topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Zum Vergrößern aufs Bild klicken Zum Vergrößern aufs Bild klicken

Ungleiche Einkommen

Wirtschaft&Arbeitsmarkt

Oder: Was uns eine OECD-Studie über Ungleichheit und über österreichische »Qualitätszeitungen« sagen kann.

Kürzlich gab der Chefredakteur einer österreichischen Tageszeitung mit hohem, nicht immer eingehaltenem Qualitätsanspruch Einblick in sein unkompliziertes Weltbild: In den USA existiere eine »größere soziale Mobilität« als in den deutschsprachigen Ländern. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass ein »weniger dichtes sozialstaatliches Netz« den sozialen und ökonomischen Aufstieg zu einer »Überlebensfrage« mache. Diese vollmundigen Behauptungen, an denen nur richtig ist, dass das amerikanische Sozialsystem lückenhaft ist, wurden offenbar ohne Kenntnis aktueller einschlägiger Literatur aufgestellt. Andernfalls wären sie wohl selbst aus dieser Feder nicht so leicht geflossen.

Aus Ungleichheit wird Armut

Doch der Reihe nach: Die OECD hat vor wenigen Wochen unter dem Titel »Growing Unequal?« eine umfassende Studie der Einkommensungleichheiten1 in ihren Mitgliedsstaaten veröffentlicht. Deren Kernaussage ist, dass in den meisten Ländern die Verteilung der Einkommen seit Mitte der 1980er-Jahre ungleicher geworden ist. In Europa war dies in allen Ländern mit Ausnahme von Frankreich, Griechenland, Spanien und Irland der Fall. Der aktuelle Stand der Ungleichheit weist allerdings von Land zu Land große Unterschiede auf. Der Gini-Koeffezient2 im Land mit den größten Disparitäten (Mexiko) ist mehr als doppelt so hoch wie in jenem mit den niedrigsten (Dänemark). Mit Ausnahme von Australien, das knapp unter dem OECD-Mittelwert liegt, weisen alle nicht-europäischen Mitgliedsstaaten eine überdurchschnittlich hohe Ungleichheit der Einkommensverteilung auf. Österreich liegt, was das Niveau der Ungleichheit betrifft, klar unter dem Durchschnitt. In den 1990er-Jahren ist sie hierzulande aber überdurchschnittlich angestiegen.
Aus Ungleichheit wird (relative) Armut, wenn das individuelle Einkommen einen - je nach Definition unterschiedlich hohen - Prozentsatz des Medianeinkommens unterschreitet. Ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung im OECD-Raum haben ein Einkommen von weniger als der Hälfte dieses Indikators. Parallel zur Einkommensungleichheit insgesamt hat auch die Armut zugenommen - mit Ausnahme jener der PensionistInnen. Hohen Armutsrisiken sind AlleinerzieherInnen (meistens Frauen) und deren Kinder sowie Arbeitslosen-Haushalte ausgesetzt.
Ein aufrechtes Vollzeitbeschäftigungsverhältnis mindestens eines Haushaltsmitglieds ist noch immer der beste Schutz vor Verarmung, Arbeit an sich aber schon lange nicht mehr. So gibt es im OECD-Schnitt in der Hälfte aller armen Haushalte ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis. Vor dem Hintergrund allgemein sinkender Lohnquoten haben sich allerdings die Arbeitseinkommen auseinander entwickelt, bei Vollzeitbeschäftigten jedoch eher auf Kosten der mittleren zugunsten der SpitzenverdienerInnen - bei Männern wie Frauen.3 Echte Armutsgefährdung geht von der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse aus, deren ArbeitsplatzinhaberInnen in der Regel einen geringeren Stundenlohn erhalten als in einem Normalarbeitsverhältnis und - im Falle von Teilzeit oder bei nicht nahtloser Aneinanderreihung temporärer Arbeitsverhältnisse - auch eine geringere Arbeitsstundenzahl aufweisen.

Armut ist relativ

Relative Ungleichheit, selbst wenn sie ausgeprägt ist, bedeutet nicht automatisch absolute Armut im Ländervergleich. So würde etwa das Einkommen4 eines nach gängiger Definition Armen im ungleichen, aber wohlhabenden Japan dagegen in der insgesamt weniger reichen Slowakei für eine gehobene Mittelstandsexistenz reichen. Wenn aber die Disparitäten innerhalb eines Landes zu groß werden, dann nützt den Armen selbst hohes durchschnittliches Wohlstandsniveau nichts. Ein US-Bürger in der Gruppe der untersten zehn Prozent verfügt kaum über ein höheres Einkommen5 als ein Tscheche der gleiche Kategorie, obwohl das durchschnittliche amerikanische Pro-Kopf-Einkommen mehr als doppelt so hoch ist, und er hat nur die Hälfte eines armen Norwegers zur Verfügung. In jedem OECD-Staat mildern Systeme der sozialen Sicherheit die Ungleichheiten in den Markteinkommen und vermindern Armut, auch wenn das Ausmaß der Anstrengungen sehr unterschiedlich ist. Ihre Wirksamkeit weist, ebenso wie die umverteilende Wirkung der einzelnen Steuersysteme, große Unterschiede von Land zu Land auf. Gleiches gilt für den Nutzen im Vergleich zum Aufwand. Für Österreich lässt sich sagen, dass die heimische Sozialquote im internationalen Spitzenfeld liegt, der umverteilende Effekt sowohl unseres Steuer- als auch unseres Sozialsystems sich dagegen nur etwa im Durchschnitt bewegt.

