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Demonstration der gpa-djp für den freien Sonntag im Handel im Dezember 2006.
GPA-DJP-Vorsitzender Wolfgang Katzian.

Gar nicht königlich

Schwerpunkt

Gerade im Handel herrscht in Sachen Arbeitszeit eine regelrechte VereinbarungsUNkultur.

Ist ihr Mitarbeiter König?« Über diese Frage durfte ich vor einiger Zeit auf Einladung des Handelsverbands mit verschiedenen VertreterInnen renommierter österreichischer Handelsbetriebe diskutieren. Eine provokante Frage und eine spannende Diskussion, denn viele Beschäftigte im Handel sehen sich wachsendem Arbeitsdruck und prekären Arbeitsbedingungen gegenüber und fühlen sich wohl kaum von ihrem Arbeitgeber als KönigInnen behandelt. Ganz im Gegenteil: Nicht bezahlte Überstunden, unterbesetzte Geschäfte und Arbeit auf Abruf sind in vielen Handelsbetrieben an der Tagesordnung.

Meiner Ansicht nach könnten die Beschäftigen im Handel nur dann KönigInnen sein, wenn ihre berechtigten Interessen respektiert würden. Das wiederum hängt ganz entscheidend davon ab, ob Vereinbarungen eingehalten werden - und zwar Vereinbarungen auf allen Ebenen.

Was wir derzeit erleben, ist aber leider eher das Gegenteil. Wir erleben, dass es auf allen Ebenen eine Vereinbarungsunkultur gibt. Vereinbarungen existieren zwar, sie werden aber nur bedingt gelebt. Das beginnt bei den individuellen Vereinbarungen mit den MitarbeiterInnen. Die Menschen werden für eine bestimmte Stundenzahl aufgenommen und arbeiten dann plötzlich viel mehr. Der berühmte Satz aus dem Handel, »Darf’s ein bisserl mehr sein?« gilt da offenbar auch für die Arbeitszeit.

Zahlen und Fakten

In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass gut ein Drittel der anfallenden Überstunden im Handel nicht ausbezahlt werden. Laut Statistik Austria wird in Österreich ein Fünftel aller geleisteten Überstunden nicht abgegolten. Das entspricht im Handel 2,5 bis fünf Prozent der gesamten Gehaltssumme, also rund 200 Millionen Euro. Dieses Geld wiederum fehlt nicht nur den Beschäftigten, sondern auch der Sozialversicherung.

Die meisten dieser nicht bezahlten Überstunden entstehen vor allem durch die Vor- und Nacharbeiten und durch Überstunden, die eigentlich durch Zeitausgleich abgegolten werden sollten. Sehr häufig kann dieser Zeitausgleich aber nie konsumiert werden. Besonders dramatisch ist das bei den 45.800 geringfügig Beschäftigten im Handel, davon 33.800 Frauen. Hier leistet die Hälfte pro Woche mehr als die erlaubten acht bis neun Stunden, ein Drittel arbeitet sogar 20 Stunden die Woche.

Ein weiteres Problem der Vereinbarungsunkultur für die Beschäftigten im Handel ist, dass die MitarbeiterInnen oft erst sehr kurzfristig erfahren, wann und wie lange sie arbeiten müssen. Manchmal wenige Stunden vorher. Oft wird auch ohne die Beschäftigten zu fragen, die vereinbarte Arbeitszeit verändert. Hier scheinen oft MitarbeiterInnen genauso wenig wie FilialleiterInnen über die Rechte der ArbeitnehmerInnen Bescheid zu wissen. Bei einer Schulung für Führungskräfte in einem großen österreichischen Handelsunternehmen, wussten nur die wenigsten Führungskräfte, dass sie ihre MitarbeiterInnen eigentlich fragen müssten, bevor sie deren Arbeitszeit verändern.

