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Foto | Paul Sturm Leben wir um zu arbeiten,oder arbeiten wir um zu leben?

Arbeiten, um zu leben

Meinung

Seit Jahrhunderten entwickeln die Menschen Analysen, Konzepte und Utopien zum Thema »Zeit und Arbeit«.

Die Grundsatzfrage, ob wir arbeiten, um zu leben oder ob wir leben, um zu arbeiten steht im Hintergrund der Diskussionen der Arbeiterbewegung über den Stellenwert der Arbeit und über das Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Lebenszeit. Als Ausgangspunkt unserer Reise durch mehr als 2300 Jahre Arbeitszeitdebatte können wir die Revolution von 1848 nehmen, wo es zur Forderung nach einem »Recht auf Arbeit« kam. Die technisch bedingten Umstrukturierungen der Wirtschaft hatten in den Jahren davor viele Menschen arbeitslos gemacht und sie damit in Hunger, Elend und Not getrieben.

Als Beispiel dafür möchte ich den Aufstand der schlesischen Weber von 1844 anführen, den Gerhart Hauptmann in seinem Drama »Die Weber« beschrieben und Käthe Kollwitz durch bedrückende Grafiken illustriert hat. Wenn die menschliche Arbeit durch Maschinen übernommen wird und es kein soziales Auffangnetz wie Arbeitslosenversicherung und Umschulungen gibt, dann bleiben den ArbeiterInnen nur mehr der Maschinensturm und die Revolution.

Die Arbeit hoch

Der hohe Stellenwert der Arbeit kommt auch in der Hymne der österreichischen Gewerkschaftsbewegung, dem »Lied der Arbeit« zum Ausdruck: »... Und wie einst Galilei rief, als rings die Welt im Irrtum schlief: »Und sie bewegt sich doch!« So ruft: »Die Arbeit sie erhält, die Arbeit, sie bewegt die Welt!« Die Arbeit hoch! Die Arbeit hoch!«

Erst bei genauerer Betrachtung wird klar, warum die Arbeit in diesem Lied so verherrlicht wird. In den Jahren nach der Revolution von 1848 gab es das Koalitionsverbot, das heißt, Gewerkschaften, Parteien und Vereine waren verboten. Erst 1867 wurde die Gründung von Arbeiterbildungsvereinen möglich. Und so erklärte der Komponist des 1868 entstandenen Liedes der Arbeit, Josef Scheu: »Weil wir nicht von der internationalen revolutionären Sozialdemokratie sprechen durften, sangen wir: Hoch die Arbeit!«

Recht auf Faulheit

12 Jahre später veröffentlichte Paul Lafargue in Paris seine Streitschrift »Das Recht auf Faulheit, Widerlegung des Rechts auf Arbeit von 1848«. Lafargue, der aus einer multikulturellen und multiethnischen Familie stammte, verbrachte seine Kindheit in Kuba, um dann in Paris das Gymnasium zu besuchen und Medizin zu studieren. Der junge Revolutionär musste nach England fliehen, wo er Karl Marx kennen lernte, dessen Tochter Laura er heiratete. Später kehrte er nach Frankreich zurück und war führender Funktionär der französischen und spanischen Arbeiterbewegung. Lafargue kritisierte die Heiligsprechung der Arbeit durch Priester, Ökonomen und Moralisten, die Ausdehnung der Arbeitszeit und die Abschaffung der Feiertage durch den Protestantismus, aber auch die Übernahme des Dogmas der Arbeit durch das Proletariat.

Paul Lafargue erhob folgende Forderungen: die Ausrufung der »Faulheitsrechte« durch das Proletariat, einen drei-Stunden-Arbeitstag, die Nutzung moderner Produktionsmittel und einen Konsum der von ihnen erzeugten Waren durch die ArbeiterInnen selbst.

