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Vor Wahlen bedienen sich Parteien gerne des Instruments von Meinungsumfragen zu Testzwecken.

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Meinungsforschung und Demokratie hängen ursächlich zusammen. Gerade in Vorwahlzeiten achten Medien und Parteien auf »Volkes Stimme«.

Im Zusammenhang mit der Rolle der Meinungsforschung im demokratischen Prozess sind vor allem zwei Fragestellungen von besonderem Interesse:
Erstens: Welchen Einfluss hat die Veröffentlichung von »Wahlprognosen« auf das tatsächliche Wahlverhalten? Und zweitens: Welche Rolle kann Meinungsforschung in der Feststellung der »wahren« Volksmeinung spielen, oder - mit anderen Worten - inwiefern könnte Meinungsforschung als Instrument der direkten Demokratie genutzt werden?

Meinungsforschung und Wahlen

Folgendes Spiel wiederholt sich bei fast jedem Wahlgang: In den Wochen vor der Entscheidung sorgen die Medien für auflagensteigernde Spannung, für die gerne auch die Meinungsforschung als »objektive« Zeugin angerufen wird. So belegen die Daten entweder ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Führung oder sehen manche Partei an der Kippe zwischen Leben und Tod. Dass die Umfragen aufgrund der zumeist kleinen Stichproben statistische Zufallsschwankungen von mehreren Prozent +/- aufweisen und als Prognoseinstrumente in einer zunehmend mobileren Wählerlandschaft generell problematisch sind, wird gerne mit einem Augenzwinkern übergangen. Am Tag nach der Wahl gibt es dann jedenfalls eine Verliererin: die Meinungsforschung.

Das mag man zum üblichen Ritual von Wahlen zählen, demokratiepolitisch relevant ist allerdings die Frage, ob durch die Veröffentlichung von Wahlprognosen die politische Entscheidungsfindung beeinflusst wird, wenn etwa von Parteistrategen ganz gezielt (angebliche) Prognosen in den Raum gestellt werden, um die eigene Wählerschaft zu mobilisieren, oder die der Konkurrenz in Sicherheit zu wiegen.

Gegen ein immer wieder diskutiertes Verbot der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen vor Wahlen sprechen allerdings mehrere Argumente: Zweifellos schaffen Meinungsumfragen eine eigene soziale Wirklichkeit - allerdings mit geringer Wirkung. Es gibt kaum empirische Belege für den Einfluss von Umfragergebnisse auf die Wahlentscheidung. Zudem würde ein derartiges Verbot - abgesehen davon, dass es in unserer multimedialen Welt kaum zu kontrollieren wäre - dem Recht auf Meinungsfreiheit ebenso wie dem Ideal des mündigen, entscheidungsfreien Bürgers widersprechen.

Appell zum seriösen Umgang

Worauf man aber sehr wohl Anspruch erheben dürfte, wäre ein seriöser Umgang mit dem Instrument, ein Appell, der sich sowohl an die Medien als auch an allzu willfährige Befragungsinstitute richtet.

Instrument direkter Demokratie?

Wenn der Altkanzler Bruno Kreisky in den legendären Pressekonferenzen nach dem Ministerrat seine »Meinung« kundtat, kam das quasi einem Akt der Gesetzeswerdung gleich. Die repräsentative Demokratie hatte in Bruno Kreisky ihren Repräsentanten gefunden, der den Volkswillen auf den Punkt brachte.

Wenn hingegen heutige Republikslenker nach mühsamer Einigung auf Gesetze hinterher erst recht unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie diese nun aufzufassen seien, drängt sich der Wunsch auf, das Volk selbst dran zu lassen, wenns die PolitikerInnen schon nicht können oder nicht wollen.
So hat etwa auch eine jüngere österreichweite repräsentative IFES-Umfrage mit 2.000 Befragten ergeben, dass - bezogen auf die eigene Wohngemeinde - zwei Drittel bei wichtigen Entscheidungen öfter um ihre Meinung gefragt werden möchten.

Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen sind jene Instrumente der plebiszitären Demokratie, die - der Idee nach - dem unmittelbaren Willen des Volkes zum Durchbruch verhelfen sollen. Die Realität belehrt uns allerdings gewöhnlich eines anderen: entweder werden diese Instrumente von vornherein parteipolitisch instrumentalisiert und sollen Parteianliegen einen quasi basisdemokratischen Anstrich verleihen, oder die Ergebnisse von wirklich »unabhängigen« Initiativen kritischer BürgerInnen bleiben parlamentarisch letztlich folgenlos.

Volkes Willen

Offen bleibt zudem meist: Welche reale Legitimation - neben der formalgesetzlichen - haben die Ergebnisse von direktdemokratischen Referenden? Repräsentieren diese tatsächlich den Willen des Volkes in seiner Gesamtheit und nicht vielmehr jenen von ohnehin besonders durchsetzungsfähigen Gruppen? Bauen derartige Beteiligungsformen Zugangsbarrieren auf, die benachteiligte Gruppen tendenziell erst wieder ausschließen?

Diese Vermutung wird durch das Beispiel der IFES-Umfrage gestützt, die zeigt, dass der Beteiligungswunsch sehr stark nach sozialer Schichtzugehörigkeit differiert: Angehörige der höchstqualifizierten und bestverdienenden A-Schicht reklamieren zu 77 Prozent, jene der E-Schicht lediglich zu 51 Prozent den Wunsch nach Beteiligung. Tatsächlich beteiligt haben sich dort, wo so ein Referendum stattgefunden hat, demnach mehr als zwei Drittel der A-Schicht, aber lediglich 41 Prozent der E-Schicht.

