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Foto | Paul Sturm Zulässige Arbeitszeiten von 60 Stunden und mehr sind sicher kein ambitionierter sozialer Mindeststandard.

EU-Arbeitszeit-Richtlinie

Schwerpunkt

Die neuen Arbeitszeitvorschriften, auf die sich die EU-Arbeitsminister geeinigt haben, stoßen auf Kritik.

Nach jahrelangem Ringen unter den Mitgliedstaaten haben sich die EU-ArbeitsministerInnen nun auf eine gemeinsame Position für eine Änderung der Arbeitszeitvorschriften geeinigt. Gleichzeitig wurde ein Vorschlag für eine Leiharbeits-Richtlinie verabschiedet. Das politische Echo darauf war europaweit sehr unterschiedlich. Was könnte sich ändern mit der neuen Richtlinie - und welche Bedeutung hat dies für das Soziale Europa?

Zunächst einmal: Dass die EU bei den zulässigen Höchstarbeitszeiten in Europa ein Wort mitzureden hat, ist keineswegs neu. So stammt die derzeit noch gültige Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1993 und legt Mindeststandards fest. Im Einzelnen heißt das:

  • Die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit soll nicht mehr als 48 Stunden betragen.
  • Die Durchrechnungsfrist für diese Höchstarbeitszeiten beträgt vier Monate und kann nur durch Kollektivvertrag auf bis zu einem Jahr ausgedehnt werden.
  • Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Richtlinie dahingehend auszulegen, dass auch Bereitschaftszeiten in der Regel als Arbeitszeit gelten, also bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit zu berücksichtigen sind.
  • Opt-Out: Eine Sonderregelung, die ursprünglich für Großbritannien aufgenommen wurde, erlaubt es Mitgliedstaaten, auf die Einhaltung der Höchstarbeitszeitgrenze zu verzichten. Dazu muss zwischen Unternehmen und ArbeitnehmerIn eine individuelle Vereinbarung geschlossen werden: Der/die Beschäftigte »verzichtet« quasi »freiwillig« auf den Schutz der Richtlinie.Was sollte sich ändern?

Vor allem zwei Dinge waren Anlass für die Revision der Arbeitszeit-Richtlinie. Zum einen widerspricht das nationale Arbeitszeitrecht vieler Mitgliedstaaten den Vorgaben des EuGH, auch Bereitschaftszeiten vollständig als Arbeitszeit zu berücksichtigen. Der zweite Punkt betraf das Opt-Out: Aus gewerkschaftlicher Sicht ist diese Klausel eigentlich ein Skandal, erlaubt sie den Arbeitsvertragsparteien - also dem einzelnen Unternehmen und dem/der einzelnen ArbeitnehmerIn - wichtige Vorschriften des Arbeitnehmerschutzes außer Kraft zu setzen. In der Praxis kann auch von der geforderten »Freiwilligkeit« keine Rede sein. So ist es in Großbritannien in einigen Branchen bereits zu einer verbreiteten Übung geworden, ArbeitnehmerInnen bereits bei der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages eine solche Opt-Out-(Verzichts-)Vereinbarung vorzulegen. Selbst die Kommission sprach bereits 2003 in ihrer Mitteilung zur Überprüfung der Arbeitszeit-Richtlinie davon, dass von einer »freien Zustimmung« der ArbeitnehmerInnen keine Rede sein kann.

Deshalb war eine der Hauptforderungen der europäischen Gewerkschaften die Abschaffung des Opt-Out sowie keine längeren Durchrechnungszeiten ohne Kollektivverträge. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) sprach sich weiters für mehr Flexibilität im Interesse der besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben aus. Gefordert wurde konkret ein Recht des Arbeitnehmers auf Wechsel der Arbeitszeit von Voll- auf Teilzeit bzw. umgekehrt, jeweils unter Abwägung mit betrieblichen Interessen. Schließlich wehrte sich der EGB auch gegen eine pauschale Umkehrung der EuGH-Rechtsprechung zu den Bereitschaftszeiten.

Durchwegs Verschlechterungen

Der beim Rat Anfang Juni 2008 gefundene Kompromiss erfüllt keine der gewerkschaftlichen Kernforderungen. Dementsprechend bezeichnet ihn der EGB, der normalerweise durchaus für seine proeuropäische Haltung bekannt ist, als »inakzeptabel«.

Die ArbeitsministerInnen hatten sich nach stundenlangen Beratungen in einer Nachtsitzung schließlich auf einen Kompromiss geeinigt, der insbesondere folgende Punkte umfasst:

  • Inaktive Bereitschaftszeit gilt zukünftig nicht mehr als Arbeitszeit, außer nationale Gesetze oder Kollektivverträge bestimmen das Gegenteil.
  • Künftig kann der 4-Monats-Durchrechnungszeitraum auch durch ein-faches Gesetz auf 12 Monate ausgedehnt werden, bislang ging dies nur durch Kollektivvertrag.
  • Das Opt-Out bleibt bestehen und kann alternativ zur Jahresdurchrechnung eingeführt werden. Es gibt also kein Auslaufen des Opt-Out und kein Beendigungsdatum. Das Opt-Out kann somit durch Gesetz oder durch Kollektivvertrag (neu) eingeführt werden. Die durchschnittliche Höchstarbeitszeit (normalerweise 48-Stunden-Woche) darf im Falle des Opt-Out 60 Stunden betragen bzw. sogar auf 65 Stunden steigen, wenn Bereitschaftszeit als Arbeitszeit gilt und kein Kollektivvertrag gilt.
  • Sonderfall kurzfristig Beschäftigte: Für ArbeitnehmerInnen, die innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums weniger als 10 Wochen beschäftigt sind, gelten nicht einmal 60 bzw. 65-Stunden-Grenzen.