Erlöser der Menschheit

Lafargue zitiert den griechischen Philosophen Aristoteles, der um 350 v. Chr. einen Blick in die Zukunft wagte: »Wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte, ... wenn so die Webschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen, noch für die Herren der Sklaven.«

Und Paul Lafargue schließt - im Jahre 1880 - mit einem Lobgesang auf die Maschinen, die »feurigen Atems, mit stählernen, unermüdlichen Gliedern, mit wunderbarer unerschöpflicher Zeugungskraft, gelehrig und von selbst ihre heilige Arbeit verrichten ... Die Maschine ist der Erlöser der Menschheit, der Gott, der den Menschen von den »sordidae artes« (den Lohngewerben) und der Lohnarbeit loskaufen, der Gott, der ihnen Muße und Freiheit bringen wird.«

Achtstundentag

Ab 1886 begann in den USA die Bewegung für den Achtstundentag und es war kein Zufall, dass es Paul Lafargue war, der im Juli 1889 den ersten großen internationalen Kongress der Arbeiterbewegung in Paris eröffnete. 400 Delegierte aus 21 Ländern beschlossen eine Resolution für die Durchführung von Kundgebungen am 1. Mai 1890. »Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf«, so lautete die zentrale Parole. Dazu kamen noch Forderungen nach einem Arbeitsverbot für Kinder unter 14, maximal sechs Stunden Arbeit für unter 18-Jährige, einem Nachtarbeitsverbot für Frauen und unter 18-Jährige, 36 Stunden Mindestruhe pro Woche und einem Verbot gesundheitsschädlicher Arbeiten. Ein Argument für den Achtstundentag lautete: dann ist der Arbeiter kein bloßes Arbeitsinstrument mehr, sondern er beginnt Mensch zu sein.
Diese Sehnsucht nach mehr Leben und weniger Arbeit findet sich auch im Text der Achtstunden-Marseillaise:

Wenn hoch im Blau die Lerchen singen
und wenn der Finke schlägt im Wald -
es kann ihr Lied nicht zu uns dringen,
wir schaffen ohne Aufenthalt.
Vom Morgen bis zum späten Abend
zwingt uns die Not in die Fabrik,
uns weigernd jeden Sonnenblick,
uns bei lebend’gem Leib begrabend.
Gebt den Achtstundentag!
Verkürzt der Arbeit Plag!
Zum Siegeszug
die Trommel schlug.
Acht Stunden sind genug!

Kunst des Müßiggangs

Der deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger für Literatur (1946) Hermann Hesse veröffentlichte 1904 einen Essay über »Die Kunst des Müßiggangs« in dem er kritisierte, dass Wissenschaft und Schule bemüht sind, uns der Freiheit der Persönlichkeit zu berauben und uns von Kindesbeinen an den Zustand eines gezwungenen, atemlosen Angestrengtseins als Ideal einzutrichtern, wodurch auch die Kunst des Müßiggangs in Verfall und außer Kredit und Übung geraten ist. »Es liegt mir fern«, so Hermann Hesse, »dem die Persönlichkeit fressenden Betrieb unserer Industrie und unserer Wissenschaft irgendeinen Rat geben zu wollen. Wenn die Industrie und die Wissenschaft keine Persönlichkeiten mehr brauchen, so sollen sie auch keine mehr haben.«

Im Zuge der großen Sozialreformen zu Beginn der Ersten Republik wurden in Österreich 1919 die 48-Stunden-Woche und der Achtstundentag sowie ein bis zwei Wochen bezahlter Urlaub erreicht.

Lob des Müßiggangs

Der britische Philosoph, Mathematiker und Pazifist Bertrand Russell, ebenfalls Nobelpreisträger für Literatur (1950), hat 1932 mit seinem »Lob des Müßiggangs« ebenfalls eine Streitschrift für eine radikale Arbeitszeitverkürzung veröffentlicht. Russell stellt fest, dass die Welt unter der Überzeugung leidet, intensives Arbeiten, und zwar selbst unsinniges und irregeleitetes sei in jedem Falle bewundernswert. Er ist überzeugt, dass der Weg zu Glück und Wohlfahrt in einer organisierten Arbeitseinschränkung zu sehen ist. Die Technik ermöglicht Freizeit und Muße für alle, ein 4-Stunden-Arbeitstag ist möglich, die Zeit wird frei für Bildung, Muße, aktive Freizeitgestaltung, Kunst, Wissenschaft und Lebensfreude.

