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Stachel im Fleisch

Schwerpunkt

Kulturschaffende empfinden das Wechselspiel zwischen Kunst und Demokratie oft als eine Art »Überleben im Haifischbecken«.

Die Kunst ist unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie. Wenn sie frei ist, kann sie sich entfalten. Ihre Aufgabe ist es, Stachel im Fleisch zu sein, Spiegel der Befindlichkeit einer Gesellschaft, ihr Korrektiv und ihr Ausdruck. Sibylle Fritsch hat für Arbeit&Wirtschaft fünf KünstlerInnen aus den Sparten Literatur, Musik, Schauspiel, Kabarett und (Medien-)Kunst zu ihrer Sichtweise über die Demokratie befragt und die Gespräche zusammengefasst.

Miguel Herz-Kestranek: Gestolper zur Gesellenprüfung

Kunst und Demokratie - das ist eine Prüfung, die im Idealfall beide bestehen sollten. Kunst ist auch Korrektiv für die Unvollkommenheiten der Demokratie. Letztere braucht Widerspruchskünstler, an denen sie sich messen kann - und umgekehrt. Allerdings, im Vergleich zur Lautstärke der Behauptung: Österreich ist weder Kulturland noch Demokratie, sondern Demokratielehrling auf dem Gestolper zur Gesellenprüfung. Warum es kein Kulturland ist? Dafür habe ich eine lange Liste, die diesen Rahmen sprengen würde. In diesem Land wird außerdem Kunst mit Kultur verwechselt oder auch Prominenz mit Kompetenz. Kunst ist immer subjektive Mitteilung, immer öffentliche Angelegenheit, weil immer sozial bedingt, und immer elitär. Keine Demokratie kann ohne Elite auskommen, weil sie Bestandteil der Gesellschaft ist. Unsere demokratische Gesellschaft in Österreich nutzt Kunst sowohl als Backhendl wie auch als gesellschaftliches Alibi. Wirkliches Kunstverständnis ist selten. Das Verständnis endet blitzschnell, wenn Kunst nicht mehr gefällig ist. Die Politik fördert und lässt Kunst nur zu, weil sie sich etwas davon verspricht, nicht aus Überzeugung und Verständnis. Politiker verstehen sowieso nur wenig von irgendwas, aber von Kunst verstehen sie gar nichts. Kunst kann eine politische Waffe sein, ist fast immer in Opposition und muss auch ertragen werden. Eine demokratische Aufgabe wäre es, dieses Ertragen zu lehren, sich darin zu schulen und zu einem Wert zu machen.

Peter Paul Skrepek: Leben in der Befehlswirtschaft

In der »real existierenden Demokratie«, also in ihrer Karikatur, erfüllt die Kunst die Funktion eines schlechten Kasperltheaters. In einer wirklichen Demokratie hingegen hätte sie eine zentrale Funktion inne: Das, was noch nicht gedacht wurde, zur Debatte zu stellen. Kunst ist das Hoffen, durch Beschreibung der Zustände etwas verändern zu können - ein generationsübergreifender Prozess.

 Totalitäre Regime lassen nur jene Formen und Inhalte von Kunst zu - ja fördern sie sogar massiv -, die das System stützen, während eine demokratische Gesellschaft alle Kunst gleichermaßen ermöglicht und vermittelt. Denn sie erkennt Kunst als Basis und Korrektiv der Zivilisation, ohne die ein Rückfall in die Barbarei droht. Unsere Gesellschaft bzw. ihre Massenmedien befördern die Gefälligkeitskunst. Kunst wird zum Werbespot, beliebig, nach dem Motto: Alles, was sich verkauft, wird am Schluss verkauft sein. Der Künstler braucht die Öffentlichkeit und willigt in seinen Verkauf ein. In Wahrheit verhält es sich umgekehrt: Die Öffentlichkeit braucht die Kunst.

