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Der Ökonom mit seiner Frau, der russischen Tänzerin Lydia Lopokova.

John Maynard Keynes

Gesellschaftspolitik

Vor 125 Jahren wurde der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts geboren. Seine Ideen haben nach wie vor Gültigkeit.

Am 5. Juni jährte sich zum 125. Mal der Geburtstag von John Maynard Keynes, dem bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Sein wichtigstes Werk, Die »General Theory of Employment, Interest and Money« (»Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes«) schrieb er vor dem Erfahrungshintergrund der »Großen Depression«, jener Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre, die es nach den damals noch vorherrschenden Ansichten der orthodoxen Ökonomen gar nicht geben sollte, deren außerordentliche Dauer und Hartnäckigkeit insbesondere in Europa sie nicht erklären konnten. Keynes zeigte nicht nur, wie es zu einem lang dauernden Zustand der Unterbeschäftigung kommen konnte. Er zeigte mit theoretischen Argumenten, wie die nach herkömmlicher Auffassung angeblich zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht zurückführenden Anpassungsmechanismen, z. B. Lohnsenkungen, von diesem immer weiter wegführen; dass daher die herkömmlichen Therapiemaßnahmen zur Überwindung der Krise diese in Wirklichkeit verschärften. Keynes’ Theorie ist aber ihren wesentlichen Inhalten nicht »Krisenökonomie«, wie seine Gegner behaupten, sondern sie war und ist die Grundlage für einen wirtschaftspolitischen Neubeginn nach 1945, der maßgeblich zu den drei Jahrzehnten (bis Mitte der Siebzigerjahre) bis dahin nie gekannter wirtschaftlicher Prosperität in den Industrieländern beigetragen hat. Es ist in einem so kurzen Beitrag nicht möglich, Keynes’ neue Sichtweisen auf der Ebene der theoretischen Ökonomie zu erklären. Im Folgenden werden einige1 der wesentlichen Konsequenzen der »new economics« für die Wirtschaftspolitik dargestellt.

Nominallohnresistenz

Dass der Staat in der Krise Beschäftigung durch die Finanzierung von Notstandsarbeiten schaffen kann, war in z. B. Österreich bereits 1873 gängige Praxis, ebenso wie die Erfahrung, dass der Staatshaushalt nach Beginn der Krise ins Defizit rutscht, 1930 keineswegs neu war. Nach der traditionellen, damals vorherrschenden Doktrin sollte dieses Defizit aber so rasch wie möglich durch Einsparungen, etwa durch Senkung der Beamtengehälter, und durch Steuererhöhungen eliminiert werden. Das Rezept dieser Doktrin für die Beseitigung der in der Krise gestiegenen Arbeitslosigkeit war einfach, wenngleich schmerzhaft: so wie auf jedem anderen Gütermarkt signalisiert ein Angebotsüberschuss, dass der Preis - in diesem Fall der Lohn - zu hoch ist und gesenkt werden muss. In beiden Fällen widersprach Keynes der herkömmlichen Ansicht scharf. Ein rascher Defizitabbau in der Krise ist nach seiner Theorie keine Maßnahme der Krisentherapie, sondern verschärft die Krise sogar. Ebenso argumentierte er bei den Löhnen, dass eine Senkung der Nominallöhne gar nichts hilft bzw. die Arbeitslosigkeit sogar weiter ansteigen lässt. Was die alte Theorie nämlich nicht berücksichtigt, ist der Umstand, dass sowohl eine Reduktion des Staatsdefizits als auch die massenhafte Absenkung der Löhne die gesamtwirtschaftliche Nachfrage fühlbar weiter reduzieren, und als Konsequenz Produktion und Beschäftigung weiter sinken. Dass die Gefahr sehr real ist, dass ein solcher Prozess erst auf einem sehr tiefen Niveau zum Stillstand kommt, zeigten die Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise.