Top 3: Mexiko, Türkei, USA

Soweit die wichtigsten der nüchternen Fakten. In einer politischen Wertung scheiden sich wohl die Geister, wie weit Einkommensungleichheiten gerechtfertigt, ja notwendig für den wirtschaftlichen Erfolg von Volkswirtschaften sind.5 Zwei Dinge können jedoch mit Sicherheit aus der Studie geschlossen werden: Hohes Wohlstandsniveau muss nicht Hand in Hand mit ausgeprägter Ungleichheit gehen, und gleichzeitig bildet deren Anstieg nicht die Voraussetzung für wirtschaftliche Dynamik. Unter den drei OECD-Staaten mit den größten Reich-zu-Arm-Unterschieden werden die beiden ärmsten (Mexiko und Türkei) vom zweitreichsten (USA) gefolgt. Umgekehrt finden sich unter den egalitäreren Gesellschaften sowohl welche mit hohem Pro-Kopf-BIP (Österreich und vor allem Luxemburg) als auch weniger wohlhabende (Tschechien und Slowakei). Unter den Volkswirtschaften, die in den vergangenen zehn Jahren besonders stark gewachsen sind, gibt es sowohl solche mit stark steigenden Ungleichheiten (USA oder Finnland) als auch welche, in denen jene sogar zurückgegangen sind (Spanien, Irland). Dagegen geht schwaches Wachstum im Normalfall mit einem Auseinanderdriften der Einkommen einher, wie die Beispiele Portugal, Deutschland und Italien zeigen. Boomende Wirtschaften bilden also eine Voraussetzung, aber keine Garantie einer Wohlstandssteigerung für wirklich alle.
Einkommensunterschiede sollten aber auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Weitergabe an die nächste Generation gesehen werden. Damit sind wir bei dem Punkt, an dem die Geschichte vom Tellerwäscher, den die soziale Hängematte in Europa nur daran gehindert hätte wie in Amerika zum Millionär zu werden, zum sozialen Zynismus wird. Selbst die OECD - eine Organisation, für die das Bekenntnis zur Marktwirtschaft zentral ist, und der jeglicher sozialer Utopismus fernliegt - berichtet in ihrer Studie vom Gegenteil. Es besteht nicht nur eine negative Korrelation zwischen Ungleichheit und Einkommensmobilität, und sowohl innerhalb der Generationen als auch über sie hinweg ist letztere in den USA so gering wie in kaum einem anderen OECD-Land. Die deutschsprachigen und besonders die skandinavischen Länder bieten viel bessere Chancen, der Armut zu entkommen. Darüber hinaus stellt »Growing Unequal?« auch wörtlich fest, »dass ein hoher Anteil von Einkommensungleichheiten, die von einer Generation auf die andere übergehen, mit Faktoren zu tun haben, die weitgehend jenseits des Einflusses des Kindes liegen«. Mit anderen Worten: Nicht der angeblich fehlende »Biss«, sondern unvorteilhafte Ausgangsbedingungen sind es, die die Kinder von Armen nicht reich werden lassen - in den USA gründlicher als anderswo. Die OECD plädiert daher mitnichten für sozialpolitische Untätigkeit des Staates, sondern für breit gefächerte (vor allem auf den Sektoren Steuern, Bildung und Gesundheit), aktivierende und einer Evaluierung unterworfene staatliche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung.

Verbesserungsmöglickeiten

Wer die Studie genau liest, wird auch für das österreichische Sozialsystem eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten finden. Im Gegensatz zu der von manchen heimischen Nachbetern sozialdarwinistischer Stehsätze, orientiert sich jedoch die Kritik der OECD an »best practices« statt an den am wenigsten tauglichen Vorbildern und kann daher auch ernst genommen werden.

Weblinks
Mehr Infos finden Sie unter
www.oecd.org

1Genauer gesagt der Haushaltseinkommen.
2Maßzahl für die Ungleichheit der Verteilung. Je höher er ist, desto größer die Disparitäten. Andere Indikatoren ergeben im Wesentlichen das gleiche Bild.
3Noch mehr als für Einkommen aus unselbstständiger gilt das für solche aus selbstständiger Erwerbstätigkeit und aus Kapital.
4Absolut unter Berücksichtigung der Kaufkraftparitäten.
5Man denke nur daran, dass die Motivation für qualifiziertere und längere Ausbildung sinkt, wenn diese nicht auch ihren Niederschlag in höherem Einkommen findet.

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
robert.stoeger@bka.gv.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum