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Hand am Beschleuniger: Seit 2004 geben die ÖBB Gas - auf der Strecke bleiben die Schichtarbeiter.
Zugfahren ist Instrumentenfahren. Wichtigstes Instrument ist der Buchfahrplan, in dem Fahrzeiten und Fahrgeschwindigkeiten stehen.

Hammertour

Schwerpunkt

Lokführer werden ist der größte Bubentraum. Aber der Lack blättert ab. Aus den einstigen Herren der Schiene wurden Handlanger von Maschinen.

Hannes drückt an seinem Mobiltelefon herum. »Des is mei Stechuhr«, sagt er. Eine Nummer anrufen, sich durch drei Menüs wählen, und dann bestätigt eine Computerstimme, dass er zum Dienst erschienen ist. Ein kurzer Sprung zum Personaleinsatzleiter an den Computerbildschirm, drei rasche Grüße in den Aufenthaltsraum. Zehn Minuten ist dafür Zeit, steht auf seinem Dienstplan. Dann geht’s zum Bahnsteig 7, wo der Zug kommt, den er weiterfährt. Dafür stehen neun Minuten im Dienstplan. Wenn irgendetwas daneben geht, wird es eng. Eigentlich heißt er ja anders, aber seinen wirklichen Namen will er nicht in der Zeitung stehen haben, und sein Foto auch nicht, sonst … es folgt eine eindeutige Handbewegung. ÖBB-MitarbeiterInnen haben nämlich einen Maulkorb. Aber so wie er daher kommt, in der halblangen Hose, dem T-Shirt, graubraunen Haaren, um die 40, könnte er Hannes heißen, also nennen wir ihn so.

Klassische Lokführerkarriere

Seine »Hammertour« hat er heute. Um 18:12 Uhr ist Dienstbeginn in Linz. 18:31 geht’s mit dem Intercity nach Wien. Dann fährt er mit einer Lok zum Zentralverschiebebahnhof Wien-Kledering. Um 0:57 fährt er mit einem Güterzug retour nach Linz, um 4:09 ist er fertig. Komplett fertig. Ein altes Foto gibt es von ihm, erzählt er: Der vierjährige Hannes auf der Dampflok, mit einer Kaugummi-Zigarette im Mundwinkel. Sein Traumberuf war es, und ist es noch immer. Aber so richtig Freude macht es ihm heute keine mehr. Seinen Kindern rät er zu anderen Berufen.

Hannes hat noch die klassische Lokführerkarriere gemacht: Technischer Lehrberuf, Lokführerausbildung, dann drei bis vier Jahre Verschub und Bereitschaft. »Da stoßt’ da erst amal die Hörner ab.« Dann hat er sich die sogenannten »Pläne« hinaufgedient - die Hierarchie der Lokführer, abzulesen am Dienstplan. Man beginnt im Sechser-Plan, in dem die ödesten Touren sind: auswärts schlafen, nachts fahren, lange Touren. Schritt für Schritt geht es aufwärts, und am Schluss ist man im Einser-Plan und fährt hauptsächlich Tagschichten und Reisezüge.

Diese Hierarchie macht wegen der Belastbarkeit auch Sinn, sagt Hannes’ Betriebsrat Helmut Woisetschläger: »Lokführer bist, Lokführer bleibst, da gibt’s kaum Karriere.« Was bleibt, sind schrittweise steigender Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Dafür zuständig ist der Betriebsrat. Im Rahmen der Arbeitsverfassung werden Schichtpläne und Dienstschichten mit dem Unternehmen verhandelt. Bis 2003 ging das noch gut.

Jetzt kommt die Luft raus

Seit 2004 ist Schluss mit lustig. Mit der Umsetzung des Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetzes fuhren die ÖBB ein hartes Restrukturierungsprogramm an. Die sogenannten »unproduktiven« Zeiten werden gnadenlos gekürzt. So schaffen es die ÖBB heute, mit weniger Personal mehr Züge zu fahren als je zuvor. »Am schlimmsten erwischt’s dich bei einer Doppelnacht und danach einer Tagschicht, da fallst runter von der Maschin«, sagt Hannes. Wer dann krank wird, hat das nächste Problem: Ab 14 Tagen Krankenstand müssen die Mitarbeiter zu einem »Krankenstandsrückkehrgespräch«. Wem das zu oft passiert, dessen Beförderung bleibt liegen. Einer der Punkte, mit der der Betriebsrat gerade vor Gericht geht.

Die klassische Karriere gibt es kaum noch. Neue Lokführer fahren wegen des Personalmangels so schnell als möglich auf die Strecke - »da sitzen’s dann bei 200 km/h am Führerstand mit zittrige Händ’, hinten im Zug 500 Leute«, während die alten Lokführer bis 61 noch immer Nachtschichten haben. Betriebsrat Woisetschläger kramt in seinem Gedächtnis: »Zehn Untaugliche hatten wir heuer schon alleine in Linz«. Wer die Nerven nicht mehr hat, kommt aufs Abstellgleis. Zwei-Zwei-Fünf heißt das Abstellgleis, und meint den betreffenden Paragraphen im Dienstvertrag zur Versetzung in den Ruhestand.

