topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Foto | Paul Sturm Produktivitätslegende: Die Produktivität Älterer entspreche nicht mehr den Löhnen, d. h. den Kosten, daher müssten sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Arbeit und Alter

Schwerpunkt

In fünf Jahren werden Erwerbspersonen über 45 Jahre die relativ größte Altersgruppe am Arbeitsmarkt sein.

Das Thema »Arbeit und Alter« tritt in ein neues Stadium. Derzeit sind mehr Personen im erwerbsfähigen Alter über 40 Jahre alt als unter 40. Ab etwa 2013 werden die Erwerbspersonen über 45 Jahre die relativ größte Altersgruppe sein. Zum natürlichen Älterwerden kommt die »Dejuvenisierung«. In der Auseinandersetzung mit dem Thema »Ältere« lassen sich in den vergangenen zwanzig Jahren drei Phasen unterscheiden. Die erste Phase: Entfernung der Älteren aus dem Erwerbsleben; zweite Phase: Erhöhung der Hürden für dieses Ausscheiden wegen der Knappheit der Sozialsysteme; dritte Phase: Verlängerung des Erwerbslebens unter dem Aspekt der Demografie. Diese Phasen wurden und werden durch spezifische Zuschreibungen begleitet und begründet.

Phase eins: Zuschreibungen
In Phase eins sehen wir zwei Zuschreibungen: Die aus dem Nachkriegs-Wohlfahrtsstaat resultierende Grundidee der den Lebensstandard sichernden Pension als soziales Recht (vergleichbar dem Arbeitslohn) nach einem Arbeitsleben. Die zweite Zuschreibung, die man als biologistisch-familiale bezeichnen könnte, lautete, dass die Älteren den Jungen Platz machen sollten. Diese Ansicht gefällt, weil sie einem traditionellen Familienmuster entspricht, und weil sich damit der wirtschaftliche Wandel abfedern lässt. Nicht berücksichtigt wird jedoch, dass diese Jahre von einem starken Umbruch der Wirtschaftsstruktur geprägt waren. In diesem Sinn konnten die Jungen nicht den Alten nachfolgen, denn deren Plätze waren nicht mehr vorhanden.

Phase zwei: Produktivitätslegende
In Phase zwei erlebte die »Produktivitätslegende« ihren Höhepunkt. Den Boden dazu bereitete die OECD-»Jobs-Study« von 1994. Das Argument: Die Produktivität Älterer entspreche nicht mehr den Löhnen, d. h. den Kosten, daher müssten sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Würden diese heruntergefahren und Regulierungen, die Arbeitsverhältnisse einzementieren, beseitigt, steige die Nachfrage und Ältere würden wieder Beschäftigung finden. Damit war der Übergang von der wohlfahrtsstaatlichen Politik sozialer Rechte zur Risikoverlagerung auf die AnbieterInnen von Arbeitskraft am Arbeitsmarkt eingeläutet.
Der Produktivitätsorientierung wurde ein Konzept des »alternsgerechten Arbeitens« entgegengehalten. Es besagt, die Zahl der erwerbstätigen Älteren könnte angehoben werden - zur Sicherung des Sozialsystems -, wenn Arbeitsbedingungen geschaffen würden, die es Älteren erlaubten länger gesund und arbeitsfähig zu bleiben. Die Lockerung der Regulierungen der Arbeitsverhältnisse führe bloß zu mehr Kündigungen.
Nun zur dritten Phase, in der wir uns gegenwärtig befinden. Diese Phase wird zwar noch durchaus von Finanzierungsproblemen des Sozialsystems bestimmt. Stärker im Vordergrund steht nunmehr jedoch das  Erkennen einer grundlegenden Umkehr am Arbeitsmarkt. Die bisherige »natürliche« (oft wird ein Zustand als natürlich angesehen, der ein, zwei Jahrzehnte angedauert hat) Annahme, es gäbe stets ausreichend Nachschub an jüngeren Arbeitskräften, gilt nicht mehr. Das Arbeitsvolk verweigerte zuletzt zunehmend die Reproduktion.
Dieser Umstand führt zu einer Neuinterpretation. In den beiden vorangegangenen Phasen war das Alter stets mit negativen Vorzeichen versehen, ein Defizit. In der ersten Phase bildete das die Begleitmusik zur Entfernung aus dem Arbeitsmarkt. In der zweiten Phase sollte es entweder zur Senkung der Kosten der Arbeit führen oder durch alternsgerechte Maßnahmen überwunden werden.

Phase drei: Sinneswandel
In Phase drei wird das Alter zunehmend neutral, wenn nicht positiv besetzt. Als Brücke dafür gilt die »Lebensphasenorientierung«. Diese tritt auf zwei Ebenen auf, in Arbeitsbeziehungen und als Generationenpolitik. In den Arbeitsbeziehungen bedeutet sie, dass Beschäftigte und Unternehmen bestimmte Einstellungen und Erwartungen haben, die sich je nach Lebensalter unterscheiden. Man spricht vom »psychologischen Vertrag«. Zwischen Beschäftigten und Unternehmen kommt es daher zu expliziten oder verborgenen Aushandlungsprozessen.
Auf der Ebene der Makropolitik der Lebensphasen (Life Course Policy) werden drei größere Abschnitte mit ihren jeweiligen Problemstellungen konzipiert: Abschnitt eins, der Übergang von der Ausbildung in den Erwerbsstatus. Dieser Übergang verschiebt sich, aufgrund der Verlängerung der Ausbildungszeit und neuer Erscheinungsformen der Übergangsarbeitsmärkte (Projektarbeit, prekäre Beschäftigung) zunehmend in ein höheres Lebensalter.

Hin zur Ressourcenorientierung
Abschnitt zwei, das Haupterwerbsalter, ist durch hohe und zunehmende Kompression gekennzeichnet. Grund dafür ist, dass die Absicherung am Arbeitsmarkt wenn überhaupt erst spät erfolgt. Dadurch werden zentrale Stationen des Lebens: berufliche Karriere, Familiengründung, Nachwuchs, Schaffen eines stabilen Umfelds, auf eine verkürzte Zeitspanne von zehn bis fünfzehn Jahren reduziert, denn danach droht das Alter.
Der dritte Abschnitt, das Alter, genauer der Status »Ältere am Arbeitsmarkt«, ist, aufgrund der demografischen Entwicklung im Wandel begriffen. Im Rahmen dieser Orientierung nach Lebensphasen, in der jeder Phase Spezifika zugeordnet werden, verliert das Alter seinen Status als Besonderheit. Es ist Gegebenheit des Lebens, wie andere auch.
Daraus ergibt sich für das Alter der Wechsel in der Zuschreibung von einer Defizit- hin zu einer Ressourcenorientierung. Die Ironie an diesem Perspektivenwechsel ist, dass neuere Untersuchungen sich nun empirisch mit dem Zusammenhang von Alter und Produktivität befassen und zu einem keineswegs eindeutigen Befund kommen. Demnach sind Ältere zwar geringfügig weniger produktiv als Erwerbstätige im Haupterwerbsalter, jedoch produktiver als Jüngere.*
Die Älteren der frühen 1990er-Jahre galten als eine Belastung, die des Jahres 2007 sind eine Ressource. Die Zuschreibungen haben sich verändert. Aber hat sich auch die Personengruppe verändert? Diese Frage kann nicht allgemein beantwortet werden, weil diese Gruppe sehr heterogen ist und Unterschiede innerhalb der Generationen, nach Ausbildung, Stellung im Beruf etc., vielfach bestimmender sind als zwischen den Generationen. Tatsächlich verbessert sich der körperliche und physiologische Zustand Älterer, auch das Ausbildungsniveau steigt an. Die Veränderung der Zuschreibungen scheint jedoch nicht in erster Linie durch die Charakteristika der älteren Personen selbst begründet zu sein. Allerdings verändert sie den Blick auf diese.

Gesellschaft im Wandel
Die demografische Entwicklung ist nur eines der Themen, die die Arbeitswelt gegenwärtig und weiterhin bestimmen werden. Betrachtet man die Alterung im Zusammenhang mit Veränderungen in der Erwerbsbevölkerung wie der Feminisierung und Multiethnizität, so lässt sich festhalten: Kontingenzen, d. h. schicksalhafte Gegebenheiten des Lebens, wie älter zu werden, Eigenarten des Geschlechts, die Reproduktion, kulturelle Diversitäten, gehen in dem Ausmaß in den Arbeitsprozess ein, in dem der zumindest eine Zeit lang vorherrschende Idealtypus der männlichen, adäquat ausgebildeten, kulturell unauffälligen, im Haupterwerbsalter stehenden Arbeitskraft an Zahl und Bedeutung verliert. Das bis dahin Besondere wird zum Normalen. Damit verändert beides seine Eigenart.
Diese Spannung bringt zahlreiche Konflikte mit sich. Diese Konflikträume wirken auf der privaten, mikropolitischen  Ebene ebenso wie auf der mesopolitischen Ebene der Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen und der makropolitischen Ebene staatlichen Handelns.
Altern der Erwerbsbevölkerung und Dejuvenisierung sind Fragen, die den Weiterbestand von Gesellschaften berühren und nicht auf die Privatsphäre und Personalabteilungen reduziert werden können. Schicksalsbewältigung ist das, wozu Gesellschaften als Solidargemeinschaften da sind. Derzeit sieht man zu wenig Staatshandeln. »Weniger Staat« wäre aber ein verhängnisvoller Weg.

* Vgl. Prskawetz u. a., Alters- und Bildungsstruktur der Beschäftigten und Produktivität in österreichischen Unternehmen 2001, in: Statistische Nachrichten 2/2008

Weblinks
Sozialpartnerseite "Arbeit und Alter"
www.arbeitundalter.at  

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
alexander.schneider@akwien.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum