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Im Abwehrkampf

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Die psychischen Belastungsproben für BelegschaftsvertreterInnen wachsen täglich. Einer Untersuchung zufolge leidet jede/r Fünfte an emotionaler Erschöpfung.Die psychischen Belastungsproben für BelegschaftsvertreterInnen wachsen täglich. Einer Untersuchung zufolge leidet jede/r Fünfte an emotionaler Erschöpfung.

Oft bin ich mit berührenden persönlichen Schicksalen konfrontiert. Wenn ein Kollege kommt und von seiner schweren Krankheit berichtet, zum Beispiel«, erzählt Konstantin Latsunas aus seinem Alltag als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der BAWAG-P.S.K, »so belastet das natürlich, doch damit lernt man umzugehen und sich zu schützen.«

Schlaflose Nächte
Wenn es sich jedoch um Krisensituationen wie Personalabbau handelt, dann beginnt für so manchen engagierten Betriebsrat eine Zeit der schlaflosen Nächte. »Das arbeitet in dir weiter. Du liegst im Bett und kannst nicht schlafen, weil du weißt, dass es am nächsten Tag wieder eine Versammlung gibt, ohne dass du wirklich etwas machen kannst«, sagt Latsunas, der seit fünf Jahren seine KollegInnen vertritt, und diese Erfahrung selbst gemacht hat, als die Belegschaft der BAWAGP.S.K mit dem Plan eines massiven Personalabbaus konfrontiert wurde. Konkret soll das Unternehmen bis 2009 um 300 bis 400 Angestellte reduziert werden.

Grenzen der Betriebsratstätigkeit
Zwar ist es dem Betriebsratsteam bis dato gelungen, verschiedene Sozialpakete zu entwickeln und Kündigungen zu vermeiden, aber im Moment waren alle gleichermaßen schockiert: »Es ist emotional sehr belastend, wenn viele Menschen mit ihren Ängsten auf einen einstürmen und hohe Erwartungen haben. Tatsächlich kann man nicht alles regeln, die Welt nicht retten, man kann manchmal einfach nur da sein, mehr nicht - das muss man verarbeiten. Das ist ein Lernprozess«, zieht Latsunas eine bittere Bilanz über die Grenzen der Betriebsratstätigkeit: »Uns ist die Hilflosigkeit jedenfalls so an die Nieren gegangen, dass einige im Team sich mittels Supervision Unterstützung geholt haben.«

Zwar sei man durch die beiden Ausbildungskurse der GPA-djp gewerkschaftspolitisch bestens gerüstet, was aber fehle, meint er, sei psychologisches Werkzeug. »Ich persönlich hatte Glück und konnte mich mit einer Kollegin austauschen. So habe ich nicht alles nach Hause getragen, denn irgendwann will die Partnerin auch ihre Ruhe haben.«

Alle stehen unter Druck
Latsunas Befindlichkeit ist ein Beispiel von vielen. Und solche Krisen sind nur ein herausragender Aspekt und die Konsequenz einer sich rasant verändernden Arbeitswelt. Die Globalisierung bringt neue Management- und Produktionskonzepte, Flexibilisierung der Zeit, leistungsabhängige Entlohnung und anderes mehr. Das Klima ist härter geworden, es weht ein kalter Wind. In den Unternehmen zählen ausschließlich Zahlen und das, was messbar ist. Der Druck nimmt überall zu. Von den MitarbeiterInnen wird immer mehr verlangt, Zeit zum Durchschnaufen, wie früher, gibts keine mehr. Latsunas: »Wir als Betriebsratskörperschaft haben noch keine Lösung gefunden, diesen Druck von den Kollegen wegzunehmen. Auch die Führungskräfte stehen unter Druck und geben ihn weiter.«

Feuerwehr und Aufsichtsrat
Dementsprechend wandelt sich auch die Rolle des Betriebsrats. Immer öfter stehen ArbeitnehmervertreterInnen vor der Situation, schnell und effizient reagieren zu müssen: Bei einer Kündigung, aber auch bei Einstellungen müssen sie sich in kurzer Zeit, also in maximal sieben Tagen, umfassend Informationen beschaffen, mit allen Beteiligten sprechen, termingerecht eine Sitzung einberufen, relevante rechtliche Beschlüsse aufzeigen und auch formulieren.

Die Liste der Anforderungen wird immer länger: Sie müssen nicht nur Feuerwehr spielen, sie müssen unterschiedliche Interessen auf verschiedenen Ebenen vertreten - vom Aufsichtsrat über Gewerkschaft bis zur Arbeitnehmerbank. Sie sollten Allroundtalente sein, das heißt ansatzweise ArbeitsrechtlerInnen, ArbeitsmedizinerInnen, Betriebssoziologen/-soziologinnen, ProjektmanagerInnen, OrganisationsberaterInnen - um nur einiges zu nennen sein. Und sie müssen sich mit sogenannten weichen Fortbildungsinhalten anfreunden, die da sind: Konflikttraining, Themenbildung, Supervision und Coaching.

