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Foto | Paul Sturm Die 35-Stunden-Woche trug wie erwartet zu einer Schaffung von Arbeitsplätzen bei.

Au revoir les 35 heures!

Schwerpunkt

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will die 35-Stunden-Woche hinterrücks abschaffen. Eine Art Nachruf!

Im Februar 2000 führte die damalige französische Regierung der "Pluralen Linken" - eine Koalition aus Sozialisten, Grünen und Kommunisten - unter Premierminister Jospin die 35-Stunden-Woche ein. Sie galt zunächst für Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten, ab 2002 auch für Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten.

Hauptziel dieser neuen Arbeitszeitgesetze war die Umverteilung von Arbeit, denn als die Regierung Jospin 1997 die Wahlen gewann, erreichte die Arbeitslosigkeit in Frankreich 12,6 Prozent.

Um den Unternehmen die Umstellung auf die 35-Stunden-Woche zu erleichtern, schuf man ein umfangreiches Fördersystem. Die Arbeitszeitverkürzung erfolgte bei vollem Lohnausgleich, dabei durfte die Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb nicht gefährdet werden.

Arbeitszeitverkürzung per Gesetz

Im französischen System industrieller Beziehungen überwiegt die staatliche Regulation gegenüber der kollektivpartnerschaftlichen Konsensbildung, da die Kollektivvertragspartner vor allem auf Branchenebene wenig konsensfähig und traditionell sehr konfliktreich sind und die französischen Gewerkschaften zersplittert sind.

Insbesondere bei der Regulation der Arbeitszeit spielte der Staat immer die wesentliche Rolle. Verhandlungen auf Branchenebene brachten keine Ergebnisse. Die Geschichte der Arbeitszeitverkürzung ist daher eine Abfolge von Gesetzesinitiativen. 1936 brachte eine Welle von Streiks und Betriebsbesetzungen die 40-Stunden-Woche und zwei Wochen bezahlten Urlaub.

Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Erst 46 Jahre später wurde diese gesetzliche Wochenarbeitszeit weiter verkürzt. 1982, nach einem Scheitern der Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern auf Branchenebene, verfügte die damalige Linksregierung eine Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 39 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Da die Arbeitszeit nur geringfügig um eine Stunde sank, konnten die kürzeren Arbeitszeiten durch eine Steigerung der Produktivität pro Stunde kompensiert werden.

In den folgenden Jahren wurde die Politik der Arbeitszeitverkürzung zugunsten einer Politik der Arbeitsmarktflexibilisierung wieder aufgegeben.

In den Neunzigerjahren erlebte Frankreich einen schweren Konjunktureinbruch und einen Anstieg der Arbeitslosenrate. Die hohe Arbeitslosigkeit war das dominierende Wahlkampfthema der Wahlen von 1997. Eines der zentralen Wahlversprechen und Bestandteil des Koalitionspaktes war die Arbeitszeitverkürzung. Bei der Umsetzung der 35-Stunden-Woche sprach sich der Dachverband der UnternehmerInnen, wie zu erwarten, dagegen aus. Die beiden größten Gewerkschaften, die CGT (Confédération Générale du Travail) und die CFDT (Confédération Française Démocratique du Travail) unterstützten die Regierung. Da somit abzusehen war, dass Verhandlungen auf Branchenebene von den Unternehmern blockiert würden, führte die Regierung Jospin die 35-Stunden-Woche per Gesetz ein.

Zentrale Bedingung dabei war jedoch die Kostenneutralität, d. h. dass die Produktionsstückkosten durch die Arbeitszeitverkürzung nicht steigen dürfen, da sonst die französische Wirtschaft international an Konkurrenzfähigkeit leiden und die Arbeitslosigkeit erst recht nicht sinken würde.

Vorrangiges Ziel der Regierung war die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Man erhoffte sich eine Senkung der Arbeitslosigkeit um zwei Prozent bzw. einen Beschäftigungszuwachs von 700.000 Arbeitsplätzen.

Umverteilung der Arbeit

Im Juni 1998 wurde dann das erste sogenannte "Aubry-Gesetz" - benannt nach der Arbeitsministerin Martine Aubry - verabschiedet, das die Senkung der gesetzlichen Arbeitszeit ab dem 1. Januar 2000 festschrieb. Ende 2001 waren 53 Prozent bzw. 8,6 Millionen ArbeitnehmerInnen von der Arbeitszeitverkürzung betroffen. Die 35-Stunden-Woche trug wie erwartet zu einer Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Das französische Institut für Wirtschaftsstatistik INSEE schätzte die Zahl der zusätzlich im Privatsektor geschaffenen Stellen für den Zeitraum 1997 bis 2001 auf 300.000, was 18 Prozent der insgesamt in diesem Zeitraum geschaffenen Stellen entspricht.

