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Foto | Paul Sturm Wir stehen vor einem herausfordernden und sehr spannenden Jahr 2009, und ich glaube, wir haben ein gutes Blatt in der Hand, um dieses Jahr selbst zu gestalten.

Ein gutes Blatt

Interview

2009 sind die Karten neu gemischt. Der geschäftsführende ÖGB-Präsident Erich Foglar über Chancen und Gefahren.

ZUR PERSON
Erich Foglar
Geboren 19. 10. 1955
Erlernter Beruf: Werkzeugmacher
1979-1987 Betriebsrat (von 1982-1987 freigestellt), 1985-1987 stv. Vorsitzender der Arbeiterbetriebsrates
1987-1988 Sekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie (GMBE)
1988-1992 Zentralsekretär-Stv. der GMBE/Finanzreferat
1992 bis 9. 5. 2006 Zentralsekretär der GMBE (15. Gew.Tag), ab 2000 Gewerkschaft Metall-Textil
29. 3. 2006 bis 16. 5. 2006 Leitender Sekretär des ÖGB für Finanzen
9. 5. 2006 bis 1. 12. 2008 Vorsitzender der Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung (GMTN)
seit 24. 1. 2007 Mitglied im Vorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Arbeitsschwerpunkt »Wirtschaft«
seit 1. 12. 2008 geschäftsführender Präsident des ÖGB


Arbeit&Wirtschaft: Kollege Foglar, Ende 2008 hat sich einiges getan: Finanzmarktkrise, Regierungsbildung und seit 1. Dezember bist du geschäftsführender Präsident des ÖGB. Die Karten sind neu gemischt. Wie bist du in dieses neue Jahr gegangen?

Erich Foglar: Silvester habe ich wie immer gefeiert. Natürlich ist das Jahr 2009 für alle eine große Herausforderung. Sei es für die Wirtschaft aufgrund der gegenwärtigen Situation, sei es für alle, die durch die Veränderung in den Funktionen betroffen sind, ob für das Regierungsteam, Kollegen Hundstorfer, der ja Sozialminister geworden ist, oder für mich. Wir stehen vor einem herausfordernden und sehr spannenden Jahr 2009, und ich glaube, wir haben ein gutes Blatt in der Hand, um dieses Jahr selbst zu gestalten. Wir können nicht alles beeinflussen, aber wir können sehr viel tun. Es ist sehr positiv, dass es rasch zu einer Regierungsbildung gekommen ist im Gegensatz zu anderen Jahren. Wir haben eine handlungsfähige Regierung. Ich glaube Optimismus ist immer angebracht.
Zur Wirtschaftskrise, die ja durch die Finanzmarktkrise verursacht wurde: Die stellt uns in bestimmten Wirtschaftsbereichen vor enorme Herausforderungen. Am meisten betroffen ist derzeit der ganze Automobilsektor. Aber nicht nur. Allgemein gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, einen Anstieg der Arbeitslosigkeit so weit als möglich zu dämpfen. Wir können ihn nicht verhindern, das zu glauben, wäre unrealistisch. Ich glaube, da sind schon richtige Maßnahme gesetzt worden, wie die Entlastungen, die schon vergangenes Jahr beschlossen wurden oder in Kraft getreten sind. Ob es sich nun um die 13. Familienbeihilfe handelt, ob um die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages für die unteren Einkommensgruppen, oder ob es nun die Entscheidung ist, 2009 doch eine Steuersenkung durchzuführen. Das war schon länger eine massive Forderung der Gewerkschaften. Offensichtlich sind da die Argumente des ÖGB endlich auf ein offenes Ohr gestoßen. Wir begrüßen auch die Maßnahmen, die für den Arbeitsmarkt getroffen worden sind. Es ist richtig, dass da der Staat gegensteuert. Österreich hat eines der ambitioniertesten Konjunkturprogramme im europäischen Kontext beschlossen mit fast zwei Prozent des BIP. Ich bin froh, dass man wieder die Priorität auf Beschäftigungssicherung legt, statt wie bisher auf eine reine Eindämmung des Budgetdefizits.

