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Arbeit im Schichtdienst

Schwerpunkt

Der menschliche Körper ist auf Schichtarbeit nicht angelegt. Kluge Schichtpläne und gesunde Lebensweise können dem rascheren Verschleiß vorbeugen.

Jede/r Fünfte der 3,4 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen leistet Schichtdienst. Die Mehrheit (523.000 Personen, laut Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria von 2005) hat regelmäßig unregelmäßige Arbeitszeiten. Nur in wenigen Ausnahmefällen gewöhnt sich der Körper an die ständige Arbeit entgegen seinem biologischen Rhythmus. Finanzielle Vorteile oder frühzeitige Alterspension können die körperlichen Schäden kaum beheben.

Die Körperuhr

Praktisch alle unsere körperlichen und psychischen Funktionen folgen einem bestimmten Rhythmus, der wichtigste entspricht einer Periode von etwa 24 Stunden. Mediziner sprechen vom Zirkadianrhythmus, (Latein: circa = ungefähr, dies = Tag), der »angeborenen Hypothese« also, dass der Tag 24 Stunden hat. »Diese zeitliche Organisation des Körpers führt dazu, dass er tagsüber auf Leistung geschaltet ist und nachts auf Erholung«, erklärt Michael Kundi, Leiter der Abteilung Arbeits- und Sozialhygiene der Medizinischen Universität Wien. »Wenn dieses Programm mit den Aktivitäten nicht übereinstimmt - etwa bei Transkontinentalflügen oder bei Nachtdienst - kommt es zur Desynchronisation.« Die Überwindung des Jet-Lag, die Anpassung des Körpers an die Zeitverschiebung, schafft der Mensch in etwa drei Tagen. Dieselbe Zeit, die auch der Rhesusaffe braucht, um seine Körperfunktionen an verschobene Aktivitätsrhythmen anzupassen. »Überraschenderweise«, so berichtet Michael Kundi aus der Forschung, »findet eine Umstellung dieser Art bei Nachtarbeit nicht statt«. Egal wie viele Schichten eingelegt werden. Ein verblüffendes Resultat, das die gängige Ansicht widerlegt, dass möglichst lange Perioden in einer Schicht der Arbeitskraft genügend Zeit zur Anpassung geben.

Immer mehr Frauen

Der »Mann mit Helm«, typischer Schichtarbeiter des Industriezeitalters, hat ausgedient. »Alle kennen jemand, der oder die Schichtarbeit leistet«, sagt Irene Steindl, Mitherausgeberin der Broschüre »Schichtarbeit: Auswirkungen auf Gesundheit und soziales Umfeld.« Immer mehr DienstleisterInnen arbeiten in Schichten, immer mehr Frauen sind darunter. »Viele Betriebsräte und Betriebsrätinnen wollen schon im Voraus sensibilisieren, ehe ein Betrieb Schichtarbeit einführt«, berichtet Irene Steindl vom steigenden Gesundheitsbewusstsein.

Dieses ist unter der Arbeitnehmerschaft selbst oft erst in längerfristigen Prozessen zu wecken: Etwa, was die Ernährungsgewohnheiten betrifft. Physische Leistung und Konzentration werden vorrangig vom Blutglucose- und damit vom Insulinspiegel beeinflusst. Wie schnell der Körper auf Nahrungsaufnahme reagiert, hängt vom zirkadianen Rhythmus ab. Erst nach mehreren Monaten Schichtarbeit passt sich hier der Körper an: Und auch dann nicht vollständig. Rotierende Schichtwechsel kombiniert mit unvorteilhafter Nahrung können so zu schweren Belastungen führen.

Betriebsärzte und Arbeitsinspektorat empfehlen bei Nachtarbeit leichte Küche. Im Allgemeinen werden Schnitzel und Schweinsbraten dennoch vorgezogen. Hier gelte das häufig vorgebrachte Argument, »die Arbeitskräfte selber wollen das nicht,« nur begrenzt. Irene Steindl: »Wichtig ist es, die ArbeitnehmerInnen einzubeziehen und zu erklären, warum gesunde Ernährung gerade bei Schichtarbeit wichtig ist. Es dauert oft ein bis zwei Jahre, bis sie die positiven Folgen selber spüren.«

Zeitgeber Sonnenlicht

Labortiere ändern die Ausschüttung des Hormons Melatonin, die den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers steuert. Beim Menschen kommt es auf die Lichtintensität an, um die Zirbeldrüse zur Melaninproduktion anzuregen. Und dazu ist ein Sonnentag - mit mehr als 100.000 Lux - geeigneter, als künstliche Beleuchtung in Innenräumen, die oft 500 Lux nicht übersteigt. Die meisten sozialen Aktivitäten sind am Tagesrhythmus orientiert: SchichtarbeiterInnen sind - zumindest zeitweise - davon ausgeschlossen.

