topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Katharina Klee

Standpunkt | In der Armutsfalle

Meinung

Als ich ein Kind war, war eines meiner Lieblingsmärchen Andersens traurige Geschichte vom »Mädchen mit den Schwefelhölzern«. Oft habe ich das Märchen von der kleinen Zünderverkäuferin gelesen und war beruhigt, dass es nur ein Märchen war.

Armut, Elend und Kinderarbeit, wie sie hier und in den Büchern von Charles Dickens und Victor Hugo beschrieben werden, gab es bei uns ja nicht. Richtig arme Menschen habe ich während meiner wohlbehüteten Kindheit in Innsbruck nie gesehen - sicher, es gab Sandler, aber deren Schicksal schien frei gewählt, die »wollten ja nicht arbeiten«; BettlerInnen kannte ich ohnehin nur aus der Literatur und dem Kino. Das Elend war weit weg.

Bettelnde Hände

Das hat sich geändert. Allein heute auf dem Weg zur Arbeit wurden mir sechs Hände flehend entgegengestreckt. Das Betteln um Almosen hat während der EM Hochkonjunktur. Noch mehr Menschen mit Behinderung, Alte, Frauen und Kinder als sonst werden aus ihrer rumänischen Heimat herangekarrt. Ihr Bitten, ihr Singsang machen hilflos. Soll man geben oder nicht? Almosen, von denen die BettlerInnen selbst nicht wirklich etwas haben? Aber muss man nicht teilen, wenn man im Vergleich zu anderen auf die Butterseite des Lebens gefallen ist? Und wenn ja - mit wem? Der Bettlerin mit dem mageren Kleinkind, dem obdachlosen Straßenzeitungsverkäufer, Flüchtlingen, Kinderhilfsprojekten in der Dritten Welt?

Das »Mädchen mit den Schwefelhölzern«, dessen Schicksal mich so berührt hat, hat nicht gebettelt. Es hat gearbeitet, die Hölzchen verkauft. Es gehörte zu den »working poor«, würde man heute sagen, Menschen, die arm sind trotz Arbeit. Ihr Elend ist nicht selbst gewählt. Und sie sind heute - wie wohl auch zu allen Zeiten - sehr oft unsichtbar.

Gegeben hat es sie sicher auch vor 30 Jahren in Innsbruck, jene, deren Einkommen nicht zum Auskommen reichte. Aber erst jetzt weiß ich, dass man die Armen nicht sieht. Dass Armut heute in Österreich vielleicht nicht mehr Hunger und Erfrieren bedeutet, aber Isolation und soziale Kälte. Armut ist keine Schande, und doch schämen sich die Armen. Ihnen fehlt das Geld, um an dem teilzuhaben, was wir Gesellschaft nennen: Lokalbesuche, ein Kinoabend, Kultur, Mode.

Neben einem geringen Haushaltseinkommen treten schwierigste Lebensbedingungen auf wie: die Wohnung kann nicht warm gehalten werden, eine kaputte Waschmaschine wird zum Problem, Armut verursacht Stress. Die Kinder trifft es am härtesten. Mehr als 101.000 Kinder und Jugendliche sind manifest arm. 95.000 Kinder sind armutsgefährdet. Für sie alle gilt: sie haben weniger (Aus-)Bildungschancen, sie sind sozialer Ausgrenzung ausgesetzt, die angespannte finanzielle Situation prägt ihren Alltag - und ihre Zukunft.

Das fängt schon zu Schulbeginn an, wenn Hefte, Bücher und Schreibmaterial gebraucht werden. Und dabei ist dies nur das Notwendigste. Denn in unserer Gesellschaft kann einen jungen Menschen schon die falsche Kleidung zum Außenseiter stempeln. Wer nicht über PC und Handy verfügt, landet schnell im sozialen Out. Armut ist wie eine Fuchsfalle, die schmerzhaft zuschnappt, ohne fremde Hilfe so gut wie gar nicht abzubeuteln ist und selbst dann Narben hinterlässt, die oft ein Leben lang zurückbleiben.

Manchmal wollen Kinder und Jugendliche das nicht akzeptieren, manchmal wollen Eltern ihrem Nachwuchs das Stigma der Armut ersparen. Dann lauert erst recht Gefahr, denn Anschluss an unsere Wohlstandsgesellschaft erhält nur, wer über die nötigen Statussymbole verfügt. Dazu gehören der Besuch im Fastfood-Lokal genauso wie Urlaub, High-Tech-Geräte oder Markenkleidung. Sie sind wie jene Schwefelhölzer, die das kleine Mädchen im Andersen-Märchen entzündet, um kurz an jener anderen reichen, schönen Welt teilzuhaben. Die Verführung ist groß, doch Schulden, Kredite oder der Weg in die Kriminalität machen alles nur noch schlimmer. Die Armutsspirale dreht sich weiter.

Rechte statt Almosen

»Schande Armut. Stigmatisierung und Beschämung« war das Motto der 7. Armutskonferenz im März dieses Jahres. Es ist an uns allen, etwas gegen diese Stigmatisierung und Beschämung zu tun. Und das ist möglich. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung ist nur der erste Schritt in die richtige Richtung, Respekt, Bewusstsein und Bewusstmachung sind die Haltung, mit der wir alle gegen Armut auftreten müssen und können. Wir müssen etwas ändern, bevor das letzte Schwefelholz verbrannt ist und noch mehr Menschen in der sozialen Kälte erfrieren - da helfen nur Rechte und keine Almosen.

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum