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Vorwärts - ins Aus?

Aus AK und Gewerkschaften

Überfallsartig wurde die Belegschaft von Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR) in Wien-Liesing mit der Schließung des Standortes konfrontiert.

Am 13. Dezember 2007 gab der Pharmakonzern Novartis im Rahmen seines Umstrukturierungsprogramms »Forward« einen Stellenabbau von weltweit 2.500 Stellen bekannt. In der Videobotschaft des Novartis-Bosses war von »sustainable seperations«, also von nachhaltigem Personalabbau und von der Schaffung schnellerer Entscheidungswege die Rede. Offiziell hieß es da noch, das Wiener Forschungsinstitut sei unter »Evaluierung«. Sechs Tage später schlug der Casinokapitalismus wieder einmal zu: Die Beschäftigten des Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR) in Wien-Liesing erfuhren über eine gerade mal 3-Minuten-Videobotschaft vom Aus ihres Standortes. Die Video-Durchsage wurde mit den Worten »That‘s it« beendet. Einen Tag später fand die Weihnachtsfeier im Wiener Museumsquartier statt. Das kann’s doch nicht sein, reagierten Belegschaft, BetriebsrätInnen und Gewerkschaften. Seitdem ist Feuer am Dach. Novartis, der Marktführer bei Bluthochdrucksenkern, sorgt bei seinen MitarbeiterInnen selbst für permanenten Bluthochdruck. Doch die Wiener wollen die bittere Konzern-Pille nicht schlucken.

Proteste und Unterstützung

Mit der Unterstützung der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-DJP) starteten die BetriebsrätInnen im Internet eine Unterstützungsaktion: Bisher erklärten sich rund 6.000 Menschen solidarisch (www.gpa-djp.at). In einem weiteren Schritt gingen die BetriebsrätInnen mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit und in die Offensive: »Wir werden alles unternehmen, um das Forschungszentrum zu erhalten. Wenn das nicht unter Novartis geht, dann unter einem anderen Logo«, so die Konzernbetriebsratsvorsitzende der Novartis Pharma GmbH Ingrid Stipanovsky. »Wir wollen uns nicht auf einen Sozialplan reduzieren lassen. Einfach zusperren wäre auch ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden.« Für Arno Pruckner, den Betriebsratsvorsitzenden des NIBR-Forschungslabors, bedeutet eine Schließung »den Verlust hochwertigen Forschungs-Know-hows für Wien. Allein mit dem in Wien entwickelten Medikament Lamisil gegen Pilzerkrankungen setze der Konzern eine Milliarde US-Dollar (682 Millionen Euro) um. Neben 240 Forschungsarbeitsplätzen sind zahlreiche weitere Arbeitsplätze von Unternehmen, die Mieter und Nutzer der Campus-Infrastruktur auf dem 120.000 m2 großen Areal sind, mittelfristig insgesamt rund 700 Menschen direkt oder indirekt betroffen«.

»Forward« - mit den Gewinnen

Der Novartis-Forschungsstandort Wien soll geschlossen werden, obwohl der Novartis-Konzern Gewinne schreibt wie noch nie: Von 2006 auf 2007 stieg der Nettoumsatz um acht Prozent auf 39,8 Milliarden US-Dollar (27,2 Milliarden Euro), der Reingewinn um satte 66 Prozent auf 11,97 Milliarden US-Dollar (8,18 Milliarden Euro). Für 2008 erwartet Novartis 2008 erneut Rekordergebnisse.

Trotz für 2008 erwarteten Einbrüchen beim Gewinnwachstum für die Aktien zählt das »Wirtschaftsblatt« die Novartis-Aktie zu den »gesündesten Pharma-Aktien«. Ähnlich sieht die Analyse von Fondsmanagern auf Basis des Bloomberg Europe Pharmaceutical Index aus. Zudem will der Novartis-Verwaltungsrat den Aktionären die elfte Dividendenerhöhung seit der Gründung 1996 vorschlagen und kündigte Novartis-Präsident Daniel Vasella ein Aktienrückkaufprogramm im Umfang von bis zu zehn Millarden Schweizer Franken (6,23 Milliarden Euro) an. Geld ist also in Hülle und Fülle vorhanden. Seit der Fusionierung 1996 ist zwar die Marktstellung von Novartis schwächer geworden (dzt. weltweit viertgrößter Pharmakonzern), die Gewinne sind aber explodiert.

Weiters geht aus dem Novartis-Geschäftsberichten 2007 hervor, dass für die Umsetzung des Programms »Forward« für 2008 bereits im Jahr 2007 eine »Restrukturierungsrückstellung« in der Gesamthöhe von 444 Millionen US-Dollar (303,5 Millionen Euro) vorgenommen wurde, womit die Arbeitsplatzvernichtung in Wien auch noch Steuer schonend durchgeführt werden soll.