Das Staatsdefizit erscheint in der Sicht der Keynes’schen Theorie in solchen Situationen nicht als Übel, sondern als notwendiger, positiver Beitrag der Wirtschaftspolitik zur Stabilisierung der Konjunktur. Darüber hinaus schreibt Keynes dem Staat die Aufgabe zu, in Phasen der Wachstumsschwäche der Wirtschaft durch defizitfinanzierte Staatsausgaben, v. a. Investitionen, Impulse für eine Wachstumsbelebung zu geben. Was die Löhne betrifft, so negierte Keynes zwar die Möglichkeit, durch einen Schub an Lohnerhöhungen Wachstum zu generieren, aber ebenso wenig hielt er Lohnsenkungen für eine geeignete Maßnahme. Die Aufgabe der Wirtschaftspolitik besteht nach Keynes zunächst in der Stabilisierung der Gesamtnachfrage zur Dämpfung der Abwärtsbewegung und darüber hinaus auch in der Setzung defizitfinanzierter Wachstumsimpulse zur Hebung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Keynes’ wirtschaftspolitische Denkansätze waren 1936 eine ungeheuerliche Provokation, nicht zuletzt auch in politischer Hinsicht, da sie den herrschenden wirtschaftsliberalen Lehren widersprachen. Seine Rechtfertigung von Staatsdefiziten öffnete einer Ausweitung des Staatsanteils und des Staatsinterventionismus Tür und Tor. Dass er die Widerstände der Gewerkschaften gegen Lohnsenkungen theoretisch rechtfertigte, war ein Sakrileg, weil damit Unternehmern und Kapitalisten erschwert wurde, die immer mehr und mehr fordernde Arbeiterschaft in die Schranken zu weisen. Am meisten provozierte der Umstand, dass Keynes keineswegs Sozialist oder Gewerkschaftsfreund war, man ihm deshalb nicht vorwerfen konnte, dass er von einem »linken« Interessenstandpunkt aus argumentierte. Dementsprechend erweckte der »Verräter« Keynes lange Zeit starke Hassgefühle auf bürgerlich-konservativer Seite.

Makroökonomische Sichtweise

Sozusagen als Nebenprodukt der Keynes’schen Theorie hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Siegeszug der »Keynes’schen Revolution« eine Betrachtungsweise der Wirtschaft durchgesetzt, die man als Makroökonomie, d. h. gesamtwirtschaftliche Sichtweise, bezeichnet, im Unterschied zur Mikroökonomie, die den Wirtschaftsprozess als Gesamtheit der Vorgänge auf der Vielzahl der Einzelmärkte betrachtet. Die Theorie von Keynes beruht wesentlich auf der Betrachtung des gesamtwirtschaftlichen Kreislaufs, der die gesamte Wirtschaft wiederum in große »Aggregate« unterteilt: privater Konsum, (Bruttoanlage-)Investitionen, öffentlicher Konsum, Importe/Exporte auf der »Nachfrageseite«, Lohnsumme und »Gewinne« auf der Einkommensseite. Wichtige theoretische Begriffe, die von Keynes eingeführt wurde, beruhen auf diesen Unterscheidungen, z. B. die Konsumneigung als Anteil des privaten Konsums am Gesamteinkommen, Investitionsquote, letztlich auch der sog. »Multiplikator«.

Diese Betrachtungsweise hat sich als dauerhafte Innovation erwiesen, hinter die auch die Kritiker und Gegner von Keynes, die seit den Siebzigerjahren wieder zahlreich hervortreten, nicht mehr zurück können. So etwa hat die von dem US-Ökonomen Milton Friedman begründete monetaristische Denkrichtung die makroökonomische Kreislaufbetrachtung vom Keynesianismus übernommen.

Kreislaufanalyse

Jedes Land, die EU als Gesamtheit und wichtige internationale Organisationen wie OECD und Währungsfonds betreiben eine makroökonomische Politik auf der Grundlage dieser Kreislaufanalyse. Daraus ergeben sich gewisse Sachzwänge, die von Keynes betonte Nachfrageseite in der Wirtschaftspolitik zu berücksichtigen. Auch wenn der Keynesianismus seit längerem wieder starker Kritik ausgesetzt ist, müssen manche seiner Lehren auch von den Gegnern akzeptiert werden. Wenn diese im Budgetdefizit wieder prinzipiell ein Übel sehen, so müssen sie doch konzedieren, dass man in der Rezession nicht Budget konsolidieren soll (»automatische Stabilisatoren wirken lassen«); oder wenn sie die Löhne für überhöht halten, verlangen sie keine allgemeine Nominallohnsenkung oder Abschaffung der kollektivvertraglichen Lohnbestimmung. Es hat unter der Fahne von Monetarismus, Angebotspolitik oder einfach »neoklassischem Mainstream« eine Bewegung der Gegenrevolution gegeben, die den öffentlichen Sektor wieder zurückdrängen und die Gewerkschaftsmacht beschneiden möchte. Wichtige Errungenschaften der modernen Wirtschaftspolitik sind aber dabei unangefochten und unangetastet geblieben.

