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Foto | Paul Sturm Brain-Drain: Viele gut Ausgebildete emigirieren

Vom Regen in die Traufe

Schwerpunkt

Armut betrifft in Österreich viele Menschen. Wenn hier die Armut auch anders aussehen mag als in den Ländern des Südens oder auch teilweise in Osteuropa.

Armut misst sich immer an ihrem Umfeld. Existenzsicherung hat in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Bedeutung. Für die Bemessung der Armut sind Aspekte wie der durchschnittliche Reichtum eines Landes, aber auch beispielsweise klimatische Bedingungen relevant. Doch Armut tut immer weh und das überall.

Frühjahr 2007. Schauplatz: Eine Lehrveranstaltung an der Germanistik der Universität Legon, Accra/Ghana. Ja, richtig. Germanistik. Deutsche Sprachkenntnisse sollen eine Basis für ein späteres Leben der Studierenden in Deutschland, Österreich und der Schweiz sein. Das Seminar ist voll. Das Thema dieser Einheit ist »Armut in Österreich«: Von Obdachlosigkeit ist da die Rede, von Arbeitslosigkeit und vom harten Überlebenskampf, besonders für AusländerInnen. Ungläubiges Staunen der Studierenden. Als Lektorin gelingt es mir nicht, sie davon zu überzeugen, dass es vielleicht besser ist, die illegale Emigration nach Europa nicht zu wagen. Selbst wenn sie die gefährliche Reise mit Hilfe von Schleppern schaffen, landen sie keineswegs im Schlaraffenland. Doch leider glauben mir die meisten nicht. Mir wird sogar vorgeworfen, ich würde meinen SchülerInnen ein Leben in Europa missgönnen. Schweren Herzens gebe ich meine Überzeugungsmission auf.

Migration in die Armut

Viele Menschen aus weniger reichen Ländern als Österreich können sich nicht vorstellen, dass es hierzulande Armut gibt. Wie oft habe ich in Afrika gehört: »Bei euch in Europa ist doch alles ganz anders, viel besser!« »Ja!«, möchte man dann gerne antworten, »das stimmt wohl, wenn man die Lebensbedingungen in Entwicklungsländern bedenkt.« Das ändert sich aber rasch, denkt man an die Realität der MigrantInnen, vor allem der AsylwerberInnen in Österreich. Viele kommen als Wirtschaftsflüchtlinge in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen und werden von der Tatsache überrascht, dass ihnen auch hier ein Leben in Armut blüht. Als AsylwerberInnen bekommen sie ein kleines Taschengeld, das kaum zum Überleben reicht, und dürfen oft jahrelang keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Da ist der Weg in illegale Arbeitsverhältnisse oft vorprogrammiert. Von Rassismus, sozialer Ausgrenzung und möglicherweise Schubhaft ganz zu schweigen.

Menschen mit Migrationshintergrund sind aber auch dann von Armut betroffen, wenn sie sich bereits fix in Österreich niedergelassen haben. Armut bedeutet ja beispielsweise auch, dass der Zugang zu Bildung erschwert ist. Viele MigrantInnen und ihre Kinder haben schlechte Chancen auf eine gute Bildung in Österreich. Sprachschwierigkeiten sind nur einer der Gründe dafür. Die Wohnmöglichkeiten für MigrantInnen sind äußerst schlecht, dazu kommt, dass diesen Menschen oft Sozialleistungen verwehrt bleiben, weil sie auch aufgrund von Sprachproblemen nicht wissen, was ihnen zustünde. Fakt ist auch, dass Armut häufig »vererbt« wird. Kinder aus armen Familien sind selbst wiederum massiv armutsgefährdet - dies trifft ganz besonders auf Menschen mit migrantischem Hintergrund zu.

Brain-Drain

Menschen, die aus dem Ausland nach Österreich kommen, können kaum in den Berufen arbeiten, die sie zuhause erlernt haben. Nicht selten finden wir in Österreich AkademikerInnen aus anderen Ländern, die in der Reinigung oder sonstigen Hilfsbranchen arbeiten. Politik und Wirtschaft haben offenbar noch nicht erkannt, welches Potenzial dadurch auch in finanzieller Hinsicht verloren geht. Und die Spirale dreht sich weiter.

Im EU-Vergleich verfügt Österreich über relativ wenige AkademikerInnen. Ironischerweise können wir es uns aber offenbar leisten, akademisch gebildetes Reinigungspersonal, BauarbeiterInnen und FabriksarbeiterInnen zu beschäftigen. Schuld daran ist die sogenannte »Brain-Drain« vor allem aus den Entwicklungsländern. Menschen, die in ihren Heimatstaaten in hoch qualifizierten Berufen gearbeitet haben oder Studien abgeschlossen haben, verlassen ihre Heimat, um in Österreich in Berufen zu arbeiten, die ihrer Qualifikation nicht einmal annähernd entsprechen. Warum? Ganz einfach: Die Ausbildungen werden in Österreich schlichtweg nicht anerkannt. Studien belegen, dass oftmals gebildete Menschen emigrieren, denn gerade sie haben Vorstellungen von und Hoffnung auf ein besseres Leben in einem fremden Land. Und die Emigration kostet Geld: Das heißt, die Ärmsten der Armen können sich die Migration ohnehin nicht leisten. Es liegt auf der Hand, dass »Brain-Drain« eine wirtschaftliche, aber auch politische und kulturelle Katastrophe für die Entwicklung der Heimatländer der MigrantInnen bedeutet.

