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Wem die Stunde schlägt

Schwerpunkt

Tausende von Jahren bestimmte der Stand der Sonne den Rhythmus der Menschen. Mit der industriellen Revolution begann das Diktat der Zeit.

Wer mit der Zeit geht, trägt sie am Handgelenk: Perfekte Ästhetik, absolute Präzision und Hochpreisigkeit sind die Insignien. Bestimmte Designermarken haben Kultcharakter, denn bei den Reichen und Schönen heißt es: Zeige mir deine Uhr und ich sage dir, welchen Status du hast.

Die Entwicklung der Uhr zum Prestigeobjekt mit Hochglanzwerbung macht vergessen, wie sehr die Erfindung der Zeitmessung das Leben der Menschheit verändert hat.

Die Uhr gilt als »Schlüsselmaschine des Industriezeitalters«, hat Ordnungsprinzipien und klare Strukturen geschaffen, wurde sowohl zum Kontrollinstrument der Kirche, des Staates und der Wirtschaft, aber auch zum Mittel im Klassenkampf.

Von der »hora« zur Nanosekunde

Überhaupt ist die Entwicklung der Zeitmessung von der groben Einteilung in Jahreszeiten, der »hora«, zu den Nanosekunden des Computerzeitalters ein faszinierendes und Ökonomie und Kultur prägendes Kapitel der Geschichte: »Die Uhr ist Symbol für den fundamentalen Wandel des Zeitbewusstseins im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft,« schreibt Historiker Gerhard Dohrn-van Rossum in seiner »Geschichte der Stunde« über die »genialste und folgenreichste Pionierleistung der Menschheit«.

Sonnenuhr und Lichttag

Über das Diktat der Uhr als Symbol für Geschäfte und Geschäftigkeit hat der griechische Stoiker und Wahrsager Artemidor von Ephesos schon im 2. Jahrhundert n. Chr. nachgedacht: »Die Uhr bedeutet Handlungen, Unternehmungen, Bewegungen und Inbegriffnahme von Geschäften: Alles nämlich, was die Menschen tun, vollbringen sie im Hinblick auf die Stunden.«

Auch griechische Komödiendichter machten die Erfindung der Zeitmessung zum Thema. Die Götter, heißt es in einem Stück, mögen denjenigen verderben, der die Sonnenuhr in die Stadt gebracht hat, weil man sich nicht mehr nach dem Hunger, sondern nach der Essenszeit richtet.

Die Sonnenuhr, ebenso wie die Zwölfteilung des Tages, hatten die Griechen von den Babyloniern übernommen und zierten damit öffentliche Gebäude, Tempel und Privathäuser. Allerdings war die Zeitstruktur anders als heute: Die Stunden wurden nach der Länge des Lichttages eingeteilt, waren von der Jahreszeit abhängig und demzufolge von unterschiedlicher Dauer.

Zunächst war der Schatten das Messinstrument. Genauer: seit 3000 v. Chr. wurde die Länge des eigenen Körperschattens in »Fuß« oder »Schuh« ausgedrückt. So beschwert sich eine Bäuerin in der Komödie »Die Frauenvolksversammlung« von Aristophanes, ihr Mann habe nichts weiter zu tun, als seinen Schatten zu beobachten, bis dieser zehn Fuß lang sei, und sich dann zum Essen zu begeben.

Wasseruhr

Eine andere Form der antiken Zeitmessung ist die Wetter unabhängigen Wasseruhr - Klepshydra (Wasserdieb), Erfindung eines ägyptischen Gerichtsdieners, 1500 v. Chr.: Durch eine senkrechte Reihe kleiner Löcher spritzt Wasser aus einem Toneimer. Er wird bei Sonnenaufgang gefüllt, vom Sinken des Pegels lässt sich die Tageszeit ablesen.

Doch vorläufig verwenden die Griechen noch einfache Gefäße mit einer Auslauföffnung. Bei Prozessen beispielsweise wird die Redezeit der Parteien nicht nach Zeit, sondern nach »Wasser« festgelegt, das heißt, nach der Anzahl von mit Wasser gefüllten Kannen: 3,2 Liter Kanne entsprechen drei bis vier Minuten Redezeit. Die diesem Prinzip nachfolgende Sanduhr bleibt dann bis ins späte Mittelalter Instrument der Pünktlichkeitskontrolle - und für den traditionellen Saunabesuch bis heute.

Zeit zu beten

Ein neuer Abschnitt des Lebens mit gemessener Zeit beginnt mit der Christianisierung. Der römische Kalender wird zwar übernommen aber mit der Liturgie und den Gebetsstrukturen der Klöster verbunden, die einem strengen Rhythmus unterworfen sind. Mehrere Autoren, darunter Max Weber, brachten die - allerdings umstrittene These auf die besonders disziplinierten Benediktiner seien die Begründer des modernen Kapitalismus; sie hätten »den menschlichen Unternehmungen den regelmäßigen, kollektiven Schlag und Rhythmus der Maschine« verliehen.

