topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Demokratie in Grauzone Lobbying kann auch zur Verzögerung wichtiger Ziele führen.

Demokratie in Grauzone

Schwerpunkt

In Brüssel ist Lobbying aus dem politischen Geschehen nicht wegzudenken. Viele sagen, Lobbying korrumpiere die europäische Demokratie

Lobbyismus ist eine Form der Interessenvertretung in der Politik, bei der Regierungsmitglieder, Beamte und gewählte EntscheidungsträgerInnen durch Interessengruppen - den sogenannten Lobbys - im direkten Kontakt gezielt angesprochen werden bzw. indirekt die öffentliche Meinung über die Medien beeinflusst wird. Lobbying ist somit ein Mittel zum politischen Prozess der Entscheidungsfindung und zur politischen Einflussnahme.

Es gibt kaum sichere Daten über die Anzahl der LobbyistInnen in Brüssel und vor allem nicht über ihre Finanzmittel. Die auf EU-Fragen spezialisierte Public Affairs Agentur »Eacon« ermittelte in einer Studie als Zahl 13.500 BerufslobbyistInnen in der europäischen Hauptstadt. Dazu kommen ca. 6.500 »GelegenheitslobbyistInnen«, das sind VertreterInnen von Organisationen, die fallweise nach Brüssel kommen.

LobbyistInnen sind ein integrativer Bestandteil der EU. Ohne sie ginge es einfach nicht. Es gibt zwei Arten von Verwaltungen: Die eine hat das ganze Fachwissen innerhalb der Verwaltung, die andere besorgt es sich von außen. Mit etwa 24.000 Beamten/Beamtinnen hat die EU um 10.000 weniger als die Stadt Wien. Diese wenigen können gar nicht das gesamte Fachwissen haben, das sie benötigen - geschweige denn die ParlamentarierInnen, die die Entscheidungen treffen müssen.

Die Mitgliedsstaaten wälzen immer mehr Aufgaben nach Brüssel ab, aber ohne dafür ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Das EU-System holt sich darum das Fach-Know-how von außen und zwar genau von jenen, die direkt in der Sache betroffen sind. Die Lobbys sind dabei die Vermittler. Lobbying wird immer im Spannungsfeld zwischen berechtigter Einflussnahme und der möglichen Gefährdung demokratischer Grundprinzipien stehen. Aufgrund immer komplexer werdender Wirtschaftsstrukturen und Themenfelder nehmen Lobbygruppen eine wichtige Funktion ein.

Vorstoß für mehr Transparenz

Anlässlich der Präsentation des Grünbuchs »Transparenzinitiative« 2006 gestand Kommissionspräsident Barroso Handlungsbedarf ein. Die Legitimität der Entscheidungsprozesse der europäischen Organe könnte nur durch mehr Transparenz und größere Verantwortlichkeit gegenüber den BürgerInnen garantiert werden.

Die Kommission gestand ein, dass es Bedenken darüber gebe, in welchem Ausmaß bestimmte Lobbypraktiken über eine berechtigte Interessenvertretung hinausgingen. Zu diesen Praktiken zählt vor allem die Verbreitung falscher Informationen über mögliche wirtschaftliche, soziale oder umweltpolitische Auswirkungen von Gesetzesvorschlägen.

Zu beobachten ist auch der zunehmende Einfluss der Unternehmenslobbys auf den Entscheidungsprozess der EU. Man verschafft sich wertvolle Informationen bzw. einen Wissensvorsprung betreffend bevorstehender Gesetzesänderungen, um diese dann entsprechend beeinflussen zu können.

Ein weiteres Problem ist der Wechsel von ehemaligen politischen Entscheidungsträgern zu Unternehmen oder Lobbygruppen, in Brüssel »revolving door« (Drehtür) genannt. Know-how und Kontakte können dabei nach einer Karriere in einer EU-Institution gewinnbringend genutzt werden. So arbeiten z. B. manche Abgeordnete nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament bei Lobbying-Firmen.

Hier herrscht eine sehr breite Grauzone zwischen eindeutiger Korruption und dem, was demokratisch einwandfrei vertretbar ist. Diese Grauzone ist der Öffentlichkeit derzeit nur wenig bekannt und wird auch von den Medien kaum beleuchtet.

»Code of conduct«

Lobbying ist legitim, in Brüssel allgemein akzeptiert und von der politischen Bühne nicht mehr wegzudenken - es gibt trotzdem bislang keinen verpflichtenden europäischen Verhaltenskodex für LobbyistInnen! Die Kommission legte zwar kürzlich einen Entwurf für einen »Code of Conduct for Interest Representatives« vor, der auf freiwilliger Basis funktionieren soll. Genau darin liegt auch die Problematik. Anstatt einer freiwilligen Registrierung wäre die verbindliche Registrierung von LobbyistInnen, und zur Gewährleistung der Einhaltung des vorgeschlagenen Verhaltenskodex, ein effizienter Kontrollmechanismus sowie wirkungsvolle Sanktionen bei Verstößen erforderlich.