Wien, Frühjahr 2008

Wieder gebe ich Deutschunterricht. Eine meiner SchülerInnen, Carina S., kommt aus Rumänien. Sie ist Diplomingenieurin. In Rumänien hat sie Maschinenbau studiert. Die Liebe war schuld daran, dass sie nach Österreich kam. Ihr Mann stammte aus Wien. Ohne Sprachkenntnisse konnte Carina S. nur als Reinigungskraft Arbeit finden. Die Ehe scheiterte und eine Sehnenscheidenentzündung zwang Carina in einen langen Krankenstand. Sie wurde gekündigt und es stellte sich heraus, dass die Firma sie nur für 20 Wochenstunden angemeldet hatte. Das Arbeitslosengeld war daher dementsprechend niedrig.

»Damit begann mein Weg in die Armut«, sagt Carina heute. Im Moment lebt die Enddreißigerin von der Notstandshilfe, wohnt in einer Wohnung der Caritas, die sie zum Glück bekommen hat, und ist sozial relativ isoliert. Sie kennt nicht viele Leute und kommt auch selten aus dem Haus. Das Geld reicht nicht für Vergnügungen, auch nicht für Kleidung oder einen Friseurbesuch. Jetzt ist Carina dabei, ihr Deutsch auf Vorderfrau zu bringen. Sie hofft, früher oder später gut genug Deutsch zu sprechen, dass sie sich in ihrer erlernten Branche etablieren kann. Bisher hat sie aber nur Ablehnungen bekommen. Ihre jahrelange Tätigkeit als Reinigungskraft ist keine gute Referenz. »Eigentlich träume ich davon, zurück nach Rumänien zu gehen, aber auch das ist schwer«, erzählt sie mir im Unterricht.

Suncica I. aus Serbien hat auch eine Geschichte zu erzählen. Sie ist jetzt knapp über 40 und wohnt seit ungefähr 20 Jahren in Wien. Sie hat ihre beiden Töchter, 17 und 19, in Wien großgezogen. Dennoch fällt es ihr schwer, auch nur über einige persönliche Daten auf Deutsch zu sprechen. Immer schon arbeitet sie als »Zimmermädchen« in einem Hotel. Die Chefin sprach Serbisch und auch zu Hause wurde nur Serbisch gesprochen. So kam sie auch ohne Deutsch zurecht. Als beinahe Analphabetin fällt es Suncica schwer, Deutsch zu lernen. Doch das muss nun sein. Die neue Chefin spricht kein Serbisch. Suncica erzählt mir mit Hilfe einer serbischen Kollegin sichtlich verzweifelt von ihren Sorgen: Sie fürchtet, ihren Job zu verlieren, wenn sie nicht bald besser Deutsch kann. Sie braucht ihr Einkommen von 900 Euro pro Monat jedoch unbedingt. Große Sprünge kann sie damit ohnehin nicht machen. Doch noch weniger Geld wäre fatal.

Für ihre Kinder hat Suncica sich eine bessere Zukunft erhofft. Da das Geld zu Hause nie reichte, haben die Kinder früh die Schule verlassen und zu arbeiten begonnen. Die Lehre haben beide Mädchen nicht beendet. Beide arbeiten, wie ihre Mutter, im Moment in der Reinigungsbranche.

Gesellschaftliches Out

Carina und Suncica entsprechen genau den Armutskriterien der von der Armutskonferenz festgestellten Risikogruppen. Beide sind MigrantInnen, beide sind Frauen, Carina ist Langzeitarbeitslose und Suncica hat ein zu niedriges Einkommen und Bildungsniveau. »Wer arm ist, der ist auch gesellschaftlich im Out«, schreiben VertreterInnen der Caritas. Das trifft auf Carina und Suncica zu. Carina ist viel allein und Suncica kann sich kaum selber um ihre alltäglichen Angelegenheiten kümmern, da die Sprachbarriere für sie fast unüberwindbar ist. Suncica hat ihren Kindern - ungewollt -Armut und Chancenlosigkeit »weitervererbt«. Ihre beiden Töchter sind ebenfalls akut armutsgefährdet, da sie über niedrige Einkommen und kaum Bildung verfügen. Wichtig wäre eine Unterstützung der beiden Mädchen durch die Schule gewesen. Hilfe, Beratung und Motivation zumindest eine Lehre abzuschließen hätten von Institutionen geleistet werden müssen. Doch leider gibt es diese Art von Hilfestellung im österreichischen Bildungssystem kaum.

Es gibt viel zu tun, um Menschen anderer Herkunftsländer, die in Österreich leben, vor der Armut zu schützen. Auf jeden Fall ist wichtig, dass ihnen der Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheitsvorsorge erleichtert wird. Wer in Österreich lebt, der/die muss auch hier arbeiten dürfen und der/die muss auch Anspruch auf sämtliche Sozialleistungen haben. Eine Sensibilisierung der Gesellschaft für die Probleme, vor allem aber auch für die Potenziale der MigrantInnen wird in Zukunft hoffentlich dabei helfen, die Situation der MigrantInnen in Österreich zu verbessern. Carina S. hat übrigens vor kurzem die Chance bekommen, ein Praktikum in einer bekannten Logistikfirma zu beginnen. Wenn da jetzt alles passt, dann wird die Firma sie vielleicht übernehmen. »Das wäre eine Chance, die ich zu nutzen wüsste!«, ist die Diplomingenieurin überzeugt.

WEBLINKS
www.armutskonferenz.at/
Kampagne: Armut tut weh
www.volkshilfe.at/
Statistik Austria:
www.statistik.at/web_de/statistiken/

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