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Die neue Armut wohnt am Rand der großen Städte und bedeutet materielle, räumliche und soziale Ausgrenzung.

Kein Platz im Paradies

Schwerpunkt

In der Kulturgeschichte des Abendlandes hatte Armut viele Gesichter: Arme sind oft in der Rolle von Sündenböcken, sozial und materiell ausgegrenzt.

Alles hat seinen Preis.« Und der ist in unserer Gesellschaft an den Preiszettel gekoppelt. Wie viel kostet was? Um welchen Preis kann sich wer was leisten? Glück wird mit dem Konstrukt Geld und mit Reichtum gleichgesetzt und der Wert des Menschen mit dem Ertrag auf seinem Bankkonto. Wer keines besitzt, bekommt nur schwer Arbeit. Er ist nicht bloß ein armer Teufel, sondern draußen. Materiell und sozial. »In der modernen Hochleistungsgesellschaft werden Armut mit Arbeitslosigkeit und beides mit Faulheit und Schmarotzertum verbunden«, heißt es in der Zeitschrift Psychologie heute.

Urzustand Armut

Das lief nicht immer so: In archaischen Gesellschaften war Arbeitsteilung selbstverständlich und Armut der Urzustand der Menschen. Man war abhängig von der Natur und aufeinander angewiesen, das Sozialgefüge von Gegenseitigkeit und Wechselseitigkeit geprägt, von Hilfeleistungen, von Gaben als Austausch zwischen gleichrangigen Personen. Reichtum zirkulierte ebenso wie die Rollen, welche die Menschen je nach Notlage übernehmen mussten. Oberstes Gebot galt dem Zusammenhalt der Gruppe, die hatte in gefährlichen Situationen sofort abrufbar zu sein. Die Konsequenz dieses System fasst die deutsche Sozialwissenschafterin Dr. Juliane Sagebiel zusammen: »Wo reziproker Austausch abläuft, wo Hilfeleistungen selbstverständlich ausgelöst werden, braucht es weder moralische Vorgaben beim Anblick von Bedürftigkeit noch religiöse Motivationsmuster noch strukturelle Handlungsvoraussetzungen für Hilfe.«

In der abendländischen Antike hatten sich die Unterschiede bereits zwischen oben und unten, zwischen reich und arm bereits ausdifferenziert - freilich anders als heute: Wer in Athen zum Nachdenken Zeit hatte, wurde als reich angesehen, Arbeit hingegen galt als »Fluch der Götter«. Die Römer dachten ähnlich. Und so ist es kein Zufall, dass das lateinische Wort »Labor« neben »Arbeit« auch für »Schmerz«, »Krankheit« und »Armut« steht. Letztere war übrigens dem Gros des römischen Volks nur zu bitter vertraut. Mit »Brot & Spielen« versuchten die Kaiser die hungernde Volksseele bei Laune zu halten. Bei den blutigen Gladiatorenkämpfen im Kolosseum ließ er Brot unter 50.000 BürgerInnen werfen.

Im Christentum vollzieht sich ein radikaler Umdenkprozess: Armut sichert - im Gegensatz zu Reichtum - einen Platz im Paradies, heißt es nun, und so mancher fromme Mann wählt nach dem Vorbild des mittellosen Jesus freiwillig Askese, Einsamkeit und Besitzlosigkeit. Auch die Philosophen propagieren uneingeschränkte Freiheit durch den Verzicht auf Güter. »Ein mächtiger Flügel ist der Flügel der Armut; schnell schwingt man sich mit ihm ins himmlische Reich empor
... der Armut wird das Himmelreich nicht erst verheißen, sondern gleich gegeben.« Versprechungen wie die des Hl. Bernhard von Clairvaux überzeugen aber nur so lange, wie die Armen von der Gesellschaft mitgetragen werden.

Almosen

Und das ändert sich schnell mit dem Feudalismus, wo der Boden zum Produktions- und Machtfaktor wird. Neue Ordnungen bilden sich: Der Feudalherr, der seinen Grundbesitz seinen Vasallen als Lehen gibt, ist zwar zur Fürsorge gegenüber seinen Abhängigen verpflichtet, die wiederum zu Gehorsam und Leistung und Unterordnung angehalten sind. Aber es zeigt sich auch, wie der Grad der Abhängigkeit die Möglichkeiten der Existenz bestimmt. Armut bedeutet nun: über keinen Grund zu verfügen und schutzlos der Willkür der Feudalherrn ausgeliefert zu sein. Allerdings gibt es Gruppenverbände, die Hilfe leisten: die Familie, eine Produktions-, Konsum-, Arbeits- und Überlebensgemeinschaft, bei der bis zu 50 Personen unter einem Dach leben, Gilden in den Städten und religiöse Bruderschaften, Kirchen und Klöster, die Armenspeisungen durchführen.