Wer kein Kapital besitzt, muss arbeiten, um überleben zu können. Im Neusprech heißt das: Selbstverwirklichung. Dieser ökonomische Druck hält auch die Kunst unter Kontrolle. Sicherheitshalber wurde der Kunstbegriff noch in die Eliteschublade gelegt. Das System erklärt uns, was Kunst ist und was Unterhaltung. Bei Verdacht auf »Kunst« schalten die Leute ab. Die Trennung ist strikt. Dabei war der Künstler Mozart zu seiner Zeit Unterhaltungsmusiker. Kunst ist nicht notwendigerweise kompliziert und unzugänglich. Humor und Musik sind gleichzeitig einfach - und dahinter schwierig genug.
In der »real existierenden Demokratie« kann Kunst nicht »demokratisch” sein. Demokratie setzt voraus, dass sich alle Beteiligten auf fachliche Autoritäten einigen, die dann Entscheidungen treffen. Dazu gehören Bildung und die Freiheit, sich zu informieren. Wir hingegen leben in einer Befehlswirtschaft. Jedes Bewusstsein der Teilnahme an demokratischen Prozessen wird zugeschüttet - durch Bewusstseinskontrolle. Das führt in die nächste Tyrannei - und davor kann man nur warnen.

Olga Neuwirth: Diktat der Ökonomie

Als Komponistin klassisch-zeitgenössischer Musik gehöre ich zu einer Randgruppe. Ohne Demokratie wären keine Randgruppen möglich. Ohne Demokratie gäbe es keine Freiheit der Kunst, keine Freiheit des Denkens, des sich Äußerns. Demokratie ist die Voraussetzung um kritische Überlegungen zuzulassen.

Es heißt immer, zeitgenössische klassische Musik sei elitär. Das finde ich nicht. Elite bedeutet Ausschluss. Musik in ihrem Kern ist etwas Demokratisches, da es viel mit Zuhören, mit Kommunikation zu tun hat. Andererseits ist es erstaunlich, wie undemokratisch im Bereich Kunst oft agiert wird, wie hierarchisch bis autoritär: Im Umgang der Veranstalter und Auftraggeber gegenüber Musikschaffenden und sogar im Verhältnis Dirigent zu Komponist.

Das Diktat der Ökonomie macht vor der Kunst nicht Halt. Auch die Kunstwelt wird heute kapitalistisch durchorganisiert und jeder dem Erfolgszwang ausgesetzt. Dies führt zur Gefährdung des Einzelnen in der Gruppe. Nicht Solidarität herrscht vor, sondern: der Stärkere setzt sich durch. Das Kunst- und Musikbusiness gleicht einem riesigen Haifischbecken, in dem ständig gekämpft und weggebissen wird. Erschreckend sind für mich auch die Neidgefühle der Künstler untereinander, die zu Intoleranz führen. Die Gratifikation des Einzelnen war immer schon Beweggrund, sich totalitärem Gedankengut anzuschließen. Die Funktion der Kunst wäre es, diese Entwicklungen aufzuzeigen - ändern kann sie ja nichts - statt vorauseilend mitzumachen. Die Ökonomisierung der Lebenswelt verlangt immer mehr Tempo. Komponieren aber ist ein altes Handwerk. Das braucht Zeit, da kann man nicht »instant« funktionieren.

Ruth Schnell: Softwareavantgarde

Kunst kann Bewusstsein bilden - im Maximalfall -, Konflikte provozieren und zum Nachdenken anregen, aber gleichzeitig entzieht sie sich in ihrer Offenheit, in ihrem Oppositionscharakter, ihrer Tabulosigkeit der Demokratie und begibt sich in einen Elitarismus. Weil sie sich neben »dem Track« spezialisiert, muss sie keine Gefälligkeiten liefern. Würde man Kunst einem demokratischen System unterwerfen, wäre sie tot. Sie kann zwar Demokratie thematisieren, aber wenn versucht wird, Mitbestimmung, Gleichheit und Ähnliches in der Kunstszene zu installieren, so erleidet dies Schiffbruch. Künstlerinnen und Künstler müssen sich ständig durchsetzen, obsessiv sein. Der Kunstmarkt spielt eine immer zentralere Rolle, lässt aber nur einen gewissen Anteil und Ausschnitt an Kunst zu. Als Künstlerin muss man sich entscheiden und fragen: Wie lebt es sich außerhalb? Begibt man sich hinein, um den Preis, nur einen Ausschnitt seiner Kunst einfließen lassen zu können? Nämlich den, der sich als Aktie verkauft und womöglich dem System, den Reichen und Schönen dekorativ die Ästhetik des Lifestyle liefert.