»Segnungen« der Konzernspitze

Es ist nicht das erste Mal, dass die Beschäftigten die »Segnungen« der Konzernspitze zu spüren bekamen. Seit 1970 gibt es den Forschungsstandort. Etliche der heutigen MitarbeiterInnen sind seit dieser Zeit im Haus. Sie erinnern sich, welch hervorragende Arbeit hier geleistet wurde: Etliche Pharmaprodukte sind hier entwickelt worden, »sind echte Wiener Innovationen und auch zu Umsatzheulern des Gesamtkonzerns geworden«, wie es ein Betriebsrat ausdrückt. Die Produktentwicklung hat sich von früher zwölf auf sieben Jahre nahezu halbiert. Ende der 1960er Jahre kaufte die Biochemie Kundl als 100-prozentige Tochter des Schweizer Pharmakonzerns Sandoz das Gelände in Wien-Liesing. Öffentliche Fördermittel sollen geflossen sein. 400 MitarbeiterInnen gab es damals hier. 1986/87 kam der erste Schnitt, die MitarbeiterInnenzahl wurde halbiert.

Outsourcing wurde modern: Die »Spülfrauen«, sprich die Laborglas-Reinigung oder die Betriebsküche wurden ausgelagert. Gleichzeitig fand auch noch etwas Entscheidendes statt: Schritt für Schritt wurden andere Forschungsstandorte aufgebaut. Zwar wurde Wien 1987 zum Sandoz-Forschungsschwerpunkt im Bereich Dermatologie, was auch nach der Fusionierung von Sandoz und Ciba Geigy im Jahr 1996 (international) und 1997 auch unter Novartis so blieb. Aber schon bald, spätestens seit 2003 war das zu bemerken, hatte man scheint‘s anderes vor. Permanent wurde umstrukturiert, die Standorte derart filetiert, dass Arbeitsgruppen international auseinandergerissen wurden, die Chefs verstreut waren, Entscheidungen nicht einheitlich getroffen wurden. Alle kochten ihre eigene Suppe wissen Betroffene. Das Auseinanderreißen der Arbeitsgruppen (Matrixorganisation) sollte Synergien bringen. Doch statt mehr Forschungseffizienz entstand mehr Ineffizienz. Jetzt heißt das Schlagwort »Organisationseffizienz«. Ergebnis: Die Forschungslabors in Wien sollen geschlossen werden, die Novartis-Forschung soll in Basel und den USA konzentriert werden, um effizienter zu arbeiten, wie es heißt.

Nicht tatenlos zuschauen

Mittlerweile wurden von Seiten der Belegschaftsvertretung Sozialpläne vorgelegt. Während der Verhandlungen wurden die mit der Gewerkschaft bereits geplanten Aktionen, vor Apotheken die Öffentlichkeit über das Vorgehen von Novartis zu informieren, vorerst ausgesetzt. Die BetriebsrätInnen wollen annehmbare Lösungen bzw. Bedingungen für die rund 55 KollegInnen, denen Novartis ein Transferangebot nach Basel legen will, für diejenigen, etwa 25 Forscher, die in Wien bleiben sollen sowie für diejenigen, die aufgrund der Vorgangsweise von Novartis keine Perspektive sehen und zu einem anderen Arbeitgeber wechseln müssen.

Auf Aufforderung des ÖGB berief der zuständige Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein die staatliche Wirtschaftskommission ein. Zwei Sitzungen fanden bereits statt. Es geht um die Erhaltung des Forschungsstandortes und des Know-hows für Wien und um den Abschluss eines Sozialplanes. Zu beiden Punkten zeigen sich die Novartis Manager bisher noch nicht wirklich in ausreichendem Maß verhandlungsbereit. Aus Sicht von Betriebsrat und Gewerkschaft ist die wirtschaftliche Notwendigkeit der Maßnahme nicht gegeben: »Wenn der Europachef von Novartis 23 Millionen Euro Prämie dafür bekommt, dass er den Forschungsstandort Wien zusperrt, kann man doch nicht tatenlos zuschauen!«, meint ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer.

Was es mit der Schließung von Forschungsabteilungen so auf sich hat und wohin das letztlich führen kann, nämlich nicht nur zum Know-how-Verlust, sondern auch zum Aus weiterer oder sogar aller Firmenaktivitäten in Österreich, das zeigt das Beispiel der österreichischen Semperit Reifenproduktion. Überdies mussten dort durch die Hinhaltetaktik der Semperit-Konzernmutter Continentale die verbleibenden Beschäftigten wie zum Hohn dann auch noch an der »geordneten« Absiedlung der Produktion mitwirken, was damals den früheren Betriebsratsvorsitzenden zu der Erkenntnis veranlasste: »Wir hätten mehr handeln statt verhandeln sollen«.

INFO&NEWS:
Den Pharma-Forschungsstandort in Wien Liesing gibt es seit 1970, damals als zweites Sandoz Forschungsinstitut außerhalb der Schweiz. Im gleichen Jahr fusionieren Geigy und Ciba zu Ciba-Geigy. 1996 schließen sich international, 1997 auch in Österreich, Ciba und Sandoz zur Firma Novartis zusammen. Aus dem Novartis Forschungsinstitut (NFI) in Wien wird 2004 das Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR).
www.novartispharma.at/ueber_uns

WEBLINKS
über Novartis in Österreich
www.novartis.at
Informationen zum Pharmakonzern Novartis
www.novartis.com
Unterstützungsaktion für die Novartis-Beschäftigten
www.gpa-djp.at
Schweizer Gewerkschaft gegen Novartis-Personalabbau
www.unia.ch

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