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Eine Welt, ein Traum

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Wie traurig es in China um Pressefreiheit und Menschenrechte bestellt ist, haben AktivistInnen von Reporter ohne Grenzen vor einem Jahr selbst erlebt.

Eine Welt ein Traum lautet der Slogan der diesjährigen 29. Olympischen Spiele in China. Auch ich habe einen Traum: Bei der Eröffnung am 8. August stehen in Peking die Ehrentribünen leer. Sämtliche geladenen Staats- und MinisterpräsidentInnen bleiben fern, geeint im symbolischen Protest gegen die unverminderte Missachtung der Menschenwürde und des freien Wortes in China. In alle Welt übertragen wird ein Fest der leeren Stühle: als olympischer Triumph der Menschenrechte und damit als tatsächlich würdiger Auftakt der sportlichen Wettkämpfe.

Wie viel Rückgrat, wie viel demokratiepolitische Konsequenz von Spitzenpolitikern tatsächlich zu erwarten beziehungsweise diesen zumutbar ist, wird sich an diesem 8. August erweisen. Spätestens dann wird auch alle Welt wissen, welche Staats- und RegierungschefInnen immer noch Wert darauf legen, persönlich auf der Ehrentribüne Platz zu nehmen und welche es vorziehen, aus demokratiepolitischen Gründen darauf zu verzichten.

Honorar: Ein halbes Jahr Haft

Seit Monaten bereiten sich die Medien auf China anlässlich der Olympischen Spiele vor. Doppelte Berichterstattung ist angesagt: die über die sportlichen Ereignisse und jene über die politischen Geschehnisse jenseits der Tribünen. Doch wie einfach wird es sein, auch kritische Stimmen in China selbst einzufangen?

Längst kursiert unter Chinas Intellektuellen der traurig-zynische Scherz: Das Honorar für ein Interview oder einen kritischen Artikel ist ein halbes Jahr Haft. Fazit: Zum eigenen Schutz und dem ihrer Familien werden sie wortkarg sein. Sofern sie überhaupt noch erreichbar sind. Viele haben inzwischen die innere Emigration gewählt, haben sich zurückgezogen und in Chinas Provinzen praktische Brotberufe angenommen, um sich und ihre Familien durchzubringen. Denn der chinesische Staatssicherheitsdienst ist mit KritikerInnen nicht zimperlich.

Es war der 6. August 2007, als auch ich in dessen Fänge geriet. Stein des Anstoßes war eine Pressekonferenz, die wir, Reporter ohne Grenzen International, in Peking in der Nähe des Verwaltungsgebäudes des IOC, des Internationalen Olympischen Komitees, gegeben hatten. Als Appell an das IOC, auf die chinesische Regierung Druck auszuüben. Druck im Sinne der Freilassung kritischer Intellektueller, JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen, Druck im Sinne der Respektierung der Menschenrechte, die China bei der Vergabe des Austragungsortes zugesichert hatte. Anlass für unsere Pressekonferenz war die von China gemeinsam mit dem IOC für den 8. August 2007 inszenierte Ein-Jahres-Vorfeier der 29. Olympischen Sommerspiele. Schauplatz des Festswar der Platz des himmlischen Friedens im Herzen Pekings, der Tian’anmen. 1989 war hier die damalige chinesische Demokratiebewegung blutig niedergewalzt worden.

Unsere Pressekonferenz verlief zunächst reibungslos. An die 30 JournalistInnen waren gekommen. Die Bilder gingen um die Welt. Glück für uns: Plötzlich eintretende, gewaltige Regengüsse hatten zur selben Zeit das gesamte Verkehrsnetz lahm gelegt. So blieben auch die Beamten des Sicherheitsdienstes in den überfluteten Straßen stecken.

Spät nach Mitternacht jedoch klopften sie an unseren Hoteltüren. Gut eine Stunde lang dauerten die Einzelverhöre, aufgezeichnet von einer Videokamera. Die österreichische Botschaft konnte ich nicht mehr kontaktieren. Gerade noch erreicht hatte ich Cornelia Vospernik, die ORF-Korrespondentin in Peking. Sie hätte Alarm geschlagen, falls ich mich später nicht mehr gemeldet hätte.