An die Stelle des gleichwertigen »Gabentausches« der archaischen Gesellschaft ist das »Almosen« getreten, dennoch ist Armsein auch im fortgeschrittenen Mittelalter noch keine Schande und wird als ein von Gott gegebener Zustand anerkannt. Das entspricht den realen Verhältnissen von dazumal: Zwischen 1150 und 1350 entstehen nicht nur viele neue Städte, sie sind auch bis zu 30 Prozent von Mittellosen bevölkert: von Taglöhnern, von fahrendem Volk und Bettelarmen. Letztere umlagern die Kirchenportale in Trauben und die Reichen spenden ihnen Almosen, in der Hoffnung, sich das Himmelreich zu erkaufen. In manchen Städten organisieren sich sogar Bettlerzünfte mit einem Bettlervogt an der Spitze, der mit dem jeweiligen Magistrat verhandelt.

Elend der Städte

Mit dem Vormarsch des frühen Kapitalismus - Geldwirtschaft, neuen Handelsmöglichkeiten, neuen Produktionsformen und in der Folge neuen Erwerbsformen wie Lohnarbeit und Vermögenskonzentration - entsteht im Verbund mit der Landflucht (durch die Pest) großes Massenelend in den Städten, das auch für die herkömmlichen Hilfssysteme der Kirche nicht mehr zu bewältigen ist.

Trotzdem soll die Religion in Zusammenhang mit Armut noch einmal eine gewichtige Rolle spielen. Sie verändert die Position der Mittellosen nachhaltig bis heute: »Wer nicht arbeitet soll nicht essen.« Diesen Satz hatte Martin Luther ursprünglich gegen den katholischen Klerus gerichtet, aber er öffnete den bürgerlichen Tugenden Sparsamkeit, Redlichkeit, Fleiß, Ordnung und damit der Leistungsgesellschaft Tür und Tor. Und Calvin stellte nicht nur die Arbeit als gottgefällig hin, sondern auch den Arbeitserfolg. Das heißt: Ein gottgefälliges Leben spiegelt sich im materiellen Gewinn. Dazu kommt, dass die neuen Produktionsmöglichkeiten Besitz und Geld unabhängig vom Erbe und der Herkunft möglich machen und der Beruf den Status bestimmt.

Damit schwindet das Ansehen des kontemplativen Adels und der Philosophiekundigen Geistlichen, die Angst der Reichen vor dem Jüngsten Gericht verblasst und die Zeit der Barmherzigkeit gegenüber Armen und Bettlern läuft ziemlich schnell ab. »Der Arme hatte nicht mehr das schwere Erdenlos zu tragen; er war arm aus Faulheit, denn Reichtum galt als das Resultat harter Arbeit«, schreibt Utz Anhalt in seinem Aufsatz »Vom Bettler zum Penner«. Mittellose werden nun als arbeitsscheue Müßiggänger angesehen, Bettler kriminalisiert, soziale Ängste vor Eigentums- und Machtverlust auf die Armen projiziert. Sie sind die Stigmatisierten, sie sind die Sündenböcke, die personifizierte Bedrohung, die man in den Griff kriegen will. Also wird die Armenfürsorge säkularisiert - und bürokratisiert. Richtlinien und Gesetze werden geschaffen, die Obrigkeit bestimmt, wer Unterstützung erhält und wer nicht. Arbeitshäuser werden als strafrechtliche Präventivmaßnahme eingerichtet: Erziehung zur Arbeit durch einen harten Alltag und hartes Brot ist die Devise, wobei diese Zwangslager den wirtschaftlichen Interessen entgegenkommen - handelt es sich bei den Insassen doch um billige Arbeitskräfte.

Arm und ausgegrenzt

Trotzdem wächst das Heer der Notleidenden unaufhaltsam, seine Verzweiflung und Wut wird aber auch zum Motor für gesellschaftspolitische Utopien. Sei es, dass das verarmte Volk 1799 in den Straßen von Paris mit dem Slogan »Egalité, Liberté, Fraternité« gegen sein Elend rebelliert, sei es, dass Karl Marx durch die Misere der Armen zur Erkenntnis kam: Armut ist ein Resultat der kapitalistischen Produktionsweise. Industrialisierung, Kolonialisierung, Ausbeutung, zunehmend der Dritten Welt, -

so lässt sich die fortlaufende Geschichte auf Schlagworte reduzieren. Und gegenwärtig dreht sich die Spule weiter. Die Aufteilung in würdige und unwürdige Arme ist geblieben. Individualisierung als Gesellschaftsprinzip produziert nicht nur einen Verdrängungsprozess an die Ränder der Städte und des Bewusstseins, die neue Armut bedeutet materielle, räumliche und soziale Ausgrenzung. Auch in der westlichen Welt klafft die Einkommensschere immer mehr auseinander.

Die Gesellschaft wird in Vollzeitarbeit-BesitzerInnen, atypische und TeilzeitarbeiterInnen geteilt. Eine neue Gruppe von Armen entsteht, mit der Martin Luther nicht gerechnet hat: Die working poor. Sie arbeiten fleißig - doch ihr Lohn reicht nicht zum Leben. 

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Utz Anhalt: Vom Bettler zum Penner
www.sopos.org/aufsaetze/3aa02bc127c40/1.html

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