Das Risiko ist hoch, dass die angestrebte »Autoregulierung« durch einen freiwilligen Verhaltenskodex sich als ineffizient erweisen wird und nur einen falschen Anschein von Transparenz herstellt. Vor allem Gruppen, die lieber im Schatten bleiben möchten, werden sich der Registrierung entziehen und über Tarnfirmen und Strohmänner agieren.

Wenn Brüssel hier nicht deutlicher durchgreift, riskiert man, dass unseriöse und manipulative Praktiken zunehmen und zu Skandalen führen, die dann wiederum das ohnehin schwache Vertrauen der Bürger in eine demokratische EU weiter beschädigen.

Europäische Öffentlichkeit

Denn immer öfter kommen in Kampagnen Desinformation und Manipulation zum Einsatz. So geben z. B. WirtschaftslobbyistInnen vor, Teil der Zivilgesellschaft zu sein und gründen Schein-NGO‘s und Tarnfirmen. Es wird mit betrügerischen Mitteln und fallweise auch mit Bestechung gearbeitet.

Dies droht die Demokratie zu untergraben, liefert Munition für anti-europäische politische Gruppen bzw. Demagogen und schwächt letztlich das Ansehen Europas. Diese illegalen Praktiken entwickeln eine negative Sogwirkung für andere LobbyistInnen und bringen den gesamten Berufsstand in Misskredit - seriöses Lobbying könnte sich bald immer weniger Gehör verschaffen.

Dazu kommt, dass finanzstarke Industriegruppen ihren Einfluss auf die Medien verstärken. Die kritische Berichterstattung nimmt ab, die Medien werden durchlässiger für PR-Kampagnen.

Was fehlt, ist eine echte europäische Öffentlichkeit. Medial gesehen hat Europa die Nationalstaaten noch nicht überwunden. Es gibt weder eine europäische Tageszeitung, noch gesamteuropäische Fernsehkanäle. Diese fehlende europäische Öffentlichkeit ermöglicht es, die Medien je nach Bedarf zu umgehen oder auf nationaler Ebene gezielt für demagogische Zwecke zu benutzen.

Lobbying braucht Kontrolle

Ein effizientes System zur Regulierung der Lobbying-Arbeit ist möglich. Lobbying braucht verpflichtende Offenlegung und Überwachungsmechanismen, deren Nichteinhaltung Sanktionen vorsehen. Üble Praktiken wie Desinformation und Manipulation müssen sanktioniert werden. LobbyistInnen, die mit betrügerischen Mitteln und im Extremfall mit Bestechung arbeiten, muss das Handwerk gelegt werden. Nicht das Lobbying an sich untergräbt die Demokratie, sondern solche illegalen Praktiken. Die Informations- und Geldflüsse in der Union müssen für die BürgerInnen klar nachvollziehbar sein. Ebenso muss einsehbar sein, wie europäische Richtlinien und Verordnungen zustande kommen: Wessen Vorschläge sind in eine Richtlinie eingeflossen? Welche Gruppen waren federführend, wessen Interessen wurden berücksichtigt?

Wenn finanzstarke Industriegruppen ihren Einfluss auf die Medien verstärken und PR-Kampagnen zur Durchsetzung ihrer Interessen starten, braucht es Maßnahmen gegen die zunehmende Medienkonzentration und für eine Demokratisierung der Medienlandschaft.

Lobbying und Gewerkschaften

Lobbying ist eine bestimmte Form, Politik zu machen, bei der jene mit mehr Geld die besseren Karten haben. ArbeitnehmerInnenvertretungen sind daher benachteiligt. Wenn die ArbeitnehmerInnen auf Lobbying verzichten, würde das allerdings nur ihre Gegner freuen.

Gewerkschaften und Arbeiterkammer vertreten in Brüssel die Interessen der ArbeitnehmerInnen in Europa und arbeiten aktiv bei der Gestaltung des europäischen Sozialmodells mit. Sie haben dabei nicht einfach bloße Geschäftsinteressen, sondern einen demokratisch legitimierten Auftrag sowie eine moralische Rechenschaftspflicht gegenüber ihren Mitgliedern. In diesem Sinne sind sie mehr als nur Berufslobbys. Lobbying und Interessenvertretung kann jedoch nicht neutral sein. Es muss klar sein, für wen oder wofür sie steht. Sie bietet gewählten Abgeordneten und Beamten/Beamtinnen Entscheidungsgrundlagen. Die Letztentscheidung liegt jedoch in der Politik!

WEBLINKS
Kritische Webseiten von NGO‘s
EU-Lobbytours bietet virtuelle Rundgänge durch das Brüssel der Lobbyisten: www.eulobbytours.org
LobbyControl - Initiative für Transparenz und Demokratie:
www.lobbycontrol.de
Der »Worst EU Lobbying Award« will unseriöse Lobbying-Methoden anprangern:
www.eulobbyaward.org

KONTAKT
Schreiben Sie uns Ihre Meinung
an die Autorin
barbara.lavaud@gpa-djp.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum