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Die Seele des Fußballs

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Der Volkssport Fußball hat mit dem Niedergang des Politischen die Herzen der Intellektuellen erobert.

Jeder Lehrbub kann es. Jedes Volksschulkind hat es auf der nächsten Wiese probiert. Und für so manchen Intellektuellen ist Fußball das halbe Leben: Wendelin Schmidt-Dengler, Österreichs Doyen der Literaturwissenschaft, treibt sich mit Begeisterung in Fußballstadien herum - vor allem wenn Rapid spielt. Schriftsteller Robert Menasse ist Ehrenkapitän der Literaten-Fußballmannschaft, sein Kollege Franzobel schreibt nicht nur Bücher über das runde Leder, sondern auch Kolumnen auf der Sportseite des Standard.Wie auch immer man dazu stehen mag: Fußball hat eine wundersame Bedeutsamkeit bekommen, Eingang in alle Lebensbereiche gefunden und ist Gedankenspielfeld für Künstler, WissenschafterInnen und Intellektuelle geworden. Seit 2004 gibt es sogar eine »Deutsche Akademie für Fußballkultur« in Nürnberg.

Erst in den 80er Jahren entwickelte sich der Trend, Fußball zu intellektualisieren. Was aber fasziniert die DenkerInnen an diesem Sport, warum diskutieren sie stundenlang über diesen oder jenen Spieler wie Opernfans über Placido Domingo oder Anna Netrebkov? Ist es der Niedergang des Politischen und der Versuch, die Welt aus dem Alltäglichen, Banalen zu erklären? »Die Welt ist alles, was der Ball ist« - der Titel eines Buches über Fußballtrainer Ivan »Ivica« Osim, ehemals bei Sturm Graz, vermittelt zwar keine Antwort, aber doch eine Idee von der Komplexität dieses Spiels, bei dem 22 Menschen am Ball sind.

Manche haben dieses Realitätsmodell auf verschiedene Kulturbereiche übertragen wie etwa Schriftsteller und Philosoph Klaus Theweleit. Außerdem erfülle die Fußballleidenschaft eine Komplementärfunktion, meint Psychotherapeut, Sigmund-Freud-Privatuniversität-Rektoratsmitglied und Fußballfan Heinz Laubreuter. »Intellektuelle sind Einzelgänger - und Denken ist einsam, kühl, scharf und trennend. Ein Fußballspiel betont das Verbindende und Emotionale. Auch wenn sich die Spieler spinnefeind sind, so halten sie für 90 Minuten wie dicke Freunde zusammen.« Das bestätigt auch Franzobel: »Wenn ich spiele, bildet sich schnell ein Mannschaftsgefühl, eine Art Familienersatz. Man muss sich auf einander verlassen können - es muss Treiber und Schützen geben, Beißer und Raunzer.«

Kindheitsreste

Ein weiterer Hintergrund sei »Fußball als Plattform für Kindheitsreste«, die Intellektuelle sonst nicht ins Erwachsenenleben mitnehmen können. Und schließlich habe Fußball im Gegensatz zu Schisport, Boxen oder Autorennen Spielcharakter, so Laubreuter. Auch die sonst suspekte Entgrenzung im Fußballstadion mag eine Rolle spielen. Eine Erfahrung, wie sie in unserer Kultur sonst immer seltener wird. Franzobel: »Fußball, das sind Reste des Jagdinstinkts. Wenn man der Evolution glauben darf, stecken in uns archetypische Elemente, die wir als zivilisierte Menschen im Griff haben. Wenn der Ball ins Spiel kommt, schaltet sich der Intellekt aus und der Urtrieb ein, sofort laufen wir dem Ball hinterher.« 

BUCHTIPPS
Christoph Bausenwein: »Geheimnis Fußball - Auf den Spuren eines Phänomens«
Die Werkstatt, Göttingen 2006. ISBN: 3-89533-516-9, 17,40 Euro
Franzobels großer Fußballtest
Gerhard Haderer (Illu.)
Picus Verlag 2008
ISBN 3-85452-631-8, 16,90 Euro
Rainer Moritz: »Abseits - Das letzte Geheimnis des Fußballs«
Kunstmann 2006
ISBN 3-88897-429-1, 17,40 Euro
Dirk Schümer: »Gott ist rund. Die Kultur des Fußballs«
Suhrkamp 1998 ISBN 3-518-39351-0, 9,30 Euro
Klaus Theweleit: »Tor zur Welt - Fußball als Realitätsmodell«
Kiepenheuer & Witsch 2004
ISBN 3-462-03393-X, 10,30 Euro
Kurt Palm: »Die Hitzeschlacht von Lausanne, Österreich - Schweiz 1954«
Residenz Verlag, 2008
ISBN 978-3-7017-1496-4, EUR 19,90
Bestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
E-Mail: fachbuchhandlung@oegbverlag.at

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