Vereinbarungsunkultur

Die Vereinbarungsunkultur im Handel setzt sich fort bis zu Vereinbarungen der Sozialpartner, die schließlich als Gesetze im Nationalrat beschlossen werden. Wenn ArbeitgebervertreterInnen der Wirtschaftskammer mit den ArbeitnehmervertreterInnen der Gewerkschaften eine Vereinbarung über den Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte abschließen, sollte man eigentlich davon ausgehen können, dass auch die ArbeitgeberInnen, diese Vereinbarung einhalten. Die Realität sieht aber im Moment anders aus, wir beobachten, dass die Regelung unterlaufen wird, wo es nur geht. Die ArbeitgeberInnen tricksen mit allen Mitteln, damit der Mehrarbeitszuschlag nicht zur Auszahlung kommt. Dabei betrifft das eine große Gruppe von ArbeitnehmerInnen. Von den mehr als 500.000 unselbstständig Beschäftigten im Handel sind 30 bis 40 Prozent teilzeitbeschäftigt und davon wiederum die Mehrzahl sind Frauen.

Mit Betriebsrat besser informiert

Eine Befragung, die wir am internationalen Frauentag in 1.323 Handelsfilialen durchgeführt haben, zeigt, nur wenige sind überhaupt über den Mehrarbeitszuschlag informiert. Nur in 43 Prozent der Filialen wurden die MitarbeiterInnen von ihrem/r ArbeitgeberIn über den Mehrarbeitszuschlag informiert. 46 Prozent wurden dagegen nicht informiert. In 12 Prozent der Filialen, aus denen uns Rückmeldungen vorliegen, kam es aufgrund der Einführung des Mehrarbeitszuschlages zu Stundenaufstockungen in den Arbeitsverträgen. Besser informiert sind die MitarbeiterInnen in Betrieben, in denen es einen Betriebsrat gibt.

Zunehmende Zentralisierung

Ein weiterer Punkt, der unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen im Handel und auch auf die Arbeit der Interessenvertretungen hat, ist die zunehmende Monopolisierung und Zentralisierung. Je größer ein Betrieb ist, desto eher kommen ArbeitnehmerInnen und deren VertreterInnen in die Lage, mit Personen zu verhandeln, die selbst Angestellte sind, schlecht informiert sind, nur wenig Entscheidungsbefugnisse und oft auch wenig Führungskompetenzen haben. Die Folge ist, dass eine Kommandowirtschaft vorherrscht: Anordnungen der Konzernzentrale werden diktiert und unhinterfragt ausgeführt. Dialog über die Sinnhaftigkeit gibt es oft keinen. Flexibilität existiert nur auf Seiten der Beschäftigten, die auf Abruf bereit stehen müssen - jederzeit arbeitsbereit, flexibel einsetzbar, auch zu ungünstigsten Zeiten. Möglichkeiten selbstbestimmt über die eigene Zeit zu verfügen, hat kaum jemand, nicht einmal die Führungskräfte vor Ort. Diese haben im Gegenteil kaum Kompetenzen und können daher auch keine verbindlichen Zusagen an die MitarbeiterInnen machen.

Good und bad Practice im Handel

Die fehlende Vereinbarungskultur führt letztlich immer wieder dazu, dass Konflikte mit der Gewerkschaft eskalieren. Das zeigte sich bei Schlecker und Kik genauso, wie jüngst bei Interspar. Das Kernproblem liegt auch hier darin, dass grundlegende Vereinbarungen über die Rechte der ArbeitnehmerInnen nicht eingehalten werden - häufig betrifft dies die Vereinbarungen über die Arbeitszeit. Bei den Konflikten mit KiK und Schlecker gab es neben anderen Problemen auch das der nicht bezahlten Mehrstunden. Nun gibt es aber natürlich nicht nur bad practice, sondern auch zahlreiche positive Beispiele, die zeigen, dass es auch gelingen kann, Probleme gemeinsam zu lösen und die Zusammenarbeit auf eine neue Basis zu stellen: So wurde zum Beispiel bei Rewe, nachdem es immer wieder Probleme gab, in Zusammenarbeit mit der GPA-DJP eine Task-Force errichtet, die unter anderem ein Programm zur Führungskräfteschulung entwickelt hat. Vor allem die arbeitsrechtliche Schulung der FilialleiterInnen spielte hier eine große Rolle. Das Lösungsmodell Task-Force macht inzwischen richtiggehend Schule: Auch die Supermarkt-Kette Zielpunkt wird mittlerweile von einer Task-Force durchleuchtet und auch bei Spar begann vor kurzem eine Task-Force zu arbeiten.