Die ÖBB sehen das naturgemäß anders. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es, dass die ÖBB die Gesetze und den Kollektivvertrag einhalten, und dass es eine Einigung mit dem Betriebsrat gibt auf ein Paket von Verbesserungen. Unter anderen sollten keine Schichten zwischen 23 und drei Uhr beginnen, die Mindestdauer solle sieben Stunden betragen, und ein freies Wochenende im Monat gäbe es auch. Was nicht in der Stellungnahme steht: diese Einigung gibt es erst seit 2007, und das nur, weil die Belegschaft auf die Barrikaden gegangen war.

45 Minuten im Hotel Blau

Hannes erreicht gerade den Zentralverschiebebahnhof Wien-Kledering. »Jetzt hab’ ich meine 45 Minuten gesetzliche Ruhe«, sagt Hannes. Manchmal ist er zu spät: »Da kommst rein, da solltest du schon längst wieder weg sein«. Hannes will sich kurz aufs Ohr legen. »Hotel Blau nennen wir das«, sagt er und deutet auf ein paar blaue Container. »Links und rechts donnern die Züg’ vorbei, und drüber auf der Brücke auch. Dann rennen noch die Kollegen durch, in der Hütt’n machst ka’ Aug’ zu«.

Normalerweise bekommt Hannes seinen Dienstplan acht Wochen im Vorhinein. Aber der bleibt nie so. Bis zu vierzehn Tage vorher gibt es noch Änderungen, und bis zu drei Tage vorher nochmals kleine Änderungen. Mal fällt dir eine Pause weg, mal geht die Arbeit drei Stunden länger als geplant. »Wenn’st auf da Kistn sitzt, derfst dir nix mit Freunden ausmachen«.

Papa beim Schlafen zusehen

Lokführer haben die höchste Scheidungsrate Österreichs. Hannes hat Glück: seine Frau »war so intelligent«, zu Hause bei den zwei Kindern zu bleiben. So konnte er im Beruf bleiben. Die Zeit mit den Kindern ist ihm nicht abgegangen? »Da kommst erst später drauf«, sagt Hannes und sieht weg.

Einzig der Arbeitsplatz sei besser geworden, erzählt Hannes. »Früher auf den 1010er-Loks hast soviel Platz gehabt«, sagt er und zeigt mit den Händen ein wenig mehr als schulterbreit. »Der Sessel war beinhart, und ein jeder Schlag von der Maschin’ ist dir direkt ins Kreuz gefahren.« Heute fährt er Taurus, mit luftgefedertem Sitz und Klimaanlage.

Der neue Wind in den ÖBB zeigt Wirkung: Wer Lokführer werden will, fängt mit 1.300 Euro netto an. »Wenn ich denen in der Ausbildung die Schichten und Karrieremöglichkeiten zeige, gehen viele noch aus der Ausbildung heim«, hört man vom Betriebsrat. Wer bleibt, hat es auch nicht leicht: Mehr als ein Drittel der AusbildungskandidatInnen schaffen die Prüfung nicht. Die Ausbildungszeit wurde auf 36 Wochen gekürzt. In Österreich herrscht akuter Lokführermangel.

»Da war’s«, ruft Hannes aufgeregt. Wir passieren gerade eine Eisenbahnkreuzung. Es war 1985, als die ÖBB-Infrastruktur hier einen Schranken abgebaut und gegen ein rotes Licht getauscht hätten. Ein paar Tage später fuhr Hannes einen Pkw zusammen. Beide Insassen waren tot. »A harte Gschicht, wenn dir des passiert. Fünf Stunden stehst rum und kannst nix tun. Dann kommt die ganze Familie der Opfer. Dann kommt noch die Schwester zu dir und fragt, ob du der Lokführer bist. Da weißt nicht, was d’ sagen sollst.«

Die Klagen über die Infrastruktur, die Anlagen aus Kostengründen abbaut, nehmen zu. Zentralbetriebsratsvorsitzender Roman Hebenstreit erinnert sich: »In Neumarkt-Kahlham hatten wir einen Unfall, den hätte man durch einen simplen Gleismagneten vermeiden können. Aber der Infrastruktur ist das offensichtlich egal, die fünf Millionen Schaden zahlt eh wer anders.« Zum Glück wurde niemand verletzt, »aber der Druck auf die Lokführer wird immer größer, sagt Hebenstreit: »Für jede Kleinigkeit kriegt der Lokführer eine neue Dienstanweisung, und kein Mensch kann sich das alles noch merken.« Eine Umfrage des Betriebsrates aus dem Jahr 2006 zeigte: Über 90 Prozent der Lokführer fühlten sich durch die Menge und Komplexität der Dienstanweisungen verunsichert und hatten Angst. Auch dort mussten die ÖBB viel ändern.

Eine Studie der Beraterfirma Booz Allen Hamilton bescheinigt der ÖBB Traktion internationale Bestnoten in Effizienz und Produktivität. Wer auf Hannes’ Dienstzettel schaut, weiß warum.

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