Oft ist soziale Isolation die Folge. Wie Untersuchungen zeigen, geben viele junge ArbeitnehmerInnen innerhalb der ersten drei Jahren den Job auf, weil sie durch die Schicht nicht nur um den Schlaf, sondern auch den Freundeskreis gebracht werden.

Andererseits schätzen viele SchichtarbeiterInnen die längere Freizeit am Stück, die manche Schichtsysteme bieten. »Der Wunsch nach kondensierter Arbeitszeit und langen Freizeitblöcken muss sehr kritisch betrachtet werden«, meint der Mediziner Michael Kundi. »Man muss darüber informieren, dass kurzfristige, scheinbare Vorteile mit langfristigen Nachteilen erkauft werden.« Die Arbeitsmedizin spricht von einem doppelt so hohen Risiko einer psychiatrischen Erkrankung bei männlichen Schichtarbeitern, das bei Frauen noch etwas höher liegt.

Nachtarbeit ist Mehrarbeit

In der Nacht senkt der Körper seine Temperatur um rund 0,5 Grad Celsius und verlangsamt so die Stoffwechselvorgänge. Es braucht Kraft, um den kalten Motor anzukurbeln. Die Arbeitsbelastung in der Spätschicht, so errechnete der Arbeitsmediziner Rudolf Karazman, liegt bei 113 Prozent, während die der Nachtschicht bereits 156 Prozent beträgt. Eine Mehrarbeit, die längere Regeneration erfordert. Wird sie nicht eingehalten, hilft das Dauerstreß-Hormon Cortisol zwar die Zusatzbelastung auszuhalten, führt aber schließlich zu verstärkter Krankheitsanfälligkeit.

Nacht- und WechselschichtlerInnen schlafen weniger. In jungen Jahren ist der Wunsch, das Leben zu genießen, die Ursache für den Schlafmangel. Mit dem Älterwerden braucht der Körper zusätzliche Arbeit, um die gleiche Leistung zu bringen: Er schläft schlechter, die Körpertemperatur sinkt um cirka 0,3 Grad. Ältere MitarbeiterInnen bräuchten mehr Schlaf, wissen ArbeitsmedizinerInnen. Sie schlafen aber weniger. Und das bedeutet chronischen Cortisol-Stress mit allen dazu gehörenden Folgen. Etwa die neurohormonellen: Adrenalin und Cortisol stumpfen ab, die Alarmzeichen von Körper und Seele werden überhört. Oder die sozioemotionalen: Chronische Müdigkeit gefährdet das Familien- und Privatleben. Die Sehnsucht nach Geborgenheit führt oft zu anderen Süchten. Alkohol ist der erste Tranquilizer, der wie die Benzodiazepane, etwa Valium, am Neurotransmitter-System ansetzt und beruhigt. Arbeitsmediziner Rudolf Karazman: »Alkohol wird zum Schmiermittel der Wirtschaft, indem es den Mitarbeiter aus dem biologisch roten Bereich in die optimale Arbeitsfähigkeit bringt.« Der Preis der Selbstmedikation ist Sucht und Krankheit. »Unter Berücksichtigung humanökologischer Gesetze kann das Gesundheitsrisiko von Schicht- und Nachtarbeit jedoch reduziert werden«, meint Karazman.

Von Alten lernen

Frühpensionierung war lange Zeit hindurch Bestandteil der Personalpolitik. »Das lernende Anpassen an das menschliche Altern wurde dadurch versäumt«, so Karazman. »Der Umgang mit der Zerbrechlichkeit des Alters in Industriewelten mit Schichtarbeit wird in der Regel nur unter dem Defizitaspekt betrieben und nicht als Anerkennung für die Spuren der Schichtarbeit an der körperlichen und psychischen Entwicklung ihrer älteren MitarbeiterInnen.«

Übrigens: Nachtarbeitende Frauen mit Partnern und Kindern sind - wie tagarbeitende Frauen in der gleichen Situation - häufig mehr mit der Versorgung der Familie beschäftigt, als Männer in ähnlicher Lebenslage. Gerade die Nachtarbeit bietet Frauen die Möglichkeit, »volle Familienarbeit« zu leisten. Eine Doppelbelastung die sich mehrfach rächt. 

WEBLINKS
Arbeit und AlterRudolf Karazman, AK und Industriellenvereinigung
www.arbeitundalter.at
Klinische Abteilung für Arbeitsmedizin der Universität Wien.
www.healthwork.at
Institut für humanökologische Unternehmensführung
www.worklab.at
Kostenloser Download der Broschüre »Schichtarbeit: Auswirkungen auf Gesundheit und soziales Umfeld«
www.gewerkschaft.at/chemie/news/news2007/download/schichtarbeit.pdf
Konkrete Empfehlungen für die Schichtplangestaltung:
AK-Consult Tel.: 050/69 06-24 23 DWFax: 050/69 06-624 22 DW
E-Mail: consult@akooe.at

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