Schweigende Mehrheit

Oder sehen wir uns das Ergebnis der jüngst abgehaltenen Volksbefragung im Bundesland Salzburg zur Bewerbung um die Olympischen Spiele 2014 an:  60 Prozent der Salzburger Befragungsteilnehmer befürworteten die Bewerbung - eine klare Mehrheit, die allerdings zu einer kläglichen Minderheit von nur elf Prozent schrumpft, wenn man alle Abstimmungsberechtigten als Berechnungsbasis heranzieht. Es hat also eine ausgesprochene Minderheit - demokratisch legitimiert - den weiteren Lauf der Dinge bestimmt. Wie bei diesem so können wir auch bei anderen Beispielen über die Interessen und Haltungen der »schweigenden Mehrheit« nur spekulieren. Das Verdikt »Wer schweigt, stimmt zu!« trifft sicher nur einen Teil der Wahrheit, weil auf dem Weg von der Konkretisierung einer persönlichen Meinung bis zur öffentlichen Unterschrift unter ein Begehrensformular oder zum Kreuzerl auf dem Abstimmungsbogen sehr viele Hürden liegen.

Wenn also die traditionellen Instrumente der direkten Demokratie ihren Intentionen offenbar vielfach nicht gerecht werden, warum nicht auf andere Instrumente ausweichen - warum etwa nicht den breiten Volkswillen durch die wissenschaftlich gestützten Methoden der empirischen Sozialforschung, sprich durch repräsentative Meinungsbefragungen erheben? Zahlreiche Vorbehalte gegenüber den etablierten Referenden wären damit mit einem Schlag ausgeräumt.

Pro Meinungsforschung

Was spricht nun für den Einsatz der Meinungsforschung als verbindliches Element der direkten Demokratie?

  • Die »Richtigkeit« der Ergebnisse: Seriös und handwerklich sauber durchgeführte Meinungsbefragungen mit entsprechenden Stichprobengrößen bringen die allgemeine Volksmeinung wesentlich richtiger und »unverzerrter« zum Ausdruck als Abstimmungen, an der sich nur besonders engagierte Minderheiten beteiligen.
  • Der Aufwand: Flächendeckend durchgeführte Volksbefragungen verursachen Kosten in Millionenhöhe und binden ein Menge an Personalressourcen in den damit befassten Ämtern. Demgegenüber wäre eine repräsentative Stichprobenbefragung in jeder Hinsicht wesentlich unaufwendiger.

Den genannten Vorteilen von Meinungsbefragungen stehen allerdings so gravierende Bedenken hinsichtlich der demokratischen Legitimation gegenüber, dass diesen wohl auch der Anspruch auf Richtigkeit geopfert werden muss:

  • Die Auswahl der Befragungspersonen: Eine demokratisch legitimierte repräsentative Befragung müsste gewährleisten, dass einerseits alle Abstimmungsberechtigten die gleiche Chance haben, in die Auswahl zu gelangen, und dass andererseits niemand Unberechtigter teilnehmen kann. Letztlich ginge das nur über komplizierte Kontrollverfahren - sowohl der Auswahl als auch des Befragungsvorgangs und des Befragungspersonals. Jede Regelwidrigkeit würde nämlich sogleich die Anfechtung des Ergebnisses nach sich ziehen.
  • Der statistische Zufallsfehler: Das Ergebnis einer Befragung von Zufallsstichproben ist nur unter Berücksichtigung einer statistischen Fehlertoleranz zu verallgemeinern. Um diesen Fehler möglichst gering zu halten, müsste eine entsprechend große Stichprobe befragt werden. Nur so wäre im Wesentlichen ein »sicheres« Mehrheitsergebnis bei extrem ausgeglichenem Abstimmungsverhalten gewährleistet. Ein maximaler Zufallsfehler von +/- einem halben Prozent würde etwa eine Stichprobe von 40.000 Personen voraussetzen.
  • Akzeptanz der Meinungsforschung: Das Hauptproblem liegt m. E. darin, dass Meinungsforschung - insbesondere vor Wahlen - in der breiten Öffentlichkeit zwar einen hohen Unterhaltungswert hat, sich allerdings nicht des Rufs erfreut, eine seriöse und zuverlässige Methode zur Erhebung von Bevölkerungsmeinungen zu sein. Mit einem Wort, ein Referendum, und sei die Beteiligung noch so schwach, weist allemal noch mehr Legitimität auf als ein noch so präzises Ergebnis einer Meinungsumfrage. Die »Richtigkeit« des Verfahrens und nicht die des Ergebnisses entscheidet somit über die Akzeptanz und die »Brauchbarkeit« für die politische Meinungsfindung.

Mäßig demokratisch

Diese Bedenken spiegeln auch die Ergebnisse der erwähnten IFES-Befragung wider, in der repräsentative Meinungsbefragungen nur mäßig als demokratisch legitimierte Verfahren erachtet werden, um zu einem zuverlässigen Meinungsbild in der Bevölkerung zu kommen.

Die Instrumentalisierung und Instrumentalisierbarkeit von Meinungsbefragungen und der vielfach populistische Einsatz durch parteipolitische InteressentInnen diskreditieren ein an sich äußerst ausgefeiltes und präzises Messinstrumentarium und machen es - zumindest derzeit noch - als Mittel der direkten Demokratie unbrauchbar.

Meinungsforschung ist nichtsdestotrotz ein wichtiges und unverzichtbares Orientierungsmittel für politisches Handeln, was sie jedenfalls nicht sein kann und will, ist, der Politik eigene Ziele und eigene Visionen zu ersparen.

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Institut für empirische Sozialforschung
www.ifes.at
Internetlexikon Wikipedia über Meinungsforschung
www.de.wikipedia.org/wiki/Meinungsforschung

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