Kosten der Arbeitszeitverkürzung

Rund ein Drittel der Kosten für die Arbeitszeitverkürzung wurden mittels Produktivitätssteigerung und Flexibilisierung der Arbeitszeit in Form von Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten eingespart. Ein weiteres Drittel sollte durch staatliche Förderungen gedeckt werden.

Rund 30 bis 40 Prozent sollten die Beschäftigten durch Zurückhaltung bei Lohnforderungen beitragen - also eine Lohnmoderation durch Verzicht auf Lohnerhöhungen in den darauf folgenden Jahren und nicht durch unmittelbare Lohnkürzungen. Die Beschäftigten gewinnen somit zwar an Freizeit, verlieren aber an Kaufkraft und eine große Zahl von Arbeitslosen erhält einen Job.

Gesetzliche vorgeschrieben wurde eine Arbeitszeit von 1600 Stunden jährlich, die über das ganze Jahr oder über Teile des Jahres variiert werden kann. Grenzen setzen die längstmögliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden und das tägliche Maximum von zehn Stunden. Die zusätzliche Freizeit kann in Form von ganzen oder halben freien Tagen konsumiert werden. Jedes Jahr können so bis zu 22 arbeitsfreie Tage angespart werden.

Laut Umfragen empfanden und empfinden die Menschen die neue Arbeitszeit als persönliche Verbesserung, vor allem des persönlichen und familiären Lebens. Die Französinnen haben sich daran gewöhnt, sich am schulfreien Mittwochnachmittag frei zu nehmen, viele Menschen fahren am Freitag Mittag ins Wochenende. Beliebt sind auch die angesparten zusätzlichen freien Tage, die für verlängerte Wochenenden und Kurzreisen genutzt werden.

Obwohl die 35-Stunden-Woche bei den ArbeitnehmerInnen einhellig als Erfolg gilt, ist die politische Debatte darüber nie ganz zum Verstummen gekommen. Der amtierende Präsident Nicolas Sarkozy bezeichnete das Gesetz als "ökonomische Katastrophe" und machte es mehrfach für die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs und die fehlende Kaufkraft der Franzosen verantwortlich. Sarkozy verfolgte dabei aber einen Zickzackkurs, um es einerseits den UnternehmerInnen recht zu machen andererseits um Rücksicht auf die nach wie vor äußerst positive Volksmeinung zu nehmen. Seine Polittaktik besteht daher darin, die gesetzliche Arbeitszeitregel formell beizubehalten, sie aber faktisch außer Kraft zu setzen. Sarkozy spricht von einer "Reform" der 35 Stunden.

Im Frühjahr dieses Jahres brach der Streit um die 35 Stunden offen aus, und das, obwohl  Präsident Sarkozy im Jänner nach einer heftigen Debatte anhaltender Kritik ausgesetzt war und sich schließlich zu einem Rückzieher und der Zusicherung veranlasst gesehen hatte, die legale Arbeitszeitdauer in Frankreich nicht ändern zu wollen.

Mehr Überstunden möglich

Im April einigten sich Sozialpartner und Regierung schließlich auf eine gemeinsame Haltung: Diese sieht unter anderem vor, dass Firmen mehr Überstunden machen können und dass diese über die 35 Stunden hinausgehende Arbeitzeit steuerlich entlastet werden.

Faktisch soll nun jedes Unternehmen selbst über die Arbeitszeit entscheiden und die 35-Stunden-Woche abschaffen können. Damit würden die 35 Stunden zwar als Gesetz weiterhin bestehen, in der Praxis könnten sie aber leicht umgangen werden. Als im Mai die Situation dann eskalierte, veranstalteten die Gewerkschaften einen nationalen Protesttag, für den Erhalt der 35-Stunden-Woche und auch gegen Änderungen im Rentensystem. Dieser Aktionstag verlief sehr erfolgreich, laut CGT waren in ganz Frankreich rund 700.000 Menschen auf der Straße, 70.000 allein in Paris. Es kam zu landesweiten Störungen durch Streiks und im Nahverkehr.

Zu Tode reformiert

Ein weiterer Aktionstag im Juni zeigte allerdings bereits, dass die Protestbewegung uneinig war und zu bröckeln begann, außer der CGT und der CFDT riefen keine anderen Gewerkschaften zur Teilnahme auf. Es steht zu befürchten, dass trotz angekündigter Aktionstage im Herbst Präsident Sarkozy sein Ziel erreicht hat und die 35-Stunden-Woche nur mehr auf dem Papier besteht, da sie von den Unternehmen auf einfache Weise außer Kraft gesetzt werden kann. Der Protestbewegung fehlt es an Einigkeit. Wenn es der französischen Linken und den Gewerkschaften nicht gelingt, das Ruder nochmals herumzureißen, dann ist dieses Gesetz zu Tode reformiert.

WEBLINKS
Labournet zur 35-Stunden-Woche
www.labournet.de/internationales/fr/35stundenwoche.html

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