht 27 nationale Abstimmungen, wo dann ein Staat alles blockieren kann. Das ist doch keine Demokratie.

Weshalb halten Sie den Vertrag von Lissabon für so wichtig?

Europa muss sich entscheiden, welche Rolle es in Zukunft in der Welt spielen will. Es ist für jeden einsichtig, dass die Frage des Klimawandels nicht national gelöst werden kann. Bei Klimapolitik, Energiepolitik oder Verkehrspolitik ist Europa die Mindestgröße, die uns weiterbringt.
Nur so können wir in einem globalen Zusammenhang bestimmte Themen vertreten, Bündnisse schließen, damit sich wirklich etwas ändert. Dazu braucht man eine handlungsfähige EU mit Mehrheiten im Rat und im Parlament.

Die Welt ist nicht, wie wir sie uns wünschen. Globalisierung ist asozial und gefährlich. Um sie zu regulieren, brauchen wir multilaterale Entscheidungen und Verträge. Wie demokratisiert man die Welthandelsorganisation WTO, wie die UNO oder die WHO? Hier braucht Europa eine Position und muss in der Lage sein, sie dort zu vertreten. Wir haben im Moment ein irrsinniges soziales Gefälle in unserer Gesellschaft und in der Welt.

Viele sagen, der Lissaboner Vertrag würde die Bürgerrechte gefährden …

Klar haben wir ein Problem mit den Bürgerrechten. Klar haben wir heute Entscheidungen, die die Regierungen treffen, aber es sind alles die Regierungen dieser Nationalstaaten, die diese Grenzen allein nicht halten können und dann undemokratische Beschlüsse fassen oder Beschlüsse, die die Bürgerrechte verletzen. Nach dem Lissaboner Vertrag hat nun das Europaparlament die Gleichheit des Gewichts. Ich bin gespannt, wie sich die VertreterInnen der Bürgerinnen und Bürger da verhalten.

 Die Beschlüsse gegen die Bürgerrechte haben die Nationalstaaten getroffen und nicht die EU. Es sind die Innenminister der Mitgliedsländer, die kommen und sagen: Ihr müsst das so machen wie bei uns. Nicht Europa hat angefangen und die Innenminister haben nachgezogen. Wir tun so, als ob z. B. der österreichische Innenminister eine Ausgeburt der Verteidigung der Bürgerrechte wäre. Aber ist dem so?

Wir haben in dieser Ausgabe der A&W auch einen Artikel über die neu ausgerufene Republik Kosovo - wie stehen Sie dazu?

1989 hat Milosevic in einer Rede am Amselfeld die von Tito zugestandene Autonomie des Kosovo zurückgenommen und gesagt, der Kosovo sei keine autonome Republik, sondern der Kososvo ist serbisch. Nach fast 20 Jahren will der Kosovo jetzt unabhängig werden. Das sollte im UN-Sicherheitsrat entschieden werden. Nur gibt es dort ein Problem: Dort wird nicht mehrheitlich entschieden, sondern Putin entscheidet. Putin entscheidet mit seinem Veto. Er sagt, der Kosovo ist serbisch deswegen sag ich Njet, und damit ist die Sache entschieden - völkerrechtlich.

Es ist andersrum genauso: in der Palästinenserfrage. Jeder weiß, die Besatzungspolitik ist mörderisch - hier nützt die USA ihr Veto. Wir haben also keine handelnde und funktionierende Institution, die handeln und funktionieren müsste. Die einzige demokratische Entscheidung zum Kosovo, die ich akzeptieren würde, wäre eine Entscheidung der UN-Vollversammlung. Israel wurde nicht durch den Sicherheitsrat, sondern durch eine Mehrheit der UN-Vollversammlung gegründet. Lasst die Vollversammlung über den Kosovo entscheiden, das wäre eine demokratische mehrheitliche Entscheidung und das Ergebnis wäre klar, mit großer Mehrheit würde ein Ja rauskommen.

Ich finde die Welt, wie sie heute ist, kann nicht mehr wie 1945 mit dem Vetorecht der fünf großen Mächte funktionieren. Wenn das die internationale Regelung ist, ist es eine internationale Regelung, die keine Gerechtigkeit ermöglicht, sondern ein Ort machtpolitischer Auseinandersetzung für die Großen. Deswegen müssen die Europäer da rein. Ich bin ein Utopist, ich will einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat, keinen französischen, keinen englischen, keinen deutschen, sondern einen europäischen. Dann müssen die Europäer eine gemeinsame Position haben, die dort vertreten wird. Ich möchte eine Sicherheit mit qualifizierten Mehrheiten, wo es keine Vetomöglichkeit gibt. Und wenn es eine Blockierung gibt, muss eben die Vollversammlung entscheiden. Das sind internationale demokratische Strukturen, die gewährleisten würden, dass wir komplizierte Konflikte austarieren und nicht nach machtpolitischen Gesichtspunkten mit Vetorecht durchsetzen.

Herr Cohn-Bendit, Sie waren das Sprachrohr - oder wie sie in einem Interview einmal gesagt haben, der Lautsprecher - der 68er Generation - wie sehen Sie das 40 Jahre später?

Die Nachkriegsgeneration damals hat gesagt, wir wollen anders leben. Das war ein Ausbruch des Lebens. Viele wissen nicht mehr, wie das war: Bis 1965 musste eine Ehefrau in Frankreich, die ein Bankkonto eröffnen wollte, die schriftliche Erlaubnis ihres Ehemannes haben. In Deutschland konnten Vermieter wegen Kuppelei angezeigt werden, wenn ein Student und eine Studentin sich in einem Zimmer aufhielten. Homosexualität war verboten. Viele Kinder wurden von ihren Eltern geschlagen. Das war der Grund, warum sich diese Generation, die auch einen bestimmten Wohlstand hatte, in diesen Ländern aufgelehnt hat. Parallel dazu lief der Protest gegen den Vietnam-Krieg. Zudem wollten wir eine Demokratisierung der Gesellschaft. Zumindest theoretisch. 68 ist vorbei. Die Welt ist eine andere. Wir haben kulturell und sozial gewonnen. Es gibt eine Möglichkeit der Freiheit, die man vor 45 Jahren nicht gekannt hat. Aber wir haben andere Probleme. Unsere Generation damals: Arbeitslosigkeit kannten wir nicht, Aids kannten wir nicht, 1968 war die letzte Revolte, die von CO2 keine Ahnung hatte, wir waren die erste globale Generation, wir waren die erste Mediengeneration. Wir haben im Rhythmus von Paris, Berlin, Warschau und Woodstock gelebt. Heute ist Globalisierung etwas, was Angst macht.

Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Katharina Klee, Chefredakteurin Arbeit&Wirtschaft.

WEBLINKS
Homepage von Daniel Cohn-Bendit
www.cohn-bendit.de
Plattform für eine Volksabstimmung
über den EU-Reformvertrag
www.volxabstimmung.at/
Wiener Stadtgespräche
www.wienerstadtgespraech.at/daniel-cohn-bendit

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