Das hat auch Folgen?

Eine positive Folge ist, dass der ganze Bereich Arbeit wieder ins Sozialministerium gewechselt ist, wo er bis ins Jahr 2000 ja war. Wir sind froh, dass wieder ein anderer Geist in die Regierung eingekehrt ist. Mit Streiten lassen sich ja keine Probleme lösen. Was wir brauchen sind handfeste Lösungsvorschläge und Entscheidungen, die man auch umsetzt. Das ist der Punkt, der uns besonders am Herzen liegt. Es sind die richtigen Entscheidungen getroffen worden, aber es gilt jetzt die verschiedenen Maßnahmen auch rasch umzusetzen, dass sie auch draußen ankommen und die Menschen etwas spüren.

Siehst du als Optimist diese Wirtschaftskrise ein wenig als Chance? Sie hat Entscheidungen beschleunigt, Sichtweisen verändert, und es wurde wieder mehr auf die Sozialpartner gehört.

Wir finden es positiv, dass man wieder bereit ist auf die Erfahrung der Sozialpartner zurückzugreifen. Wobei aber ganz klar ist, die Sozialpartner sind nicht die Regierung. Wir sind gerne bereit, Erfahrung einzubringen und Vorschläge zu machen. Entscheiden muss die Regierung. Auch ist die Sichtweise der Sozialpartner nicht immer die gleiche. Wir sind ganz klar auf Seiten der ArbeitnehmerInnen und haben da unsere Positionen. Die Wirtschaftsseite hat ebenfalls ihre Positionen, und bisher ist es immer gelungen einen Kompromiss zu finden. Das verhält sich auch mit der Regierung so. Jede Krise birgt natürlich eine Chance. Im Vordergrund stehen allerdings die negativen Auswirkungen der Krise. Die muss man so gering wie möglich halten.
Zum Stichwort: Finanzmarktkrise und Neoliberalismus. Wir haben da wirklich die Chance, Lehren aus dieser absoluten Fehlentwicklung zu ziehen und hier Veränderungen herbeizuführen und umzusetzen. Es waren ja gerade auch die Gewerkschaften und viele NGOs - Arbeiterkammer, Attac und andere - die jahre-, jahrzehntelang vor dieser Entwicklung gewarnt haben, aber nicht gehört wurden. Im Gegenteil: Manchmal wurden sie belächelt. Leider haben sie Recht behalten. Leider, denn die Zeche zahlen die kleinen Leute. Wir können nur daran arbeiten und werden uns einbringen, dass am Finanzmarkt gravierende Änderungen erfolgen. Wir brauchen Transparenz, wir brauchen stärkere Kontrolle, mehr Möglichkeiten für die Kontrollorgane, egal ob national oder international, und wir brauchen vor allem einen Wertewandel. Es muss sich der Finanzsektor wieder viel mehr an der Realwirtschaft orientieren. Er hat sich entkoppelt in die urfade konservative Ökonomie und andererseits die angeblich sprühende und von innovativem Geist getragene Finanzwirtschaft, die Renditen versprochen hat, die nachweislich nicht erwirtschaftet werden können. Das Ergebnis von dem allen haben wir jetzt als Krise auf dem Tisch.

Wie geht der ÖGB konkret mit der Krise um?