Auch hat die jüngste Finanzmarktkrise gezeigt, dass die Notenbanken sich ihrer Verantwortung bewusst sind, indem sie durch massive Geldinjektionen eine Bankenkrise verhindert haben. Gerade bei diesem Anlass muss jedoch betont werden, dass Keynesianismus mehr beinhaltet als Notenbankkredite und - wie jetzt in den USA wieder als Schnellschuss - Steuersenkungen.

Priorität der Realwirtschaft

Neben seiner umfassenden wissenschaftlichen und schriftstellerischen Tätigkeit betätigte sich Keynes auch als Vermögensverwalter von Universitäten, einer Versicherungsgesellschaft und auf eigene Rechnung, und er war mit Ausnahme weniger kritischer Phasen dabei erfolgreich. Gerade weil er die Finanzmärkte auch von dieser Seite her kannte, trat er als Ökonom immer als deren scharfer Kritiker auf und wandte sich mit all seiner großen Überzeugungskraft gegen jede Theorie, die den Finanzmärkten die führende Rolle bei der Steuerung der Wirtschaft zuweisen möchte. Mit ätzender Schärfe analysierte er den fundamentalen Irrationalismus der zwischen überzogen optimistischer und pessimistischer Stimmung schwankenden Börsen.

Seine Perspektive war, die hochspekulativen Segmente des Finanzmarktes im Zuge des von ihm aufgrund steigender Sparquoten langfristig erwarteten Überflusses an Geldkapital langsam durch eine Niedrigzinspolitik auszutrocknen. Niedrige Zinsen für Geldkapital sind zwar schlecht für Finanzinvestoren, aber gut für Investitionen in Maschinen, Anlagen und Infrastruktur, deren Finanzierung dadurch erleichtert wird. Die gesamte Kapitalmarkt- und Geldpolitik sollte darauf hinarbeiten, dass die Finanzmärkte sich an den Funktionsbedingungen der Realwirtschaft orientieren, nicht umgekehrt. Da Keynes meinte, die private Investitionstätigkeit werde dennoch nicht ausreichen, das steigende Sparvolumen zu absorbieren, schlug er eine »Sozialisierung der Investitionen« vor. Darunter verstand er nicht die Verstaatlichung von Industrie- und Dienstleistungsunternehmungen, sondern die langfristige Steigerung der öffentlichen Investitionen in Infrastruktur aller Art, also auch Bildung, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Kultur.

Zurückdrängen der Gier

Das grundlegende Misstrauen gegen die Welt der Finanzmärkte hat bei Keynes nicht nur ökonomische Gründe. Seine ökonomischen Lehren waren in ein umfassendes gesellschaftspolitisches Denken eingebettet, das eine primär auf dem Verlangen nach mehr Reichtum und Geld beruhende Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft ablehnte, ja verabscheute. Keynes war ein Gegner des Kommunismus und sah einzig im Wirtschaftssystem des Kapitalismus die Chance, durch Steigerung von Produktivität und Produktion den durchschnittlichen Lebensstandard langfristig so weit zu heben, so dass sich die Menschen stärker auch den nicht-ökonomischen Interessen widmen können. »Wir werden Zwecke wieder höher werten als die Mittel und werden das Gute dem Nützlichen vorziehen ... Vor allem aber lasst uns die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Aufgaben nicht überschätzen oder ihren angeblichen Notwendigkeiten Dinge von größerer und beständigerer Bedeutung opfern«.

In einer Zeit, in der uns die Werbung täglich suggeriert, dass Geiz geil ist; in der innerhalb weniger Jahre eine Finanzmarktkrise auf die andere folgt; in der die Arbeitslosigkeit unannehmbar hoch ist, haben die Botschaften von John Maynard Keynes 62 Jahre nach seinem Tod ihre Aktualität bewahrt. 

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Deutsche Keynes-Gesellschaft
www.keynes-gesellschaft.de
Homepage von Günther Chaloupek
www.chaloupek.eu/

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