Gewiss ist jedoch, dass mechanische Uhren seit dem 12. Jahrhundert nach Christus in europäischen Klöstern die Zeitmessung diktieren. Freilich ahnt etwa Papst Johannes XXII 150 Jahre danach, wie sehr das Ticken der Uhr die Welt verändern werde und dass »Herrschaft über die Zeit Herrschaft Menschen bedeutet.« Er droht mit dem Bann über alle, die sich der »Ermittlung von Zeiteinheiten« beschäftigen.

Noch bleibt der Alltag von Zeiteinheiten wie der Länge eines Vaterunser bestimmt, vom Läuten der Kirchenglocken zur Vesper oder zum Ave-Maria. Aber der Übergang von der Zeit der Kirche zur Zeit der Kaufleute, also von der Agrar- zur Industriegesellschaft, lässt nicht auf sich warten. Als Wendepunkt sehen Historiker den Erlass von Frankreichs König Karl V. Er lässt nicht nur eine öffentliche Uhr u. a. am Louvre anbringen, sondern befiehlt, dass die Kirchen von Paris erst nach der Palastuhr läuten dürften.

Arbeitszeit

Dass öffentliche Uhren und moderne Zeitsignale seit Ende des 14. Jahrhunderts den Gang der Sozialgeschichte und die Handlungsweisen der Menschen vorantreiben, ist nur logisch: Die Ausweitung des Handels, von Zinsen und Kredit, Lagerung und Transport erfordern eine gemessene Zeit.

Damit werden Arbeitszeiten für Taglöhner festgesetzt, aber auch unterschiedliche Zeiten für verschiedene Handwerksberufe: Weber, Harnisch- und Taschenmacher dürfen nicht vor neun Uhr morgens und nicht länger als bis neun Uhr abends arbeiten, ist in Städte-Chroniken nachzulesen, Filzhutmacher von vier Uhr früh bis zehn Uhr abends, Schmiede von acht Uhr früh bis fünf Uhr nachmittags. Trink- und Spielgelage müssen um elf Uhr abends beendet sein. Mit Hilfe eines Uhrzeitsignals werden auch Kauf und Verkauf am Marktplatz sehr unterschiedlich geregelt. So dürfen in Dresden des Jahres 1570 vor acht Uhr nur Bürgerliche einkaufen, bis zehn Uhr die Bäcker und in Frankfurt ist es den Juden verboten, vor neun Uhr am Ochsenmarkt zu erscheinen.

Studierzeit

Zeitsignale und Sanduhren diktieren die Dauer der Vorlesungen auch an Schulen und an den Universitäten von Prag über Padua bis Wien, wobei die Morgenvorlesung die »hora doctoralis« genannt wird. Auch für die Folter wird das Zeitmaß von einer Stunde genauer geregelt - Papst Paul III empfiehlt anstelle der Gebete (Ave-Maria, Pater Noster, Miserere) eine Sanduhr zu benutzen.

Spannend ist vor allem der Umgang mit der »verkauften Zeit« von Lohnarbeitern. »Im Hinblick auf die Intensität oder das Ergebnis galt Arbeit für Tagelohn bis ins 18. Jahrhundert als unbemessen«, schreibt Mittelalterspezialist Dohrn-van-Rossum. Die verschiedenen und zunehmend verwirrenderen Signalsystem für die tägliche Arbeitszeit - vom Lichtmaß über das Horengeläute bis zum Zeitzeichen der Stadt wie die Feuerglocke - führte zu einem neuen Signal für die Arbeitswelt: Die Werkglocke, die sowohl Textilbetriebe aber auch Baustellen, etwa die des Londoner Tower reglementierte, hatte Anfang, Pausen und Ende der Arbeit einzuläuten.

Taschenuhr

Die industrielle Revolution beschleunigte den Gang der Dinge und das Bemessen der Zeit: Noch bevor Eisenbahn, Telegraph und Seefahrt am Beginn des 19. Jahrhunderts eine Feinabstimmung der Zeit verlangten und der industrialisierten Welt den Takt vorgaben, erforderten Arbeitsteilung und Einsatz von Maschinen die durchgreifende Synchronisation.

Damit kommt die Taschenuhr ins Spiel, sie wandelt sich im 18. Jahrhundert vom Luxusobjekt zum Gebrauchsgegenstand und notwendigen Utensil der Arbeiter. Zum einen zwingt die Zeitkontrolle im Betrieb die Werktätigen zu einem neuen Takt, zum anderen können sie selbst kontrollieren, ob die Werksglocke oder das Horn nicht falsch eingestellt ist. Mitunter wurde sogar eine exakt funktionierende Fabrikuhr erstreikt.

Hatten sich die FabrikarbeiterInnen anfänglich noch gegen den neuen Lebensrhythmus gewehrt, so begannen die Arbeitervereinigungen das neue Zeitregime bald zu internalisieren. Sie kämpften für Verkürzungen des Arbeitstages, der Überstunden- und Feiertagszuschläge und für angemessene Urlaubszeit, also nicht »gegen, sondern um die Zeit«, beschließt der verstorbene britische Marxist und Historiker Edward. P. Thompson seinen Essay über die Geschichte der Arbeitsdisziplin »Blauer Montag« nicht ohne Zynismus: »Die Arbeitnehmer hatten die Kategorien ihrer Arbeitgeber akzeptiert.«

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