Öffnungszeiten

Eines der wichtigsten Themen für die Beschäftigten im Handel ist natürlich das Thema Öffnungszeiten. Bei der Befragung am Frauentag war die gesetzliche Verlängerung der Öffnungszeiten auf 72 Stunden pro Woche eines der meistgenannten Themen, das sich auf die Arbeitszeitgestaltung jedes/jeder einzelnen unmittelbar auswirkt. Auch bei uns als Interessenvertretung war die Freude über die Ausweitung der Öffnungszeiten natürlich enden wollend. Allerdings ist es uns gelungen durch einen begleitenden Kollektivvertrag wichtige Rahmenbedingungen für die Beschäftigten durchzusetzen. Dazu gehört die besondere Entlohnung für Arbeit in den Abendstunden, insbesondere bei so genannten Verkaufsevents. Darüber hinaus wurde festgeschrieben, dass die Beschäftigten Arbeit nach 21.00 Uhr auch ablehnen können. Ein wichtiger Durchbruch gelang auch bei den Kinderbetreuungskosten: In Zukunft kann auf Betriebsebene die Abgeltung dieser Kosten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber als Rechtsanspruch vereinbart werden.

Vom Thema Öffnungszeiten nicht zu trennen ist das Thema freier Sonntag im Handel. Und weil trotz der enttäuschenden Erfahrungen in Deutschland, wo die Geschäfte bei der WM 2006 am Sonntag leer blieben, Teile der Wirtschaft weiterhin an das Big Business am Sonntag glauben wollten, haben wir bereits vor Monaten mit den ArbeitgeberInnen einen Sonderkollektivvertrag für die Fußballeuropameisterschaft ausverhandelt, der die Arbeitsbedingungen für Einsätze an den Sonntagen während der EURO 2008 regelte. Er hat festgelegt, dass eine mögliche Arbeitsleistung am Sonntag freiwillig bleiben musste und begrenzte sie auf jeden zweiten Sonntag. Auch Vereinbarungen über Zuschläge, über die Abgeltung von Fahrtkosten und erstmals auch über die Erstattung der Kosten für Kinderbetreuung wurden getroffen. Für die Handelsangestellten bedeutete das, das in jenen Bereichen, die per Beschluss des/der Landeshauptmannes/frau während der Euro am Sonntag öffnen durften, klare Regeln existierten, die das Ziel hatten unkontrollierbare Entwicklungen möglichst zu verhindern. Wie bei allen Vereinbarungen mit den ArbeitgeberInnen, wird sich jedoch auch hier erst in der Rückschau und bei der Evaluierung zeigen, wie ernst die ArbeitgeberInnen diese Vereinbarungen genommen haben.

Im Übrigen lässt sich hoffen, dass die Wirtschaft für zukünftige Diskussionen die richtigen Lehren aus der Sonntagsöffnung während der Euro zieht. Denn schon jetzt lässt sich erkennen, dass der wirtschaftliche Nutzen der Sonntagsöffnung - wie auch der Handels-Obmann in der Wiener Wirtschaftskammer, Fritz Aichinger bereits in der Presse bestätigt hat1 - weit hinter den überzogenen Erwartungen zurück blieb.

Wir sind uns bewusst, dass das Dreieck Arbeitgeberziele - Interessen der Angestellten und Kundenbedürfnisse ein besonderes Spannungsfeld schafft. Kreative Lösungen zur Zufriedenheit aller Beteiligten sind immer wieder notwenig, auf allen Ebenen. Die GPA-DJP tritt - wie auch bisher - für einen Dialog mit den Handelsunternehmern ein, wenn es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Lösungen von Spannungsfeldern im Handel geht. Grundlage dafür ist aber, dass mit uns getroffene Vereinbarungen auf allen Ebenen eingehalten werden. Gebrochene Vereinbarungen sind oftmals die Grundlage ernsthafter Konflikte, die unnötig Energie, Nerven und Geld kosten - für alle Beteiligten.

WEBLINKS
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter:
EU-SILC bei Statistik Austria
www.statistik.at/web_de/frageboegen/private_haushalte
Bundesministerium für Soziales und Kosumentenschutz
www.bmsk.gv.at

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Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
wolfgang.katzian@gpa-djp.at
oder die Redaktion
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