Anspruch auf Freizeit

Die Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit, Bürgerkrieg, Faschismus und der zweite Weltkrieg haben eine Weiterentwicklung der Arbeitszeitpolitik unterbrochen. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948 sind die sozialen Rechte in den Artikel 22 bis 25 festgeschrieben. Artikel 24 lautet: »Jeder Mensch hat Anspruch auf Erholung und Freizeit sowie auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf periodischen bezahlten Urlaub.«

In der Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders ist es dann in Österreich schrittweise gelungen, eine 40- oder 38,5-Stunden-Arbeitswoche und fünf bis sechs Wochen Urlaub zu erreichen.

Entdeckung der Langsamkeit

In den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts kam die Sehnsucht nach weniger Hektik und Stress auch in der Literatur deutlich zum Ausdruck. So wurden von Michael Endes Zeitgeschichte Momo drei Millionen Exemplare verkauft, das Werk wurde auch in 32 Sprachen übersetzt und verfilmt. »Der Papalagi - Die Reden des Südsee-Häuptlings Tuiavii aus Tiavea« von E. Scheurmann war schon in den 1920er-Jahren ein Bestseller und erlebte zwischen 1978 und 1992 mehr als eine Million Auflage und Übersetzungen in zehn Sprachen. Und schließlich brachte es Sten Nadolnys Roman »Die Entdeckung der Langsamkeit« auf mehr als zwei Millionen verkaufte Exemplare und Übersetzungen in drei Sprachen.

Das neue Rationalisierungspotenzial der EDV und der Mikroelektronik brachte neuen Schwung in die Debatte über die Arbeitszeitverkürzung.

»Wege ins Paradies«

Der aus Österreich stammende und in Frankreich arbeitende Sozialwissenschafter und Publizist André Gorz veröffentlichte 1983 seine »Wege ins Paradies«. Er forderte ein arbeitsunabhängiges Grundeinkommen in Verbindung mit dem Recht jedes Einzelnen auf Arbeit und 20.000 Stunden Lebensarbeitszeit zur Erzeugung der gesellschaftlich wünschenswerten Güter und Dienstleistungen. Damit sollte der Anteil der Zeit, die entfremdende Arbeit in unserem Leben einnimmt, reduziert werden.

In der Freizeit sollten kollektive und kommunikative Einrichtungen in Gemeinden und Wohnvierteln mit Leben erfüllt werden. Außerdem könnten dann auch nichtkommerzielle kooperative Dienstleistungen (Tauschkreise) entwickelt werden.

Nie wieder Arbeit

In seinem eher weniger bekannten Werk »Nie wieder Arbeit - Schivkovs Botschaften vom anderen Leben« hat Reinhard P. Gruber 1989 die Losung neu formuliert: »Ihr habt die Welt begriffen als Arbeitswelt; es kommt aber darauf an, sie als Lebens-Welt einzurichten.«

Dazu passt die Schlagzeile über die Ergebnisse einer Studie über Nachwuchs-Manager: »Arbeiten ist einfacher als leben«. Eine Antwort auf die ständige  Beschleunigung in der Arbeits- und Lebenswelt war 1990 die Gründung des »Vereins zur Verzögerung der Zeit« durch den Klagenfurter Philosophieprofessor Peter Heintel.

Die Mitglieder des »Zeitvereins«, der vor allem in Österreich und Deutschland aktiv ist, verpflichten sich zum Innehalten, zur Aufforderung zum Nachdenken dort, wo blinder Aktivismus und partikuläres Interesse Scheinlösungen produziert.

WEBLINKS
Verein zur Verzögerung der Zeit
www.zeitverein.com
Amerikanische Initiative gegen Überstunden
www.timeday.org

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robert.neunteufel@akstmk.at
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aw@oegb.at

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