»Gleichzeitig ist es für ArbeiternehmervertreterInnen zunehmend schwierig, ihren betriebspolitischen Ort zu finden und eine angemessene Rollenidentität zu entwickeln«, schreibt Erhard Tietel in der Zeitschrift »Supervision« in seinem Artikel über »Betriebspolitik im Wandel: Betriebsräte als Grenzgänger«.

Ansturm an Erwartungen
Ähnlich skizziert auch ÖGB-Mobbingberaterin und Supervisorin Ilse Reichart die wachsende Belastung, die schon in der Funktion des Betriebsrates beginnt, der den Einzelnen betreuen soll und das Ganze nicht aus dem Auge verlieren darf. Und der eine Schnittstelle zwischen Belegschaft, Geschäftsführung und Gewerkschaft bildet. »Dies ergibt nicht zu unterschätzende Spannungs- und Konfliktfelder«, so Reichart.

Die psychische Anforderung, einem Ansturm an Erwartungen ausgesetzt zu sein, engagiert zu sein, helfen zu sollen, und unterm Strich nur wenig bewegen zu können, führt mitunter direkt in emotionale Erschöpfung bis zum Burn-out oder zu psychosomatischen Beschwerden - womöglich mit Endstation Herzinfarkt. In einem Fall beispielsweise erlitt ein Betriebsrat einen Hörsturz: »Ich konnte nichts hören« - kommentiert er heute die psychische Überforderung in einer angespannten betrieblichen Situation doppeldeutig.

Psychische Belastungen
Gestützt auf seine jahrelange Erfahrung hat Norbert Gulmo, Betriebsschlosser und Betriebsratsvorsitzender in einem großen deutschen Privatunternehmen, nebenbei ein Psychologiestudium abgeschlossen, seine Doktorarbeit den psychischen Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten von Arbeitnehmervertreterinnen gewidmet und jene Stressfaktoren, die gesundheitsschädlich und bei Betriebsräten verstärkt vorzufinden sind, herausgearbeitet.

Ganz oben auf der Liste der psychischen Belastungsproben befindet sich die »gedankliche Weiterbeschäftigung«. »Je intensiver diese ist, desto höher die Beeinträchtigung von Gesundheit und Befinden«, stellt er fest, weil dieses fortwährend »Im-Kreis-denken« auch dazu führt, dass die betroffenen Personen »häufiger und mehr Symptome an sich« selbst wahrnehmen. Als weitere schädigende Faktoren nennt Gulmo »Zeitdruck, soziale Stressoren und Unsicherheit«. Ein Triumvirat, das den Betriebsrat ins Out treiben kann, vor allem, wenn die zentrale Ressource »Vertrauen« und somit die soziale Unterstützung der Belegschaft zu wenig manifest ist. Damit wächst nämlich die Angst, in die »Verlustspirale« zu geraten - gemeint sind damit Vertrauensverlust und Verlust des Amtes und somit langfristig auch des Kündigungsschutzes. Gefürchtete oder eingetretene Verluste können zu emotionaler Erschöpfung führen - und das gar nicht so selten: Gulmos Untersuchung zufolge ist jedes 5. Betriebsratsmitglied davon betroffen, wobei Frauen stärken daran leiden und mehr psychosomatische Beschwerden aufweisen als Männer.

Sozialer Stress
Wie auch immer die BetriebsrätInnen ihre Aufgabe anpacken, so kristallisiert sich als Gemeinsamkeit und Fazit der Gulmo-Arbeit heraus: dass ArbeitnehmervertreterInnen einem »signifikant höheren sozialen Stress ausgesetzt sind, aber gleichzeitig weniger soziale Unterstützung« bekommen. Letztere gehört für Gulmo zu den wichtigsten Ressourcen eines Betriebsrats, einer Betriebsrätin.

Im Gegenteil, je größer die Verunsicherung der Belegschaft, desto schneller heißt es: »Der macht eh nix für uns«, meint Supervisorin Reichart. Umso mehr plädiert sie für Förderung von Zusammenarbeit der BetriebsrätInnen untereinander, für den Aufbau von Netzwerken, für Prävention und Prophylaxe. BetriebsrätInnen müssen vor allem wissen, wie man sich wofür am besten Hilfe holt. Denn viele fühlen sich in der veränderten Arbeitswelt allein gelassen mit ihrer sozialen Verantwortung, und übrig bleibt das Gefühl, hilflose HelferInnen zu sein, die den Anforderungen nicht mehr nachkommen können.

Im Abwehrkampf
»Wir BetriebsrätInnen von heute kennen die guten Zeiten, in denen InteressenvertreterInnen Rechte erstreiten konnten, bestenfalls vom Hörensagen: Wir führen nur noch einen Abwehrkampf«, sagt Latsunas. »Dabei ist ein Betriebsrat idealistisch und möchte die Welt verbessern. Aber wir kämpfen nicht mehr um soziale Errungenschaften wie in den Sechziger- und Siebzigerjahren, sondern versuchen mühsam, das Erreichte zu bewahren. In dieser Situation befinden sich alle sozial Denkenden in Europa. Trotzdem erringen wir immer wieder kleine Erfolge, und dann weiß man wieder, warum man sich das Ganze antut.«

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