Im Kunstmarkt herrschen - wie in der aktuellen Demokratie - die Regeln der Warengesellschaft, es geht weniger um Qualität als um den Künstler als Marke. Die Medien konstruieren die Quotenwirklichkeit mit. Allerdings wurde mit der Erfindung des Internets auch Eine konträre Entwicklung eingeleitet: eine Ästhetik der Software und das Prinzip, dass jeder KünstlerIn sein kann und sein Werk ins Netz stellt. Auch hat jeder einfachen Zugang zu Wissen - und Wissen ist Macht. Die Medienkunst hat es am Kunstmarkt nicht leicht, sie ist extrem schwer verkäuflich. Dafür kann sie als demokratisches Instrument und Basis des interaktiven und somit demokratischen Kunstwerks fungieren, für das der/die KünstlerIn die Idee und den virtuellen Raum liefert. An der Medienkunst lässt sich die technologische Demokratisierung nachvollziehen. Musste man in den Neunzigerjahren für eine Computerinstallation eine fünf Millionen Schilling teure Maschine zur Verfügung haben, so ist das heute mit einem Laptop um 800 Euro möglich. Man kann sagen, dass die Medienkunst eine Demokratisierungsrolle einnimmt. Sie treibt das Medium weiter. Sie ist sozusagen die Softwareavantgarde.

Robert Menasse: Die Wahrheit ist das Ganze

Gerne wird unterstellt, dass subventionierte Kunst keine freie Kunst mehr sei. In Wahrheit ist sie nur frei, wenn sie subventioniert wird. Historisch finanzierte der Feudalherr die Kunst und stellte die Rahmenbedingungen. Der Künstler war Angestellter eines Kardinal oder Kaisers, durfte Kapellen ausmalen oder Porträts von Dynastien anfertigen. Die moderne Gesellschaft geht in ihrem Selbstverständnis auf die Grundlagen der bürgerlichen Freiheitsrechte zurück. Das war auch der Beginn der freien Kunst als einem gesellschaftlichen Grundbedürfnis. Erstaunlich ist, dass diese Gesellschaften bei der Kunst nun zurückweichen und ihr Verschiedenes abverlangen - Quote bringen, für die Mehrheit interessant sein oder als Trost oder Unterhaltung fungieren. Und auch, dass der Staat das Feld wieder privaten Sponsoren und Mäzenen überlässt. Das ist kunstgeschichtlich ein Rückschritt und gefährlich. Die richtige Antwort der demokratischen Gesellschaft wäre, die Kunst mit einer Bildungspolitik zu kombinieren, die den Markt für die Kunst vergrößert.

Kunst ist einer der möglichen Wege zur Erkenntnis. Mit dem Anspruch sich mit der Welt und der Realität so auseinanderzusetzen, dass wir sie besser verstehen, tiefer empfinden. Wenn wir diese Prämisse akzeptieren, liegt es nahe, dass der Künstler Realität verarbeitet und - sofern es ihm entspricht - sich bewusst in einen Prozess einbringt, der die Realität vernünftiger gestaltet. Und das ist auch der Moment seines politischen Engagements. Wenn er sich für eine Partei engagiert, wird es problematisch: Die Gesellschaft ist ein widersprüchliches Gebilde, die Wahrheit das Ganze. Geht man davon aus, dass die Wahrheit der Freiheit im steten Wechselspiel verschiedener gesellschaftlicher Interessen liegt, darf der politisch engagierte Künstler sich nur für die gesellschaftliche Dynamik im Ganzen einsetzen. Seine Aufgabe, sein politisches Engagement kann nur darin bestehen, mitzuhelfen, dass die Regierung, die ihr Amt antritt, beim nächsten Mal abgewählt wird. Denn Demokratie und Freiheit sind nur bei wechselnder Verantwortung möglich. 
  

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