Zur Unterschrift genötigt

Ziel der Verhöre waren Selbstanzeigen, gegen das chinesische Recht verstoßen zu haben. Zur Unterschrift vorgelegt wurden uns bei diesen Einzelverhören in chinesischer Schrift abgefasste Protokolle. Klar gemacht wurde uns auch, dass eine Weigerung, diese Selbstanzeigen zu unterzeichnen, Folgen haben könnte.

Also unterschrieben wir. Ungeachtet der Proteste der Polizeibeamten fügte ich den Satz hinzu. I can’t read, what is written here - ich kann nicht lesen, was hier geschrieben steht -, um mich wenigstens so zu distanzieren. Dann ging alles ganz schnell. Mit Blaulicht wurden wir zum Flughafen gebracht und schließlich unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen des Landes verwiesen.

Ja, ich hatte Angst. Diese Angst, die dich befällt angesichts völliger Ohnmacht und dem Wissen, wehrlos ausgeliefert zu sein. Nur zu gut kann ich seitdem die Verängstigung anderer in ähnlichen Situationen nachempfinden.

Auch jene von Asylansuchenden hier in Österreich. Sie bitten um Schutz und werden sofort wie Verbrecher in Schubhaft genommen, in den Knast geschickt. Sie können keine Botschaft um Beistand bitten. Im Gegenteil. Sie können auch nicht sofort einen Anwalt bitten, ihre Interessen zu vertreten. Sie kennen ja keinen, auch beherrschen sie die Landessprache nicht. Ihr Asylantrag ist für sie ein Akt erster wiedergewonnener Autonomie, eine erste kleine Freiheit. Irrtum.

In China war ich lediglich eine unwillkommene Repräsentantin von Reporter ohne Grenzen. Eine unerwünschte Person, die kurzfristig gekommen war und der man sich ebenso kurzfristig entledigen wollte. Asylansuchende hingegen sind Menschen, die nur sie selbst sind und als solche um Hilfe suchen, weil ihr Leben in ihren Heimatländern in Gefahr ist. Genauso in Gefahr sind unzählige chinesische JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen. Viel zu viele sind bereits hinter Gefängnistoren oder in geschlossenen Psychiatrien verschwunden. Immer wieder verschwinden immer mehr.

Völkerverständigung ist Dialog

Als »Treffen der Jungen der Welt« und im Sinne einer wohlgemeinten, sogenanntenVölkerverständigung fanden Ende des 19. Jahrhunderts erstmals Olympische Spiele statt. Viel vom damaligen guten Willen ist inzwischen beinhartem Kommerz gewichen. Aus unserer Sicht jedoch beinhaltet Völkerverständigung auch den möglichen Dialog mit jenen Menschen eines Landes, die die Welt mit kritischen Augen sehen. Und die Pflicht, sich für Menschenrechte einzusetzen.

Um an sie zu erinnern, haben wir, die internationale Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, den olympischen Ringen eine neue Symbolik gegeben. Ringe, dargestellt als Handschellen. Die Sprache dieser Ringe ist für jeden, der sie sieht, sofort verständlich.

Noch einen Traum habe ich: Dass möglichst viele Menschen, PolitikerInnen, ReporterInnen, SportlerInnen unsere Buttons mit dem chinesischen Zeichen für Freiheit tragen. Wir wissen um die Macht der Bilder und die Möglichkeit der Manipulation. Leere Ehrentribünen können bei Fernsehübertragungen ausgeblendet werden und sicher werden die chinesischen TV-Stationen dem eigenen Volk geschönte Bilder vermitteln wollen. Wenn sich jedoch unzählige Menschen das Schriftzeichen Freiheit an ihre Kleidung heften, ist das nicht zu retuschieren. Dieser Appell im Namen der Freiheit wird auch für das chinesische Publikum sichtbar und deutbar sein.

ZUR PERSON
Dr. Rubina Möhring,
Historikerin, leitende Redakteurin ORF/3sat für die Bereiche Kultur und Wissenschaft, Lektorin am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien. Autorin und Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu gesellschaftspolitischen Themen, Vizepräsidentin der internationalen Menschenrechtsorganisation Reporters sans frontières, Präsidentin der österreichischen Sektion Reporter ohne Grenzen. Initiatorin des Press Freedom Award - Signal für Europa für JournalistInnen in Ost- und Südosteuropa.

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