Es hat ja den Automobil-Gipfel gegeben und Betriebsrätekonferenzen. Unsere Position ist ganz klar: Wir haben mit Kurzarbeit ein bewährtes Instrument, um Menschen im Betrieb und in Beschäftigung zu halten. Dieses Instrument müssen wir den Gegebenheiten anpassen. Es muss flexibler werden. Wir brauchen mehr Anwendungsmöglichkeiten als das Gesetz bisher zulässt. Es muss möglich werden, Kurzarbeit über den bisher im Gesetz vorgesehenen Rahmen zu verlängern. Auch die reduzierbare Arbeitszeit sollte flexibler angewendet werden können. Und einer der wichtigsten Punkte für uns ist, dass wir Kurzarbeit auch mit Qualifizierungsmaßnahmen verknüpfen können wollen. Derzeit ist nur Entweder-Oder möglich. Wir brauchen Lösungen auf gesetzlicher Ebene, die uns sehr viel Handlungsspielraum in den Betrieben lassen. So können BetriebsrätInnen gemeinsam mit der Unternehmensleitung maßgeschneiderte Lösungen finden. Denn all das kann nicht ohne Mitbestimmung funktionieren. Diese ganzen Lösungen müssen auf Basis von KV-Partnervereinbarungen stattfinden, wichtig ist, dass Gewerkschaften und Wirtschaftskammer zustimmen. Das ist für uns unverzichtbar: Es kann nur mit den Betroffenen gehen, es darf durch diese Situation die Mitbestimmung auf keinen Fall unter die Räder kommen. Im Gegenteil: Sie ist auszubauen. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir mehr Mitbestimmung.

Daher hast du auch in deiner Antrittspressekonferenz eine Novellierung des Arbeitsverfassungsgesetzes gefordert?

Das Arbeitsverfassungsgesetz ist 1974 in Kraft getreten. Seither hat sich die Welt maßgeblich verändert, und wir müssen diesen Gegebenheiten auch in vielen Bereichen dieses Gesetzes Rechnung tragen. So soll es leichter werden, einen Betriebsrat zu gründen. Es geht um besseren Schutz für ArbeitnehmervertreterInnen und jene, die einen Betriebsrat gründen wollen. Wir brauchen besseren Zugang für die Gewerkschaften. Die Anforderungen an BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und Jugendvertrauensleute werden immer höher. Dem können wir nur mit Bildung begegnen, daher fordern wir eine Ausweitung der bezahlten Bildungsfreistellung auf mehr als derzeit drei Wochen. Auch bei der Informationspflicht sind Änderungen notwendig. Mitbestimmen kann nur, wer informiert ist. Es gibt zwar vierteljährliche Wirtschaftsgespräche, aber ein Vierteljahr ist lange. Auch kommt es darauf an, welche Informationen der Betriebsrat bekommt. Da müsste die Informationspflicht der ArbeitgeberInnen ausgebaut werden. Dann bleibt die Frage, wie die Verletzung dieser Pflicht sanktioniert wird. Klare Spielregeln, welche Informationen in welcher Form gegeben werden müssen, und was passiert wenn nicht, wären endlich notwendig.

Die Information war auch ein wichtiger Punkt bei den Forderungen des Europäischen Gewerkschaftsbunds EGB bei der Revision der Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat im Vorjahr.

Da haben wir leider nicht alles bekommen, was wir gefordert haben. Aber es war trotzdem ein wichtiger Schritt vorwärts im Europäischen Sozialen Dialog und als Verbesserung zu sehen. Wir haben jetzt auch das Problem der Europäischen Privatgesellschaft am Tisch, wo ebenfalls Änderungen geplant sind. Auch dabei geht es uns vor allem darum, dass die Mitbestimmung gesichert wird. Das ist natürlich auf EU-Ebene ungleich schwieriger aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Unterschiede und Voraussetzungen in den Mitgliedsstaaten. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch auf Ebene der Europäischen Gewerkschaftsbewegung stark einbringen.

Ein Beispiel für den Europäischen Sozialen Dialog nennt Oliver Röpke in diesem Heft mit der Arbeitszeitregelung.

Es war sehr, sehr gut, dass die Gewerkschaftsbewegung hier massive Aktivitäten gesetzt hat. Es gab ja auch eine große Demonstration. Es zeigt sich auch immer mehr, wie wichtig das Europäische Parlament ist. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Es muss die Gewerkschaftspolitik noch mehr auf die Europäische Ebene verlagert werden, da dort immer mehr Entscheidungen fallen. Das ist eigentlich ein Erfolgsbeispiel, weil weit mehr als die erforderte Mehrheit für die Ablehnung dieses Kommissionsvorschlags gestimmt hat. Das gibt wieder Anlass für genügend Optimismus, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.