Trotz Weiterführung des Opt-Out gibt es bei den konkreten Anwendungsbedingungen immerhin Verbesserungen. So bleibt es zwar beim Erfordernis einer individuellen Opt-Out-Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, allerdings soll in Zukunft gelten:

  • Diese individuelle Opt-Out-Vereinbarung gilt für maximal ein Jahr und ist erneuerbar.
  • Eine Opt-Out-Vereinbarung darf nicht während der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses unterzeichnet werden.
  • ArbeitnehmerInnen können ihre Zustimmung innerhalb von sechs Monaten oder bis zu drei Monate nach der Probezeit schriftlich widerrufen. Danach kann der Arbeitgeber eine Art Kündigungsfrist der Opt-Out-Vereinbarung von bis zu zwei Monaten verlangen.

Kritische Reaktionen

Neben der ablehnenden Haltung des EGB zeigten sich auch viele Abgeordnete des EU-Parlaments enttäuscht über die Haltung der Mitgliedstaaten und kritisieren die Ignoranz gegenüber der ersten Lesung des Parlaments, in der ein Auslaufen des Opt-Out binnen 36 Monaten gefordert wurde. In allen wichtigen Punkten haben sich die Mitgliedstaaten über die Parlamentsposition hinweggesetzt. Der Europaabgeordnete Harald Ettl (SPÖ) sprach deshalb von einem »deutlichen Rückschritt«, für den er kaum mit einer Zustimmung des EU-Parlaments rechnet. Da die Arbeitszeit-Richtlinie im Mitentscheidungsverfahren verabschiedet wird, muss das Parlament in einer zweiten Lesung seine Position neu festlegen. Dies könnte aus heutiger Sicht bis zum Jahresende geschehen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich die wichtigsten Fraktionen im Parlament noch einmal - wie in der ersten Lesung - auf einen ausgewogenen Kompromiss einigen können, der die Anliegen der ArbeitnehmerInnen ausreichend berücksichtigt. Die sozialdemokratische Fraktion kündigte bereits ihren Widerstand gegen die Beschlüsse der MinisterInnen an. Der EU-Abgeordnete Othmar Karas (ÖVP) bezeichnete den Ratskompromiss als »wichtigen Schritt« und sieht darin die »notwendige Flexibilität« durchaus gewährleistet.

Leiharbeitsrichtlinie

Bis zuletzt weigerten sich einzelne Mitgliedstaaten wie Spanien, Belgien oder Ungarn, die angepeilten Verschlechterungen in der Richtlinie mitzutragen, und kritisierten die politische Einigung scharf. Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein sieht im Ergebnis hingegen einen »Schritt zu einem sozialen Europa«. Schließlich hatte Österreich jahrelang die Anliegen Großbritanniens im Rat unterstützt. Tatsächlich war ein Großteil jener Staaten, die sich seit Jahren gegen das Opt-Out der Briten stellten, zum Schluss offenbar von der Blockadehaltung Großbritanniens und seiner »Unterstützerstaaten« zermürbt und stimmte schließlich der Paketlösung mit der Leiharbeit zu. Diese Leiharbeits-Richtlinie schreibt zwar prinzipiell die Gleichbehandlung von LeiharbeitnehmerInnen mit ihren festangestellten KollegInnen vor, erlaubt aber gleichzeitig zahlreiche Ausnahmen. So bleibt abzuwarten, ob sich die Stellung und Bezahlung der LeiharbeiterInnen in der betrieblichen Praxis verbessern wird.

Die Auswirkungen der angestrebten Änderungen bei der Arbeitszeit könnten EU-weit durchaus unterschiedlich sein. Wie bei allen Richtlinien, die soziale Mindeststandards vorgeben, dürfen diese Mindestbedingungen national nicht unterschritten werden - das heißt umgekehrt: Kein Mitgliedstaat ist verpflichtet, seine allfälligen besseren Standards aufzugeben. In Österreich soll von den Ausnahmeregeln kein Gebrauch gemacht werden. Allerdings gibt es nunmehr das Recht für alle EU-Mitgliedstaaten, dauerhaft das Opt-Out zu nutzen, die 48-Stunden-Grenze aufzuweichen und zulässige Arbeitszeiten von weit über 60 Stunden zuzulassen. Länder, die derzeit keine Absicht zur Einführung des Opt-Out haben, könnten dieses später tun.

Schwarzer Tag für das Soziale Europa

Auch der ÖGB hat nie behauptet, dass sich durch den Kompromiss die Arbeitszeiten in Österreich sofort erhöhen werden, in anderen Mitgliedstaaten wird dies jedoch mit Sicherheit der Fall sein. Die Einigung ist also in erster Linie ein negatives Signal für das Soziale Europa. Zulässige Arbeitszeiten von 60 Stunden und mehr sind sicher kein ambitionierter sozialer Mindeststandard, mit dem die EU wieder Vertrauen bei den ArbeitnehmerInnen gewinnen könnte.

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