Neue Wege schlägt auch der ÖGB mit der ÖGB-Reform ein. Im Juni soll der Bundeskongress stattfinden. Erste Schritte sind schon gesetzt worden. Wohin führt der Weg?

Richtig ist, dass wir in den nur zwei Jahren seit dem vorigen Kongress sehr viel umgesetzt haben. Wir haben mit dem erfolgreichen Verkauf der BAWAG unser Überleben gesichert, genauso wie mit der Umgründung diverser Unternehmensbereiche, mit dem Verkauf von Liegenschaften und mit vielen anderen Maßnahmen. Wir haben die Umstellung von den Bezirken auf die Regionen vollzogen. Wir haben eine ganz andere Arbeitsweise an der Spitze des ÖGB. Früher gab es ein kleines Präsidium, jetzt gibt es einen Vorstand in dem alle Gewerkschaften vertreten sind, mit einer Ausnahme, der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Wir haben die Frauenquote in den wichtigsten Gremien erfüllt. Da besteht zwar noch Handlungsbedarf, wir werden diesen Weg aber konsequent weiter gehen, kommen aber an der Struktur in den Betrieben nicht vorbei. Wir haben das Kontrollsystem reformiert, die Minderheitsfraktion stellt den Kontrollvorsitzenden. Einige Projekte sind gerade im fertig werden: Strategie, Führungskultur und der Kommunikationsbereich. Einige Projekte haben wir noch nicht begonnen, aber das bietet die Chance, einiges beim Bundeskongress neu zu überdenken und an die Zeit anzupassen.

Wie sieht es aus mit neuen Ansätzen zur Mitgliederwerbung?

Ohne Mitglieder sind wir nichts. Wir haben in den verschiedenen Gewerkschaften dazu auch verschiedene Ansätze. Eines der wichtigsten Projekte des vorigen Bundeskongresses war das Projekt stille Austritte. Das sollte eigentlich zu einem ständigen Prozess werden. Durch die Tausenden Arbeitsplatzwechsel jedes Jahr haben wir viele Mitglieder verloren. Wir haben im Rahmen des Projektes den Kontakt wieder aufgenommen und viele haben uns bestätigt, dass sie nicht austreten wollen und sind zurückgekommen. Das zeigt, dass das ein richtiger Weg war. Aber wir werden aufgrund der Wirtschaftskrise ein noch schwierigeres Umfeld vorfinden. Es wird die Arbeitslosigkeit steigen und es werden vor allem Neuaufnahmen in den Betrieben zurückgestellt. Damit ist das Potenzial neue Mitglieder zu werben geringer. Auf der anderen Seite haben wir viele weiße Flecken.

Zum Schluss eine persönlicher Frage: Wie ist deine Einstellung zum Glück, Kollege Foglar? Glaubst du an Glücksbringer?

Das Glück ist ein Vogerl. Man kann es sich nicht aussuchen, ob man es hat oder nicht hat. Ich bin recht gefeit vor Aberglauben. Es gibt ganz wenige Punkte, wo ich mich selbst dabei ertappe. Ich bücke mich z. B. grundsätzlich nach der kleinsten Münze - wenn ich einen Cent verschmähe ist es ein schlechtes Omen. Denn jeder gefundene Cent ist ja eigentlich ein bissl Glück.
Und jeder Mensch braucht a bissl a Glück. Man kann noch so tüchtig sein, wenn einem irgendwie das bisschen Glück fehlt, kann es zu Problemen kommen. Und so wünsche ich allen KollegInnen neben Gesundheit und Wohlergehen vor allem dieses Quäntchen Glück, das man im Leben immer braucht.

Wir danken für das Gespräch.

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